Seefahrtserinnerungen – Anthologie. Jürgen Ruszkowski
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Wir hatten bereits drei Reisen von Emden nach Hamburg, genauer gesagt, nach Waltershof, nach Altona und zum India-Hafen hinter uns gebracht. Der neue Messejunge, der aus Kiel kam, war inzwischen auch an Bord. Da bekamen wir die Order für zwei Ladungen nach England. Wir sollten Kohle von Blyth in England nach Hamburg bringen. Dies war meine erste Auslandsreise, und ich war sehr neugierig, was mich nun erwarten würde.
Blyth stellte sich als typische Bergarbeiterstadt an der Ostküste Englands heraus. Dort wurde die Kohle direkt aus der Nordsee gefördert. Das Beladen dauerte etwa drei bis vier Stunden. Zusätzlich zu meinen Arbeiten in der Messe und den Kajüten musste ich auch an Deck Arbeiten verrichten. An den Wachen an Bord durfte ich jedoch noch nicht teilnehmen. Durchschnittlich machten wir ca. zwei Fahrten in der Woche von Emden nach Hamburg. Wenn es gut lief und die Kohle aus dem Ruhrgebiet pünktlich in Emden eintraf, konnten es auch drei Fahrten in der Woche werden.
Unser Schiff lag direkt vorne am Erzkai und zwar so, dass ein mit Erz oder Kohle beladener Kahn zwischen unserem Schiff und der Kaimauer Platz hatte. Zur Vorsicht wurde unser Schiff durch zwei Baumstämme an der Kaimauer abgestützt. Die Beladung erfolgte dann mit zwei Kränen von Land aus, und ein Schwimmkran übernahm die Beladung der Außenbordseite. Durchschnittlich wurden für den gesamten Vorgang vier Stunden benötigt.
Meine Bordkameraden und ich natürlich auch gingen gern einmal ins Kino. Leider waren viele der Kinos in Emden im Krieg zerstört worden. 1950 waren bereits zwei davon, die Lichtspiele und das Apollotheater, wieder in Betrieb, und drei weitere wurden gerade wieder aufgebaut. Bis 1949 waren das Apollotheater in der Herrentorschule und die Lichtspiele in der Gaststätte Sternburg untergebracht gewesen. Wenn unser Schiff am Donnerstag in Emden einlief und noch beladen wurde, dann waren wir garantiert am Samstag wieder in Emden. Falls dies eintraf, richtete ich mich darauf ein und fuhr mit dem Fahrrad in die Stadt und kaufte gleich vier oder fünf Kinokarten für eines der beiden Kinos. Lagen wir in Hamburg, war es immer schwierig, samstags ins Kino zugehen, da im Hamburger Hafen auch am Sonntag gearbeitet wurde.
Hatten wir Schlammkohle oder Bunkerkohle für den Eigenbedarf geladen, waren wir immer sehr schmutzig. Wir hatten Glück, dass wir auf unserem Schiff einen Baderaum für die Deckbesatzung und einen zweiten für die Heizer hatten. Dieser Luxus war nicht auf jedem Schiff zu finden. Da Deutschland auf Grund des verlorenen Krieges die gut ausgerüsteten neuen Schiffe hatte abgeben müssen, waren zumeist ältere Schiffe wieder an die Reeder verkauft worden. Auf den meisten Schiffen bestand die Waschgelegenheit nur aus so genannten Pützen (Eimer). In diesen Pützen wusch man sich selbst und auch die Arbeitskleidung.
Bei den kurzen Reisen war es nicht möglich, die nötigen Instandhaltungsmaßnahmen durchzuführen. Musste das Schiff gestrichen werden, dann unternahm man Zwischenreisen nach Schweden, um in Oxelsund oder Gävle Eisenerz zu laden. Während dieser Fahrten hieß es dann: „Alle Mann an Deck!", und auch die Freiwachen mussten nach der Wache mit an Deck, um den nötigen Anstrich aufzubringen. Dadurch gab es viele Überstunden, und auch die Hilfe von uns Jüngeren wurde benötigt. Für eine geleistete Überstunde bekam ich 1,25 DM. Eine Stange Zigaretten kostete an Bord 5 DM, welche ich dann für 10 bzw. 11 Kronen oder 10 DM an Land verkaufte. Eine Flasche Schnaps kostete am Bord ebenfalls 5 DM. Man konnte sie aber an Land für 35 bis 40 Kronen verkaufen. Unser Kapitän Fritz Brinkmann, der ein rauer Geselle, aber guter Mensch aus Westrhauderfehn war, warnte mich immer vor dieser Art von Geschäft. Er sagte, falls er mich beim Schmuggeln erwischen würde, könnte ich sofort nach Hause gehen, und er lachte dann schelmisch dazu. Ich wurde jedoch während meiner gesamten Seefahrtszeit nie erwischt.
Die „HERMANN SSCHULTE“, ein weiteres von der Reederei Schulte eingesetztes Schiff, war in der Lage, ein paar Tausend Tonnen Ladung mehr aufzunehmen als unser Schiff. Als es uns bei Brunsbüttel einmal überholen wollte, da fragte unser Kapitän unseren Leichtmatrosen und mich, ob wir die Heizer für ein bis zwei Stunden unterstützen könnten, um die Bunkerkohle näher an die Öfen zu schaufeln. Wir taten es, und gemeinsam schafften wir es, dass die HERMANN SCHULTE uns nicht überholte und wir noch zwei Stunden eher in Hamburg waren. Jeder von uns bekam dafür acht Überstunden bezahlt.
Ich wollte nicht mehr länger auf einem Kohlefrachter fahren, da mir die Fahrten von Emden nach Hamburg zu langweilig wurden. Außerdem konnte man durch den Kohlestaub nichts richtig sauber halten. So kündigte ich meinen Dienst auf der ELISE SCHULTE und heuerte auf der „PERGAMON" an.
Hier musste Frerich Schüler krankheitsbedingt seine Schilderung seiner Seefahrtserlebnisse abbrechen. Er verstarb bald darauf.
Ab hier ein Bericht der Emder Zeitung:
In der Emder Zeitung berichtete EZ-Mitarbeiter GERD REDENIUS im Rahmen einer Serie über Ereignisse aus der Seefahrt von Begebenheiten, die sich mit Menschen verbinden, die in Emden ihre Heimat haben, hier am 14. Dezember 1996 und 25. Januar 1997: Aus dem Leben von Frerich Schüler
Schon als Kind zog es mich in den Emder Hafen
In der Emsmauerstraße, gegenüber dem Luftschutzbunker wurde ich im Mai 1932 geboren. Nachdem wir im Krieg ausgebombt wurden, wohnten wir in den Olympia-Baracken an der Nesserlander Straße.
Obwohl es nach dem Krieg an fast allem mangelte, verbrachten wir eine unbeschwerte Jugendzeit. Mit dem Wenigen, was wir hatten, waren wir zufrieden. Nach der Schule zog es mich und meine Freunde in den Hafen, wo wir uns bald gut auskannten. Wir gingen an Bord ausländischer Schiffe, wo wir als Abwäscher in der Kombüse mithalfen und dafür mit reichlich gutem Essen belohnt wurden. Des Öfteren halfen wir auch beim Festmacher Janssen aus.
Damals lagen auch viele Schiffe an der West- und Ostseite im Freihafen. Auf einem amerikanischen Schiff, das Zucker löschte, wurden mein Freund Fritz van Lengen und ich eines Tages mit einem Hafenarbeiter einig, zwei Säcke mit Schmuggelgut aus dem Hafen zu bringen. In diesen Säcken befanden sich Tee, Kaffee und Zigaretten. Mit einem geliehenen Ruderboot starteten wir bei Dunkelheit in Richtung Delft, wurden aber in Höhe der Teufelsinsel von der deutschen Dockpolizei aufgegriffen und zur Wache in die Eichstraße gebracht. Von einem englischen Militärgericht wurden wir zu einer sechsmonatigen Jugendstrafe verdonnert, die wir in einem Jugendheim der evangelischen Kirche in Hannover verbrachten. Ich war damals 15 Jahre alt.
Nach der Währungsreform im Jahre 1948 heuerte ich auf der 130-Tonnen-Tjalk „SEEHUND“ (Kapitänseigner Hermann Janssen, Norden) für 25 Mark Heuer als Schiffsjunge an. Während einer Reise von Ditzum nach Hamburg-Altona – das Schiff war mit Steinen beladen – befanden wir uns plötzlich zwischen Weserfeuerschiff und „ELBE 1“ in einem Meer von Apfelsinen, die einem anderen Dampfer bei Schlechtwetter über Bord gegangen waren.
Diese einmalige Gelegenheit haben wir uns nicht entgehen lassen und die damals begehrten Früchte stundenlang aus der kalten Nordsee gefischt, an Bord verstaut und anschließend auf St. Pauli in den Seemannskneipen „Große Freiheit“, „Leuchtturm“ und „Oberbayern“ für 20 Pfennig das Stück verkauft. Die Nachfrage war so groß, dass ich sogar zu bescheidenem Reichtum gelangte. Allerdings war ich anschließend ein halbes Jahr arbeitsunfähig, denn ich hatte mir beim Bergen der „Ware“ eine Unterkühlung zugezogen, die schlimme Folgen hatte.
Als dann im Jahre 1950 die deutsche Seefahrt langsam wieder aufblühte, heuerte ich auf dem von Kapitän Fritz Brinkmann (Westrhauderfehn) geführten Dampfer „ELISE SCHULTE“ an, der Schlammkohle von