Oskar trifft die Todesgöttin. Jörgen Dingler
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Читать онлайн книгу Oskar trifft die Todesgöttin - Jörgen Dingler страница 5
»So leid es mir tut, mein Lieber.« Er sog hörbar Luft ein. »Nachdem du dieses Große für uns geleistet hast, brauchen wir dich nicht mehr. Besseres wird schwerlich nachkommen, das musst du doch zugeben.
Du wirst die übliche Abfindung bekommen. Aber auch nicht mehr.«
»Und was ist der Entlassungsgrund?«, presste Oskar eine überflüssige Frage durch die Zähne, die nur der Vollständigkeit halber einer Beantwortung harrte.
»Hmm… gute Frage. Wie wär‘s mit Differenzen mit deinem Chef?
Ja, das klingt plausibel! Wie du siehst, haben du und ich gerade Differenzen. Schwerwiegende. Oder vielleicht nicht?«
»Ja. Die haben wir.«
Der Blonde mit dem Kurt Cobain-Look wirkte nun in der Tat so unpassend wie der ewig junge, weil früh verstorbene Nirvana-Frontmann auf einem Golfplatz – mit diesem angewiderten Gesicht. Er sah sich um. Kein Mensch auf weiter Flur. Sein Ball lag abschlagbereit auf dem Pin. Nun war er mit Abschlagen dran. Und genau das tat er. Da er im Gegensatz zu seinem Chef ein Golfanfänger war, hatte er die Richtung zum nächsten Green nicht annähernd so gut erwischt. Dennoch stimmte die Richtung. Auch der Schlag war hervorragend. Genug Schwung, der Ball wurde voll getroffen. Nicht nur der Ball. In wenigen Minuten würde er den Ambulanz-Notruf wählen. Sobald die Ambulanz einträfe, kniete er bei seinem blutüberströmten Chef auf dem Abschlagpunkt, würde ihn verzweifelt im Arm halten. Er würde sogar weinen, dazu brauchte er nur vergangene Seelenqualen wieder aufleben zu lassen. Oder die soeben geschehene Tragödie verinnerlichen. Oskar hatte einen Menschen getötet und realisierte damit den Scherbenhaufen seines eigenen Lebens. Er brauchte keine Supervorstellung abzuliefern, sobald die Hilfe für den tödlich getroffenen Bob einträfe. Seine Verzweiflung war echt. Als ob ein innerer Knoten in ihm platzte, schaltete sein verzweifelter Blick plötzlich auf kalt und entschlossen um. Nun musste er wohl doch eine schauspielerische Glanzleistung abliefern. Das Leben seines Chefs war beendet, er hatte es beendet.
Bob war ein gewissenloses Schwein. Ein Unersättlicher, der trotz allen Reichtums nicht mit jemandem teilen wollte, der diesen Reichtum weiter vermehren konnte. Wegen dem sollte Oskars Leben nicht zerstört sein.
Er sah auf den Toten mit dem zerschmetterten Gesicht.
»Wer schon mit zweitem Vornamen ‚Wagner‘ heißt«, flüsterte er bitter.
Es gab eine dreitägige Unternehmenstrauer bei Soft Apricot, während der die Arbeit ruhte. Oskar hatte sich zu dieser Zeit den polizeilichen Ermittlungen und Verhören zu stellen. Er tat dies mit Bravour und dachte sich insgeheim, wie Bob noch kurz vor seinem Tod darauf hingewiesen hatte, dass nichts mit ihm in Verbindung zu bringen war. Bob brüstete sich sogar damit. Nichts deutete auf den fleißigen, gewissenhaften Blonden mit den klischeehaft deutschen Tugenden. Auch hatte er niemandem von seinem Durchbruch in dieser Entwicklung erzählt. Nur vor seinem Chef hatte er die Karten aufgedeckt, ihm seine Asse gezeigt.
Er verweigerte sich der Empfehlung des firmeneigenen Psychologen, mindestens eine Woche lang zuhause zu bleiben, heuchelte dem, dass Arbeit die beste Ablenkung sei und erschien wie alle anderen am Tag nach der Trauerruhe im Unternehmen. Dummerweise nahm Bob mit Oskars Motiv auch seine Entwicklungsarbeit mit ins Grab. Der Chef schätzte den Wert der Arbeit richtig ein. Diese Arbeit war abgeschlossen, und Bob hatte sie daher vor jedem Fremdzugriff gesichert. Vielleicht hätten die fähigsten Programmierer mit Hackertalenten einen Zugriff auf den einzigen personalisierten Computer von Soft Apricot gehabt. Kollegen, die zumindest darin noch besser als er sein mussten. Aber wer immer danach suchte, musste wissen, dass es etwas zu suchen gab. Dieses Wissen ließ wiederum den Schluss zu, irgendwas mit der gesuchten Sache zu tun zu haben. Er würde den Teufel tun, sein Motiv für das Dahinscheiden des Chefs auf dem Silbertablett zu servieren. Insofern zog er es vor, keine Mitwisser zu schaffen, obwohl es ihm nicht gelang, in Bobs Rechner einzudringen. Bevor es auffiel, stellte er dieses Vorhaben nach dem zweiten Versuch ein. Seine goldbringende Entwicklung, die er so nie wieder rekonstruieren könnte, war unwiederbringlich verloren! Jeder weitere Versuch, daran etwas ändern zu wollen, könnte ein Motiv dafür liefern, dass Bobs Tod kein Unfall war. Da der Boss und er sich hervorragend verstanden hatten, bis zum verhängnisvollen Ende auf dem Golfplatz sogar freundschaftlich verbunden schienen, schied das aus. Also nahm er alles hin, wie es war. Immer noch besser als eine Mordanklage! Außerdem würde er wohl seinen Arbeitsplatz behalten, weil Bob ihn jetzt nicht mehr entlassen konnte – Kunststück! Doch es war eine trügerische Sicherheit, ein vermeintlich kleineres Übel, indem er sich wähnte.
An diesem vierten Morgen nach der Trauerpause war der komische Typ auch wieder da, der vorher nicht jeden Tag da war. Und jetzt war er bereits den vierten Tag hintereinander da. Dieser amerikanische Freelancer mit dem wilden dunklen Haarschopf, der auch sonst einen ziemlich schlunzigen Eindruck machte. In Irland spuckten zwar alle nicht gerade ins Glas, aber dem sah man es wirklich an. Beide hatten sich bislang nicht sonderlich beachtet, so schien es zumindest. In den Tagen nach dem Tod des CEOs hatte dieser von den anderen geschnittene Nerd irgendwie ein Auge auf ihn geworfen. Nein, nicht im sexuellen Sinne. Der komische Ami war sicher manches, wenn nicht gar ein verkappter Soziopath, aber schwul ganz sicher nicht. Das wirklich Sonderbare war, dass der zuvor auffallend ungesellige Ami nun mit ihm redete, gar süffisante Bemerkungen machte, zwinkerte. Warum auf einmal? Dem war doch vorher jeder egal, genauso wie niemand sich um ihn kümmerte.
Oskar drehte den Computer an seinem Arbeitsplatz auf. Er durchlief die Routine eines jeden Morgens: E-Mails abrufen, dann ins firmeneigene Intranet gehen, was heute so anliegt. Auf dem Flachbildmonitor poppte auf einmal ein Fenster auf. Eine Botschaft speziell für ihn. Der Text spielte auf einen populären Teenager-Horrorfilm jüngeren Datums an.
‚I know what u did this summer!‘
Die Schrift stand auf dem kontrastmäßig zurückgenommenen, gesofteten Foto von einem Golfplatz. Nein. Nicht von einem, von dem Golfplatz. Er starrte eine Zeit lang paralysiert auf den Bildschirm, dann klickte er hektisch das Intranet zu. Das Motiv verschwand.
Wie? Verflucht! Wer konnte… ???
Es riss ihn innerlich. Er sah sich im Großraumbüro um und versuchte dabei so unauffällig und ruhig wie nur möglich zu sein. Wenigstens war niemand hinter ihm, der gesehen haben konnte, was er gesehen hatte. Er blickte wieder nach vorn, an seinem Monitor vorbei. Dort vorn saß der sonderliche Ami und kräuselte seine buschigen Augenbrauen.
Er sieht mich an… dieser Arsch sieht mich an. Weil er es weiß.
Er ist es.
Greg… Greg Norman…
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