Endlich einmal kurze Geschichten. Inga Kess
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Der Prinz erzählte ihr von dem Fluch des Zauberers, der aus Enttäuschung das Herz der Prinzessin zu Eis erstarren ließ.
Eifersüchtig hatte der Zauberer die Schlittenfahrt des Prinzen und der Prinzessin in seiner Zauberkugel verfolgt und bemerkt, dass das Eis im Herzen der Prinzessin ein wenig zu schmelzen begann. Deshalb hatte der Zauberer ihn, den Prinzen, kurzerhand in einen Schlittenhund verwandelt und gemurmelt: „In einen solchen Köter wird sich die schöne Prinzessin Tindra niemals verlieben".
Als der verzauberte Schlittenhund die Worte des Zauberers hörte, sprang er voller Zorn den Zauberer an. Dieser holte mit der Hundepeitsche aus und schlug kurzerhand so stark zu, dass der Hund sofort aus einer großen Wunde blutete.
Danach holte der wütende Zauberer abermals aus, aber die Wucht des Peitschenschlages löste aus einer Schneewand eine riesige Lawine, die den bösen Zauberer unter sich begrub.
Der Prinz berichtete weiter, dass er danach schnell zu den Hunden des Palastes lief und sich bei ihnen so lange verstecken wollte, bis er genesen war, aber die Hunde seiner Angebeteten seien bei seinem Erscheinen fürchterlich unruhig geworden und den Rest der Geschichte würde Tindra bereits kennen.
Bald darauf fand eine große Hochzeit im Eispalast statt. Die beiden, Tindra und ihr Prinz, lebten glücklich und zufrieden im Kreise ihrer blauäugigen Kinder - und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie heute noch.
Blaublütig - Märchen, 2012 Sperling Verlag, Nürnberg,
Hinter mir das Fenster, durch dessen vergitterte Stäbe nachts das Mondlicht in unsere Zimmer flutete, unsere Schlafstätten in fahles Licht tauchte, so dass zusätzlich auf dem klaren Weiß der Bettbezüge dunkle Gitter erschienen, als wollte uns selbst der Mond daran erinnern, dass wir eingeschlossen waren. Nicht nur unsere Körper waren unter Verschluss auch unsere kleinen Seelen.
Ich wandte meinen Blick wieder zu der blauen Tür, die mich drei lange Jahre von der Außenwelt abgeschlossen hatte, die heute einen Spalt breit offen stand. Auch steckte von außen kein Schlüssel im Schloss.
Damals stand die blaue Tür niemals auf, weder am Tag noch in der Nacht. Von außen steckte immer jener Schlüssel, der uns Abend für Abend einschloss. Aber jeden Morgen wurde die blaue Tür geöffnet, damit wir den Schlafsaal verlassen konnten. Danach wurde der Saal wieder zugesperrt bis wir dort am Abend wieder eingeschlossen wurden.
Durch die geöffnete Tür sah ich nun jene alte Treppe, die zu den Zimmern der Tanten führte. Tanten – so nannten wir unsere Erzieherinnen. Da, war da nicht etwas? Bildete ich mir nur ein, dass ich wie damals das Knacken der alten Treppe hörte. Zu jener Zeit konnte ich genau unterscheiden: Schritte nach oben oder Schritte nach unten. In der Nacht, wenn ich nach unten hörte, flammte in mir die Hoffnung auf, der Schlüssel möge sich im Schloss drehen, und die Tür möge sich auftun.
Anfangs stand ich unter dem Vorwand auf, ich müsse zur Toilette, ging zur blauen Tür und versuchte, mich durch Klopfen bemerkbar zu machen. Die Kinder, die schon länger in diesem Kinderheim waren, wiesen stumm auf den Nachtopf unter meinem Bett.
Tagsüber hielten wir uns in dem großen Raum direkt hinter der Eingangstreppe auf, aber auch diese Tür war stets abgeschlossen. Manchmal bei schönem Wetter durften wir in den Park, aber nur in ganz kleinen Gruppen, immer unter den strengen Blick der Erzieherinnen. Warum nur?
Wir waren Waisenkinder, hatten keine Eltern, keine Verwandten, so glaubten wir damals. Aber das stimmte nicht. Wir waren keine Waisenkinder, nur Kinder, deren Eltern als Republikflüchtige inhaftiert worden waren.
Nun reißt der Anblick der blauen Tür all die alten Wunden wieder auf, die Trauer um die Eltern, die Erinnerung an das Alleinsein, die Angst vor dem Eingeschlossen werden.
Nun ist der Ort verlassen, jeder, der hierher kommt, blickt auf die blaue Tür, die nun wohl immer offen steht. Wie jeder sehen kann, ist sie zerstört, wie eine große Wunde klafft ein Loch in ihrem Blatt.
Aber die Wunden und die Zerstörung in unseren Seelen sieht man nicht.
Verlassene Orte - Ein Haller-Taschenbuch, Hrsg. Corinna Griesbach, Maschinery-Verlag,, Murnau, Dezember 2012
Ganz leise erklingt eine Zigeunerweise
Da war sie wieder, diese Melodie voller Sehnsucht, Wehmut und Leidenschaft, Lachen und Weinen. Hanna saß am Fenster und lauschte den Klängen einer Geige. Woher kam die Musik? Vielleicht von den Zigeunern, die draußen am Rande des Ortes ihre Wagenburg errichtet hatten? Hanna bemühte sich zuzuhören, aber immer wieder verwehte der Wind die Melodie. In ihrer Fantasie sah sie die Zigeuner, wie sie um ein Feuer herum tanzten und lachten. Plötzlich wurde die Melodie so traurig, dass Hanna beinahe weinen musste. Aber wer, wer spielte so herzzerreißend Geige?
Im Ort hieß es: Zigeuner sind ein fahrendes Volk, das in Wohnwagen wohnt. Zigeuner sind faul und arbeitsscheu, stehlen und entführen sogar kleine Kinder. Einerseits veranlassten diese Vorurteile die Erwachsenen, Hanna und den anderen Kindern Kontakte mit den Zigeunerkindern aus der Wagenburg zu verbieten. Andererseits schlichen sich die Frauen heimlich dorthin, um sich dort von einer alten Zigeunerin aus der Hand lesen zu lassen. Andere Frauen, und manchmal auch Männer zogen es vor, sich die Karten legen zu lassen, um etwas über ihre Zukunft zu erfahren.
Vor allem die Männer verbreiteten Unwahrheiten über die Zigeuner, die angeblich jeder Arbeit aus dem Weg gingen, faul wären und schließlich auch noch alles, was nicht niet- und nagelfest war, mitgehen ließen. Dennoch leßen sich diese Männer von den Fremden Messer schleifen, Körbe flechten, Kessel flicken und manchmal auch ihre Pferde beschlagen. Interessiert sah Hanna dem Treiben der Erwachsenen zu. Je mehr Gedanken sie sich über die Zigeuner machte, desto magischer wurde sie von ihnen angezogen. In ihrer Fantasie stellte sie sich vor, wie sie mit einem schwarzhaarigen Zigeunerjungen auf dem Kutschbock eines Zigeunerwagens sitzt, der mit einem kleinen zottigen Pferd bespannt, sie beide durch die Welt zieht.
Eines Abends, ihre Lieblingsmelodie war ganz leise zu vernehmen, schlich sie sich trotz des Verbotes der Mutter hinaus an den Ortsrand. Je näher sie der Wagenburg kam, umso trauriger empfand sie das Spiel auf der Geige. Wer mochte dort spielen?
Ganz abseits saß ein kleiner schwarz gelockter Junge auf einem Strohballen und spielte so wunderschön Geige, dass Hanna sich einfach zu seinen Füßen hinsetzte und zuhörte. Der Junge mochte in ihrem Alter sein. Mutig sprach ihn das Mädchen an, aber der Junge antwortete nicht, sah sie nur mit seinen großen schwarzen Augen traurig an. Die Kleine lächelte ihm zu und plötzlich begann der Zigeunerjunge wieder zu spielen.