Endlich einmal kurze Geschichten. Inga Kess

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Endlich einmal kurze Geschichten - Inga Kess

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funkelte der Schalk. Hanna applaudierte ganz leise, so wie sie es bei den Erwachsenen gesehen hatte. Der Knabe strahlte sie an, nahm seine Geige und legte sie ihr in die Hand. Aber Hanna konnte nicht Geige spielen. Sie sagte: “Ich kann nicht spielen“. Augenscheinlich verstand er Hannas Worte, redete aber nicht mit ihr. „Vielleicht spricht du unsere Sprache nicht“, murmelte Hanna. Da stand der Zigeunerjunge auf, winkte ihr noch einmal zu und fütterte das Pferd, das in der Nähe eines Heuballens an einem Pflock angebunden war, mit Heu. Hanna eilte nach Hause.

      Am nächsten Abend erklang Gitarrenmusik. Es war ihre Melodie. Wer spielte da Gitarre? Diese Frage ließ ihr keine Ruhe. Also lief sie neugierig zu der Wagenburg. Dieses Mal spielte ihr Zigeunerjunge Gitarre. Noch atemlos vom schnellen Laufen streckte das Mädchen ihre Hand aus und begrüßte den Zigeunerjungen mit den Worten: „Ich heiße Hanna“. Er nahm ihre Hand freundlich entgegen, aber wiederum kam kein Wort über seine Lippen.

      Hanna kannte nur einen Zigeunernamen: Janosch. Also fragte sie: „Heißt du Janosch?“. Der Junge strahlte sie an und nickte. Galant reichte er ihr sein Instrument, aber Hanna konnte auch nicht Gitarre spielen. Traurig machte sie sich auf den Weg nach Hause. Am nächsten Tag vernahm sie eine wunderschöne, bisher noch nie gehörte Weise. Da nahm sie ihr Lieblingsbuch und lief zu den Zigeunern.

      Als Janosch Hanna sah, freute er sich und schaute auf das Buch, das Hanna in der Hand hielt: „Soll ich dir vorlesen?“, fragte das Mädchen. Janosch nickte. Während Hanna las, spielte der Junge ganz leise auf seiner Geige, nur zur Untermalung ihrer Geschichte. Es war eigentlich eine lustige Geschichte, die Hanna vorlas. Aber Janosch spielte plötzlich eine so melancholische Melodie, dass Hanna kurzerhand die Geschichte so änderte, dass sie ein trauriges Ende fand.

      Jeden Abend schlich sich Hanna zu dem Zigeunerjungen. Er spielte, sie las. Bald las sie nicht mehr, erzählte nun ihre eigenen Geschichten, so wie Janosch immer neue Melodien spielte. Immer dann, wenn Janosch nach Hause musste oder wollte, spielte er ihre Melodie.

      Doch eines Tages wartete das Mädchen vergeblich auf die abendlichen Geigenklänge. Es musste etwas geschehen sein. Hanna lief auf die Wiese, aber da war niemand mehr, kein Wagen, kein Pferd, kein Janosch. Weinend lief Hanna nach Hause, legte sich ins Bett und versuchte zu schlafen. In ihren Träumen hörte sie ihre Melodie, eine Melodie voller Sehnsucht, Wehmut und Leidenschaft, die Melodie, aus der sie das Lachen und Weinen ihres Janosch hörte.

      Mit der Zeit verblasste die Erinnerung. Bis eines Tages….

      Hanna war erwachsen geworden. Sie schlenderte mit ihrer kleinen Tochter über den Kirmesplatz. Da war sie wieder, ihre Melodie. Das konnte doch nicht sein! Ihr Blick fiel auf die Beschriftung der Autos-Scooter. Da stand tatsächlich Janosch’s Auto-Scooter auf den Wagen. Welch ein Zufall! Ein wenig abseits neben einem Strohballen und einem Pflock, an dem ein Pferdchen angebunden war, stand ein kleiner Junge, der auf einer Geige spielte, genau wie damals Janosch. Das war Janosch, die Ähnlichkeit war verblüffend. Das konnte doch nicht sein. Janosch musste etwa so alt sein wie sie. Bei der Melodie indessen, irrte sie sich nicht, es war ihre Melodie. Die Augen der jungen Mutter füllten sich mit Tränen. Sie wandte sich kurz ab, damit ihre Tochter es nicht sah. Deshalb fiel ihr zunächst nicht auf, dass sich ihre Tochter neben dem fremdartig aussehenden Jungen, der seine Geige weinen und wieder lachen ließ, auf dem Strohballen niedergelassen hatte und nun den schmelzenden melancholischen Klängen der Geige lauschte.

      Hanna blickten zwei tiefschwarze Augen an. Diese Augen kannte sie, solche Augen gab es nur einmal. „Janosch!“ entfuhr es ihr leise. „Hanna“? fragte ein junger, gut aussehender Mann. Aber, Janosch konnte doch gar nicht sprechen, fuhr ihr durch den Kopf und sie hörte sich fassungslos sagen: „Wieso kannst du sprechen?“

      Der junge Mann wies auf eine in der Nähe stehende Holzbank. Dort nahm er Platz und lud Hanna ein, sich neben ihn zu setzen. Jannosch holte tief Luft und dann sprudelten die Worte aus ihm heraus: „Ich konnte auch damals sprechen, aber meine Tante hatte mir gedroht, dass ich wieder ins Waisenhaus muss, wenn ich mit Fremden spreche.“ Janoschs Redefluss war nicht mehr zu stoppen. Er erzählte, dass er im dritten Reich, wie viele Zigeunerkinder, seinen Eltern weggenommen und ins Waisenhaus gesteckt wurde. Diese Zigeunerkinder sollten nicht wie die Zigeuner leben, hieß es damals. Sie sollten dort Zucht und Ordnung lernen..

      Wieder war diese unendliche Traurigkeit zu spüren, als Janosch berichtete, dass seine Eltern in einem Lager umgekommen waren. Seine Tante habe ihn dort herausgeholt. Um ihn zu schützen, habe sie ihm das Reden verboten.

      „Das ist ja unmenschlich“, entgegnete Hanna traurig. Janosch lächelte und fragte: „Hättest du mir jeden Abend Geschichten erzählt, wenn ich gesprochen hätte? Übrigens ich heiße nicht Janosch sondern Nanosch. Du warst also ganz nah dran“.

      „Was machst du denn hier am am Auto-Scooter?“, fragte Hanna. Janosch-Nanosch lachte, dass man seine weißen Zähne blitzen sah und plauderte: „Du weißt, wir Zigeuner, heute sagt man Roma, sind ein fahrendes Volk. Der Betrieb war damals ein kleines Karussell und gehörte meiner Familie. Jetzt gehört das Geschäft mir. Ich wusste immer, dass ich dich einmal wieder sehen würde.“

      Im Hintergrund spielte noch immer der kleine Junge. Nanosh war in seinem Redefluss kaum zu stoppen und fuhr mit dem Erzählen fort. „Als ich dich gestern mit deiner Tochter, das kleine Mädchen ist doch deine Tochter? sie sieht dir unheimlich ähnlich, am Auto-Scooter sah, war ich mir nicht sicher, ob du es warst. Aber ich wusste, dass du wieder kommen würdest, wenn du Hanna bist. Also bat ich heute meinen Sohn Janosch unsere Melodie zu spielen. Weißt du, Hanna“, Nanosch machte eine kurze Pause, holte tief Luft, ergriff ihre Hände und umarmte sie, flüsterte ihr ins Ohr: „Du hast mir damals mit deinen Geschichten und deiner Freundschaft so viel Freude gegeben. Bis heute macht es mich traurig, dass ich dir niemals „danke“ sagen durfte “.

      Als die Melodie im Hintergrund verstummte, drehten sich beide um und sahen, dass Hannas Tochter Nanoschs Sohn umarmte.

       Zwischen Mythos und Wirklichkeit, Codi-Verlag, Westeregeln, 2013

       E-Book, Short Stories "Ganz leise erklingt eine Zigeunerweise...", Neobooks, 2014

      Arme oder Warme Ritter

      Ein beliebtes Gericht der Nachkriegszeit waren die Armen Ritter. Altbackene Weißbrotscheiben oder Brötchen wurden kurz in Milch eingelegt, dann in einem Pfannkuchenteig gewendet und in der Pfanne gebraten, Annas Lieblingsspeise.

      Bei Anna zu Hause gab es oft Arme Ritter. Die kleine Anna saß mit ihren Geschwistern am Tisch, als die Mutter die ersten Armen Ritter brachte.

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      „Heute schmecken die warmen Ritter aber gut“, bemerkte Anna. „Das heißt nicht warme Ritter, sondern Arme Ritter“, belehrte sie ihr Bruder, „Nein warme Ritter. „Nein, Arme Ritter“, stritten die Geschwister weiter. Annas Bruder stand auf und holte das Kochbuch. „Siehst du, hier hast du es schwarz auf weiß, es heißt Arme Ritter". Anna nahm die Hand ihres Bruders legte sie auf die erneut von der Mutter hereingebrachten Armen Ritter. Erschrocken zog ihr Bruder die Hand mit einem kleinen Aufschrei zurück. Nun belehrte die kleine Anna ihren großen Bruder: „Siehst du, diese Ritter sind sogar heiß, aber bis du sie isst, sind sie nur noch warm, also sind die Armen Ritter in Wirklichkeit warme Ritter“, worauf ihr Bruder unverschämt grinste.

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