Das Schicksal und andere Zufälle. Sabine Otto

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Das Schicksal und andere Zufälle - Sabine Otto

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      Und wieder fühlte Elli sich total einsam in ihrer Wohnung. Doch da war noch etwas anderes, was sie bedrückte. Kai und sie hatten sich die Miete bisher geteilt. Sie würde es sich gar nicht leisten können, hier weiter wohnen zu bleiben, sollten sie sich wirklich trennen. Sie würde sich etwas Kleineres und Günstigeres suchen müssen. Aber vielleicht war das sowieso besser, als weiterhin in dem Appartement zu wohnen, in dem sie alles an Kai erinnerte. Sie musste sich ehrlicherweise eingestehen, dass es nicht der Gedanke an Kai war, der sie traurig stimmte, sondern die Erinnerung an eine geborgene, vertraute Zweisamkeit. Kurzum, sie musste zugeben, dass sie Angst vor dem Alleinsein hatte. Nachts war es besonders schlimm! Da hatte sie keine Ablenkung und die Gedanken kreisten ungehindert in ihrem Kopf herum. Komischerweise fielen ihr, wie sie so in ihrem Bett lag, dann nur noch die schönen Momente ein, die aus allen Ecken ihres Unterbewusstseins hervorkrochen. Nachdem sie sich bis weit nach Mitternacht hin und her gewälzt hatte, quälte sie sich wieder aus dem Bett, um im Badschränkchen nach Beruhigungsmittel oder Schlaftabletten zu suchen. Nichts! Wieso auch! Sie und Kai hatten nie unter Schlafstörungen gelitten! Dann musste sie sich halt mit Rotwein betäuben. Gesagt getan. Und wirklich nach einem Glas war Elli auf einmal sehr müde. Sie konnte nur noch denken, bevor sie ins Bett sank, dass das nicht zur Gewohnheit werden dürfe, sonst würde sie noch als einsame, alte, traurige Alkoholikerin enden, der ihr Leben entglitt und die keiner mehr haben wollte.

      Ihm ging einfach der gestrige Vormittag nicht mehr aus dem Kopf. Diese Frau hatte ihn doch mehr beeindruckt, als er sich eingestehen wollte. Während Jan Beckmann in seiner Betriebskantine zu Mittag aß, schweiften seine Gedanken immer wieder ab, obwohl seine Assistentin unablässig auf ihn einredete. 'Man müsse sich das gut überlegen mit der Projektvergabe, es hinge ja schließlich sehr viel von dieser Werbekampagne ab. Es täte ihr sehr leid, dass sie gestern krank gewesen sei, aber heute Nachmittag, wenn der zweite Bewerber sein Angebot präsentieren wird, wäre sie natürlich an seiner Seite. Da könne er ganz unbesorgt sein.' Nathalie Weber lächelte ihren Boss an und schüttelte kokett ihr schulterlanges dunkles Haar. Jan lächelte geistesabwesend zurück und nickte: „Klar können Sie heute mit dabei sein.“ Insgeheim hatte er sich sowieso schon entschieden. Er neigte zwar nie dazu, seine beruflichen Entscheidungen von emotionalen Gründen beeinflussen zu lassen, aber diese Frau Funk ging ihm nicht mehr aus dem Sinn. Davon abgesehen, rechtfertigte er sich vor sich selbst, hatte sie ihr Konzept überzeugend, stichhaltig und kompetent vorgetragen. Der Form halber musste er sich jedoch noch ein zweites Angebot einholen.

      „Wie bitte?“ Jan zuckte zusammen. „Ich habe die Frage nicht ganz mitbekommen.“

      „Wie das Treffen gestern war, wollte ich wissen.“

      „Wir werden morgen die Berichte zusammen durchgehen und dann die Entscheidung fällen“, wich er aus.

      „Nehmen Sie noch ein Dessert?“ fragte er, obwohl er genau wusste, dass seine Sekretärin extrem auf ihre Figur achtete und niemals etwas so Sündhaftes essen würde, wie einen süßen Nachtisch. Ihr Kopfschütteln bestätigte seine Vermutung.

      „Na, dann müssen wir jetzt los. Sind sie soweit?“

      „Sicher“, meinte Nathalie munter, „von mir aus können wir gehen.“

      Beide räumten ordnungsgemäß ihr Tablett bei der Rücklaufstation ein. Jan legte sehr viel Wert darauf, genau dort zu Mittag zu essen, wo seine Mitarbeiter ihre Mahlzeit einnahmen. Erstens bildete er sich ein, sich so ein Bild von der Stimmung seiner Mitarbeiter machen zu können und außerdem sorgte er so auch gleichzeitig für eine kontinuierliche Qualität des Speiseplanes. Der Betriebsleiter seiner Kantine achtete so viel mehr darauf, was er zubereitete, wenn der Chef das Gleiche aß wie seine Angestellten.

      Während sie in seinem Auto, einem flotten Jaguar Cabrio, zu ihrem Termin fuhren, plapperte seine Assistentin ohne Unterlass auf ihn ein. Sonst war ihm das eigentlich immer gleichgültig gewesen. Auch die Tatsache, dass sie sich wohl in ihn verguckt hatte, ignorierte er normalerweise. Aber heute war es ihm irgendwie lästig. Er wollte lieber in Ruhe seinen Gedanken nachhängen. Aber sie waren ja sowieso gleich bei dem anderen Bewerber angekommen. Er hoffte, dass deren Vorschlag schlechter war als der, von der Agentur Wagner. So würde er guten Gewissens seine Entscheidung treffen können.

      Das hatte er sich nicht so vorgestellt, als er den Brief geschrieben hatte. Er hätte in der Geschichte eigentlich der strahlende Held sein sollen, der sich auf seinem edlen Ross in Richtung Sonnenuntergang bewegte, während sie weinend und nach ihrem Herzallerliebsten schmachtend zurückblieb. Gut, das mit dem Weinen und Schmachten konnte er nicht überprüfen, aber der erste Teil schien sich auch nicht im Entferntesten zu erfüllen. Er fühlte sich alles andere als heldenhaft, eher sehr einsam und alleine. Dabei war doch er derjenige, der seine Freundin verlassen hatte. Trübsinnig starrte Kai zum Fenster hinaus. Das Wetter trug auch in keinster Weise dazu bei, seine Stimmung zu heben. Es nieselte unaufhörlich, alles war grau. Tim, bei dem er erst einmal untergeschlupft war, verbrachte das Wochenende bei seiner Freundin. Und es war erst Freitagabend! Er hatte sich ein bisschen Ablenkung und Trost von seinem Kollegen und einzigen Freund erhofft, aber lieber hätte er sich die Zunge abgebissen, als ihn zu bitten, bei ihm zu bleiben. Bevor ihm nun die Decke auf den Kopf fiel, ließ er sich doch lieber bei einem kleinen Abendspaziergang durchweichen. Gesagt getan! Nichts wie raus aus der fremden Wohnung. Anstatt in den Sonnenuntergang zu reiten, lief er zwar jetzt in den kalten Regen und dichten Nebel hinein, aber es passte zu seiner Stimmung und hatte irgendwie etwas Melodramatisches an sich.

      Plötzlich fand er sich in seiner alten Straße stehend und zu seiner Wohnung hinaufschauend wieder. Es war nichts zu erkennen, außer dass Licht brannte. Ob er wohl mal kurz hinaufgehen sollte, um zu schauen wie es ihr so ging? Bloß nicht, ermahnte ihn sein Ego. Wie sieht das denn aus, wenn er von zwei Monaten nicht einmal die erste Woche durchhielt. Schnell eilte er weiter, bevor ihn noch jemand dabei ertappen konnte. In Gedanken und Selbstmitleid versunken, kam ihm die Gegend auf einmal wieder sehr bekannt vor. Wann war er hier noch gleich gewesen? Ach ja, das war ja gerade letzte Woche gewesen, als er mit Tim, Linda nach Hause gebracht hatte. Es kam ihm schon wie eine Ewigkeit vor. Ob er wohl mal bei ihr klingeln sollte? Vielleicht hatte sie ja Lust darauf, mit ihm etwas trinken zu gehen. Aber es könnte ja auch sein, dass sie gar nicht alleine war. Eigentlich wusste er gar nichts von seiner Kollegin; nicht einmal, ob sie einen Freund hatte oder vielleicht noch bei ihrer Mutter wohnte.

      Genau in diesem Moment ging die Haustür auf und Linda trat mit einem Müllsack heraus. Verdutzt schaute sie ihn an.

      „Was machst Du denn hier?“

      „Ehm“, verlegen druckste er herum. Es sah ja fast so aus, als ob er mit Absicht zu ihr gekommen war. „Ich bin gerade zufällig hier vorbeigekommen. Habe einen Abendspaziergang gemacht.“

      „Klar, ich gehe bei diesem Wetter auch immer noch mal um den Block.“ Spöttisch schaute sie ihn an. Aber dann sah sie etwas in seinem Blick, das nicht zu dem flachsigen Umgangston, den sie sonst miteinander pflegten, passte.

      „Eigentlich wollte ich nur den Müll in die Tonne werfen, aber wenn Du Lust hast, kannst du mich auf ein Bier einladen. Ich kenne da eine ganz nette Kneipe, gleich um die Ecke.“ Fragend blickte sie zu ihm auf.

      „Warum eigentlich nicht. Ich habe eh gerade nichts Besonderes vor.“ Betont lässig stimmte er zu. Bloß nicht zeigen, wie froh er über ihre Gesellschaft war.

      „Ach, ich dachte, Du wolltest die Pfützen zählen.“

      „Du muss auch immer das letzte Wort haben.“

      Schweigend setzte sie sich in Bewegung, keinen Zweifel daran lassend, wer hier immer das letzte Wort haben musste.

      In der Kneipe angekommen, ergatterten sie noch einen freien Tisch, bestellten sich

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