Täubchen alla Boscaiola. Martin Schlobies

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Täubchen alla Boscaiola - Martin Schlobies

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vor - glaube ich warten und weiterleben zu können, nur weil es den Himmel gibt.“

      „Worauf wartest du denn?“

      „Ich weiß es nicht. Auf irgendetwas. Denn ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß nach Ablauf der Nacht wirklich immer nur Müll auf den Straßen liegen sollte . . . “

      „Es kommt vor, daß jemand viel Geld hat und trotzdem welches auf der Straße findet.“

      „Das meine ich nicht!“

      „Mir gefällt es jedenfalls, daß du zu Warten gelernt hast.“ Der Pfarrer lächelte wieder.

      Signor Botello sah ihn voller Mißtrauen an, rückte ein wenig von dem Pfarrer ab, um ihn besser beobachten zu können. Er hätte sich noch weiter entfernt, wenn ihn der Pfarrer nicht, immer noch lächelnd, mit einem Vorschlag festgehalten hätte,

      „Wir sollten wieder einmal Angeln gehen!“

      „Wir?“

      „Ja, du und ich!“, erwiderte der Pfarrer.

      „Ich? - und du? - Ja! - Ist gut!“ sagte Signor Botello trocken und verwirrt; er ging fort, ohne Guten Abend zu sagen; ging jetzt die schmale Straße außerhalb des Dorfes entlang, zur Bleigrube.

      An einer seit Jahren vernachlässigten Baustelle blieb er stehen, schüttelte den Kopf, und murmelte seine Kritik, „Das hätte die Gemeinde nun wirklich längst in Ordnung bringen können! Ein Skandal, wie man für so eine kleine Straßenreparatur Jahre brauchen muß . . . “

      Schnell nahm er seinen Weg wieder auf, aber sein Gesicht hatte jetzt einen verbissenen, bösen Ausdruck. Nur seine einsamen, sich ständig wiederholenden Gedankengänge begleiteten ihn.

      Endlich war er bei der Erz-Grube angelangt, wo sein Hund schon an der langen, straff gespannter Kette stand, still, doch mit heraushängender Zunge. Signor Botello band ihn los.

      Der Hund strich ihm um die Beine, bittend, doch Signor Botello war heute unwillig, das leise Fiepen und Hecheln und Winseln zu hören, sodaß er immer wieder besänftigend: „Schön ruhig!“, sagte.

      Inzwischen war es dunkel geworden. Das silberne Licht, das aussah wie vom Himmel herabgefallen, war längst einem undurchdringlichen Grau gewichen und jeder Wind hatte aufgehört. Signor Botello schloß das Haus neben der Erzgrube auf und holte sich eine Flasche Wein und ein Glas. Damit setzte er sich an die Wand des Hauses, den Blick auf den unter ihm liegenden Hang neben der Grube gerichtet. Der Mond ging gerade auf, sodaß der rauhe Hang, die Kuppen der Berge und das ferne, tief unten liegenden Meer, nach und nach in gespensterhafter keuscher Klarheit emportauchten.

      Nun machte Signor Botello sich ruhig an sein Abendbrot heran, das er auswickelte, auf dem Papier ausbreitete, und mit dem Hund teilte, der seinen Teil gierig verschlang und dann seinen Kopf auf die Schuhe Signor Botellos legte. Sorgfältig faltete Signor Botello das Papier wieder zusammen und steckte es in die Tasche.

      An einem anderen Abend wäre er selbst bald zur Ruhe gegangen, wäre selbst gern eingeschlafen, aber heute offenbarte sich ihm das Verrinnen der Zeit so schonungslos wie nie zuvor, und er war sogar - für einen kurzen Moment - bereit, an die Ewigkeit zu glauben.

      In den letzten Jahren war er oft hier, in der Nähe der Erz-Grube, allein mit seinem Hund, lieber als in seinem Zuhause, wo er sich immer mehr als Fremder fühlte. Doch heute fühlte er das unerbittliche Schweigen der Natur um ihn herum, fühlte, wie sehr er selbst allein mit diesem Hund war, der leise zu seinen Füßen schnaufte, - all das, was ihm sonst so wohltuend gewohnt war, erschien ihm heute so verloren und machte es ihm unmöglich, Ruhe zu finden. Es genügte ihm plötzlich nicht mehr, den schmeichelnden Hals und Kopf des großen Tieres an seinen Beinen zu spüren.

      Er atmete tief ein, wie um die Gedanken zu verscheuchen, die ihn so oft gequält hatten. Und wie schon vor der Kirche, in der Nähe des Klosters, wurde alles blitzartig in ihm lebendig, seine frühere Jagd nach dem Glück, die Demütigungen, die Enttäuschungen, und vor allem - seine Eifersucht, seine unsinnige, heftige Eifersucht!

      Schließlich wurde er doch ein wenig müde, beugte sich liebevoll über seinen Hund, der aufgeschreckt seinen Kopf hob und ihn fragend ansah. „Nun, kannst du so einschlafen oder muß ich dir eine Gutenacht-Geschichte erzählen?“

      2. Kapitel

      Antonio, der Hauswart der Pension in den Bergen, hatte Pauline angeboten, sie in seinem Wagen mit nach unten zu nehmen, in die Stadt, nach Cefalú, wo er sie an einem kleinen Platz absetzen sollte, oberhalb einer Kehre der Landstraße, einer Stelle, die sie sich am Tag zuvor ausgesucht hatte, um dort zu malen. Inzwischen waren sie dort angelangt.

      „Halten Sie jetzt bitte!“, rief sie, „Hier ist es!“

      „Unmöglich! - Impossibile! Signora!“, rief Antonio, „Ich kann hier nicht anhalten!“ Er fuhr um die Kehre herum, fuhr weiter und weiter, bremste endlich und setzte sie viel zu weit unten ab; - obwohl es weiter oben auch gegangen wäre, sie hatte es doch gesehen, dort in der Einfahrt! - sodaß sie die schwere Staffelei und ihre Tasche mit dem Wasser, dem Papier und den Farben ein ganzes Stück die Straße wieder zurück und die Treppe hoch zu der kleinen Plattform schleppen mußte.

      Keuchend und ganz außer Atem langte sie oben an, konnte ihre Sachen neben dem Geländer abstellen, und warf einen ersten prüfenden Blick auf das Meer, auf Cefalú, den mächtigen Normannenfelsen, der die Stadt dominierte. - Raphael hatte es ihr erklärt, daß es ein Basaltkegel vulkanischen Ursprungs sei, - er als Bergbau-Ingenieur kannte sich in Geologie natürlich aus. - mit Tempelresten oben, - wo gab es hier in Sizilien nicht oben auf den Bergen Reste von griechischen Tempeln? -

      Raphael!

      Gestern noch war ihr die Aussicht hier so wunderbar vorgekommen! - Doch jetzt fiel ihr der entsetzliche Lärm auf, das Rauschen des ständig vorbeifließenden Verkehrs, die Lastwagen, die Motorräder, das Bremsen, das Hupen, die aufheulenden Motoren; dazu stieg quälend der Gestank von Dieselqualm zu ihr hoch und beleidigte ihre Nase.

      Nun hatte sie alles ausgepackt, ihre Staffelei aufgestellt, und stand, das Gesicht unter dem Strohhut geschützt, und begann zu zeichnen, - doch die Striche wollten sich nicht fügen, sie war unaufmerksam, nervös, und wieder überfielen sie die Gedanken an den Mann, den sie gestern kennengelernt hatte. - Raphael.

      Diese Idee, nach Sizilien zu fahren und hier allein in der Landschaft zu stehen und zu malen, - und was denn überhaupt? - erschien ihr auf einmal absurd. Der Ort, an dem sie stand, der Ausblick auf die Stadt und das Meer erschien ihr häßlich, ohne jeden Reiz, und sie begann ihn zu verabscheuen.

      Plötzlich hatte sie den Wunsch, all ihre Malsachen einzupacken oder sie über die Brüstung des kleinen Platzes zu werfen, - und sie hätte es getan, wenn sie dadurch diesen Mann, den sie gestern getroffen hatte, sich hätte hierher zaubern können.

      Würde sie ihn denn jemals wiedersehen?

      Wie groß war Sizilien!

      Sie hatte nichts zu ihm gesagt, weil sie gewartet hatte, daß er etwas sagen würde, und er hatte nichts zu ihr gesagt, - ja warum? Vielleicht hatte sie sich ihm gegenüber zu abweisend gezeigt?

      So waren sie auseinandergegangen, ohne eine Verabredung zu treffen.

      Warum?

      Immer

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