Täubchen alla Boscaiola. Martin Schlobies

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Täubchen alla Boscaiola - Martin Schlobies

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Mal sah. Die Pferde kamen neugierig angetrabt und schnupperten an ihr. Die Tiere, die Kette der Berge im Morgendunst, die frische Luft gaben ihr eine Erlaubnis, ja, eine Freude am Leben, wie sie sie selten empfunden hatte.

      Vorsichtig ging sie um das Haus herum, sah suchend die kleine steile Treppe hoch, die zu Raphaels Zimmer führte, seinem Schwalbennest, - die Tür und das Fenster daneben standen offen. Er war also schon aufgestanden!

      Vorsichtig lief sie ein wenig weiter in den Garten hinein, und da hatte sie Raphael auch schon entdeckt. Unter einer der Pinien, an ihrem Frühstücksplatz, saß er und las die Zeitung. Eine Kanne stand schon da, wohl mit heißem Kaffee, und ein Tablett mit Geschirr. Offenbar hatte er selbst das Geschirr geholt und hierher geschleppt. - Alles war bereit für ein Frühstück hier draußen, unter den Pinien, angesichts der Bergkette, der Ausläufer des Ätnamassivs. Und - er hatte noch nicht angefangen, hatte also auf sie gewartet!

      Da blickte er auf, sah sie kommen, faltete die Zeitung zusammen und stand auf. Nach der Begrüßung sagte sie streng:

      „Wie kann man angesichts dieser Natur, dieser Schönheit eine Zeitung lesen?“ Raphael lachte nur,

      „Ich muß schließlich wissen, wie das Wetter ist! - Nein,“, gestand er dann, „Das ist leider Arbeit, die Rohstoffnotierungen.“

      „Sind Sie schon lange auf?“

      „Oh, ja, ich habe die Pferde begrüßt und begutachtet. - Wir sollten einmal zusammen ausreiten!“ Pauline geriet in Verlegenheit, denn sie konnte nicht reiten. Schließlich erwiderte sie zögernd,

      „Man kann hier Reitstunden nehmen …" Anscheinend hatte er sie verstanden, denn er sagte,

      „Es ist nicht so schwer!“

      „Wie schön, daß Sie wir draußen frühstücken können!“, sagte sie.

      „Ja,“, erwiderte er, „ich wollte es einmal anders haben als sonst! - Auch Sie sollen es anders haben, als es alle Tage war!“

      „Dann hätte ich, wie jede Frau, wenigstens erwartet, daß Sie den Frühstückstisch mit Rosen dekoriert hätten. Dazu einen großen Zettel, mit einem Pfeil an einem Baumstamm befestigt: 'Für Pauline!' “ Raphael grinste nur frech und beobachtete, wie sie das Geschirr und das Besteck auf dem Tisch verteilte.

      „Mir gefallen Ihre raschen Bewegungen,“, sagte er unvermittelt, „wie Sie eben auf mich zukamen, - und wie Sie jetzt den Tisch decken.“

      „Soll ich jetzt verlegen sein?“ Sie war auf einmal sehr verwirrt, ging mechanisch weiter um den Tisch herum, stellte die Tassen ab, es war ein tapferes Sich-Stemmen gegen diesen Überfall! Gab es denn dagegen, gegen diese männlichen Überfälle, keinen Schutz? Mißtrauisch sah sie ihn an.

      Er war schon wach, schrecklich wach, während es ihr auf einmal vorkam, als würde sie sich noch zusammensuchen müssen, - aus den Stücken, die die schlaflose Nacht von ihr übrig gelassen hatten. Dabei war er doch gerade angekommen, und sie hatte sich schon vier Wochen lang erholen können!

      „Erst einmal den Kaffee bitte,“, sagte sie, „vorher findet noch gar kein richtiger Tag statt bei mir!“ Mit halboffenen Lidern beobachtete sie, wie er mit vollkommen sicherer Hand - ohne zu zittern! - ihr Kaffee einschenkte. Er redete auch schon, er hatte Pläne, - dabei war doch alles viel zu früh! Obwohl die frische Luft so aussah, sich so anfühlte, so atmete, als sei es schon hell, und als sei es wirklich der Morgen, nicht nur ein verlängerter heller Traum.

      Pauline kam morgens erst langsam zu sich. Bis dahin mußte sie sich verstecken, so tun als ob. So tun, als ob sie Appetit hätte, Interesse an seinen Worten, am Tag, an sich selbst, an all dem, was mit ihr vorging, - es war ein großes Versteckspiel, jeden Morgen, und niemand merkte es, normalerweise!

      Da machte Raphael den Mund auf und wollte etwas sagen.

      „Noch nicht fragen, bitte!“, sagte sie. Er lachte belustigt. Und sie hielt ihm die Tasse hin, die er wieder mit Kaffee auffüllte.

      Aus lauter Verlegenheit tat Pauline so, als sei sie schon konzentriert im Anschauen der Landschaft, sei schon dabei, sich auf neue Bilder vorzubereiten, - doch, wenn sie ehrlich war zu sich, mußte sie immer vorbeisehen an ihm, um ihn nicht immerzu anzusehen, - denn das wäre doch nicht gut, oder?

      Und es kam ihr unwirklich und geradezu überwältigend vor, daß sie hier draußen saßen, unter den wirklichen Pinien, angesichts dieser wunderbaren wirklichen Berge, wirklichen Kaffee tranken, - alles ganz einfach, als ob nichts geschehen sei. Und es war ja auch nichts geschehen. - Und soviel!

      „Milch?“ Sie schüttelte heftig den Kopf,

      „This is not good for me!“

      Es schien ihm zu gefallen, merkwürdigerweise, wie sie etwas ablehnte: „This is not good for me!“, wie sie Wünsche äußern konnte, etwas verwarf oder annahm, - dabei ahnte er nicht, daß sie oft, wie ein Falter zwischen ihren eigenen Strebungen hin- und hertaumelnd, - ohne jedes Konzept, aber stur, völlig zufällig Entscheidungen traf, - und sich so ihrer eigentlichen Willenlosigkeit überließ.

      Sie erzählten jetzt beide von sich, und da fiel ihr plötzich etwas auf: Sie hatte nur einen Lebenslauf zu berichten, aber Raphael mußte deren mehrere haben, immer gab es, wenn er von sich erzählte, kleine Überraschungen. Wenn er Kindheits-erinnerungen auspackte, waren es die Ferienwochen, die er schon als Kind mit der Familie regelmäßig, - nein immer! - am Meer verbracht hatte, jedes Jahr! - 'Ohne das Meer könnte er es nicht aushalten!' - zeigte dann aber Ferienfotos von dem kleinen Jungen, der er gewesen war, vor einer Bergkulisse.

      Stolz berichtete er, wie er als Junge die Haare immer lang getragen habe, und deswegen von den andern Jungen gehänselt worden sei, - sie nahm das Foto noch einmal zur Hand, und auf dem Foto waren seine Haare ganz kurz geschnitten, ein Igelschnitt.

      Als junger Mann hätte er angeblich nur Klavier gespielt, war nicht wegzubringen gewesen vom Klavier, 'laß doch das Klimpern!', habe es in der ganzen Familie geheißen, von Musik hätte er geträumt, von Musik hätte er leben wollen, - dann behauptete er plötzlich, daß er eigentlich am liebsten habe Medizin studieren wollen, nach Afrika, nach Lambarene gehen, oder anderswohin, wo den Menschen noch zu helfen wäre, eine Mission erfüllen, eine Sendung, - egal ob es gefährlich wäre oder nicht.

      Etwas war geblieben davon: Er hatte ein Patenkind in Venezuela, das hatte er einmal besucht, dort ein Vierteljahr in Armut und im Dreck gelebt.

      Ihr eigenes Leben kam ihr jetzt so geradlinig vor, mit dem Studium, und ihrem Dasein als Lehrerin, die sich allerdings weiß Gott was für ein Leben erhofft hatte, - mit ihrem Aussehen, mit ihrer erstklassigen Intelligenz, mit ihrem Einserabitur und ihrem Einserexamen, ihrer Promotion, - und sich nun nach einer gescheiterten Ehe und als alleinerziehende Mutter in einer kleinen Wohnung in Berlin-Lichtenrade wiederfand.

      „Sie sind also Lehrerin!“, fragte er.

      „Ja! Ich bin Lehrerin, - aus Kindern Menschen machen, oder es jedenfalls versuchen!“

      „Eine Lehrerin, ja, das dachte ich mir, gleich beim ersten Mal! - Welches Fach? Kunst?“

      „Nein, Mathematik und Deutsch!“

      „Da haben Sie ja eine große Verantwortung.“ - Sie lächelte,

      „Ja, es ist wirklich eine, und eine, der ich mich nicht entziehen kann, wenn ich in der Schule bin, aber

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