Fall eines Engels. Simone Lilly
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Gedanklich schon darauf eingestellt wieder gehen zu müssen und gar nicht erst aufgenommen zu werden, folgte er seinen Eltern zu kleinen Bänken auf denen andere Engel saßen. Brav setzte er sich dort zwischen sie, die Eltern standen hinter ihnen.
Sofort rückten einige taktvoll von ihm fort. Nicht zu weit sodass es lächerlich wirkte, jedoch nicht zu nah, dass sie sich berühren hätten können.
Seine Eltern trugen es mit Fassung, Adral war noch zu klein um es begreifen zu können, Raphal aber verstand. Peinlich berührt senkte er den Kopf. Soweit wie es ihm sein Rücken erlaubte.
Ein weiterer Engel betrat den Raum. Es war eine Frau. Sie lächelte als sie federleicht zu ihnen schwebte, sie war groß, überragte andere um einige Köpfe. Immernoch lächelnd landete sie vor einem Pult, stützte sich darauf ab und hob kurz darauf die Hände, feierlich. Gab es wirklich etwas zu feiern? Wohl kaum.
„Ich möchte euch alle, liebe Engel.“
Da war es! Sie sagte Engel, nicht Teufel. Ein Raunen ging durch den Saal, alle dachten dasselbe.
„Begrüßen. Ein neues Jahr beginnt. Für viele beginnt nun die Ausbildung. Die Ausbildung zu einem gewissenhaften Engel ...“
Raphal hörte nicht mehr zu, wollte davonfliegen, zum Tor. An seinen Lieblingsort. Dorthin wo sie Adriel als er alt und gebrechlich war begleitet hatten.
Jedesmal wenn Raphal dort war hoffte er ihm begegnen zu können. Hoffte er würde einfach wieder in den Himmel aufsteigen, mit ihm reden und ihm zuhören. Nie mehr war es ihm aber möglich.
„Ich werde nun eure Namen aufrufen. Ihr kommt, von euren Eltern begleitet nach vorne, stellt euch vor und werdet dann in eure Gruppen eingeteilt.“
Jedes Jahr gab es verschiedene Gruppen. Besonders kleine Engel wurden zusammengestellt. Besonders kluge, besonders schnelle oder besonders starke. Bevor man sich überhaupt anmelden konnte, musste man sich einem Test unterziehen. Raphal hatte sich davor gedrückt, erhielt aber trotzdem eine Bestätigung. Warum? Mitleid, das war die Antwort. Der Engel der ihn testete, hatte es gehabt. Praktisch und demütigend zugleich.
Mit der Gewissheit nichts zu sagen, wenn er da vorne stand, hätte Raphal heulen können. Die Frau nahm eine Liste an sich, studierte sie einige Male und begann dann zu lesen.
Raphal war genau in der Mitte.
„Raphal“, hieß es schließlich nach einer Hand voll andere Namen. Mit Schrecken erkannte er, dass er gemeint war. Alle blickten zu ihm.
„Komm.“, hauchte sie in einem gewohnt säuselnden Ton, den sie bereits bei 5 anderen Engeln angewandt hatte.
Mit wackligen Beinen stand er auf. Wollte nicht fliegen, denn keiner hatte es getan, fühlte sich aber zu Fuß unsicher und ausgeliefert.
Langsam ging er vorwärts. Ein Luftzug umhüllte ihn. Er merkte, dass ihm seine Eltern folgten.
Bitte nicht!
Die Frau, das konnte er sehen, verzog das Gesicht. Wollte es sich allerdings vor ihm nicht anmerken lassen, grinste und schloss ihn kurz in die Arme.
Alle warteten. Schüchtern blickte er nach unten auf die erstaunten Schüler. „Ich ... heiße Raphal.“, stotterte er, niemand beachtete ihn mehr, alle Aufmerksamkeit ruhte auf seiner restlichen Familie.
„D ... d ...d ...“ , wilde Gedanken stoben ihm durch den Kopf, ihm wurde schwindelig, konnte sie nicht ordnen. „Das ... sind ... sind ... Freunde meiner Eltern.“, platzte es aus ihm heraus. Schnell fing er sich einen düsteren Blick seiner Mutter ein. Sie sagten nichts, weshalb er ihnen sehr dankbar war.
„Sie mussten Arbeiten“, erklärte Raphal kurz. Seine Eltern schwiegen, Adral gluckste kurz, er mied ihren Blick.
„Wir konnten ihn nicht alleine gehen lassen und hielten es für besser ihn zu begleiten, bis seine Eltern wieder Zeit haben.“, lockerte seine Mutter schnell das eiserne Schweigen und legte einen Arm um Raphals Schulter, unterließ es aber nicht ihre Nägel spitz in seine Haut zu bohren. Raphal spürte den Schmerz. Es war nicht der Schmerz ihrer Nägel, sondern der seiner Lüge. Doch was sollte er tun? Sollte er ihnen wirklich sagen, dass seine Eltern Teufel waren? Das konnte er nicht. Durch diese Worte wäre ein so junger Engel wie er es war vernichtet worden.
So hatte er damals gedacht und so dachte er auch heute.
Raphal
Ohne noch zu wissen, wovon er soeben geträumt hatte, drehte er sich auf den Rücken. Wie immer gelang es ihm nur schwer dort Halt zu finden, seine langen Flügel, welche ihm aus dem Rücken stachen, machten es ihm schwer, sich überhaupt ordentlich drehen zu können. Zum Glück waren die Knochen elastisch, sodass er sich wunderbar verbiegen konnte und schon bald an die geräumige und durchsichtige Decke blickte.
Adriel war ihm ein guter Freund gewesen. Oft dachte er noch daran, wie ihm der alte Mann vorgelesen hatte oder ihm Geschichten erzählt hatte. Die allseits bekannte Sage über ihr Volk mochte er am liebsten.
"Doch noch immer hofft man, mit der lang herbeigesehnten Geburt eines neuen ungleichen Geschwisterpaares, die Prophezeiung würde sich mit ihnen erfüllen und der Kampf von damals endlich fortgeführt und gewonnen werden."
Nur der eine Satz, mehr war es nicht. Es waren wenige Worte, jeder kannte sie, vielmehr ein Gedicht, welches die Kinder schon zu Beginn ihrer Ausbildung lernen mussten. Für Raphal aber waren es mehr als nur Worte.
Langsam rollte er sich nach oben, blieb dort erstmal wie versteinert sitzen und rieb sich die, vom Schlaf tränenden Augen.
Seit der Geburt seines Bruders erschien ihm dieser Satz wohl eher als eine Art Bestimmung, Schicksal.
„Raphal! Kommst du? Es ist spät!“
Ruckartig lies er sich mit einem kräftigen Schlag seiner Flügel auf die Beine stellen, bückte sich murrend und sammelte einen Stoß hinunter gewehter Blätter vom Boden auf und legte sie wieder sorgsam auf den Schreibtisch. Er war noch jung und konnte die Kraft seiner Federn noch nicht einschätzen, oft genug war ihm der Wind, den sie verursachten in die Quere gekommen.
„Ja, ich komme gleich!“, brüllte er zu seiner Mutter hinunter, straffte seine Schultern und schritt vor den Spiegel, wie jeden Morgen.
„Was denkst du unterscheidet uns von den Menschen dort unten?“
„Ich … weiß es nicht Adriel. Sag‘ es mir.“
Kühl war Adriel zu ihm gekommen, hatte ihn mit seinen alten Händen umarmt, ihn gedrückt und lange nicht mehr losgelassen. „Nichts mein Junge, wir sind gleich. Lediglich die Flügel unterscheiden uns von ihnen.“
„Aber es muss doch mehr geben?“