Winterkinder. Anna Kosak

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Winterkinder - Anna Kosak

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sie das Blut zwischen ihren Beinen. Schon wieder! Ihr schwindelte. Das Wasserlassen tat weh. Marie fand einen Waschlappen und säuberte sich notdürftig.

      Alles tat ihr weh. Die Hüfte, der Bauch, der Hintern. Alles. Alles schmerzte und sie fühlte sich einfach nur wund. Wieso hatte sie vorhin nicht doch abgewehrt? Wieso hatte sie wieder einmal nicht auf ein Kondom bestanden? Verhütung vor einer Schwangerschaft war nicht das Problem, sie nahm die Pille. Doch zunehmend wurde sie sich der Gefahr von Geschlechtskrankheiten bewusst. Er hatte zwar gesagt, er sei gesund und würde ihr sicherlich nichts anhängen. Aber sicher sein konnte sie ja schließlich nicht!

      Marie war wütend auf sich selbst. Immer wieder gab sie dem Drängen nach und verzichtete auf ein Kondom. Selber Kondome kaufen tat sowieso kein Mann, die musste sie schon selbst mitbringen.

      Sie betrachtete sich im Spiegel. Blonde Locken, jetzt sehr zerzaust und wirr. Darunter große blaue Augen und eine kleine Nase. Die Schminke war verschmiert und die Mascara hatte hässliche Spuren auf den Wangen hinterlassen.

      Seit einem Jahr spielte Marie nun schon mit dem Gedanken, einen AIDS-Test zu machen. Doch nie fand sie den nötigen Mut, tatsächlich zum Arzt zu gehen. Wollte sie es überhaupt wissen? Heutige Behandlungen und Heilungschancen schön und gut – aber die Gewissheit zu haben, mit Anfang dreißig HIV-positiv zu sein? Vielleicht war es da sogar besser, arglos wie bisher zu leben und sich erst Gedanken zu machen, wenn es soweit war.

      Es klopfte an der Tür. Marie fuhr zusammen.

      „Brauchst du noch lange?“, kam es von draußen.

      „Bin fertig!“, rief sie zurück und öffnete die Tür.

      Er stand vor ihr und grinste.

      „Ich mache mich grad frisch und dann geht’s weiter. Bereit für die zweite Runde?“

      *

      „Entschuldigen Sie!? Ich suche dieses Buch hier!“

      Der pickelige Junge hielt ihr einen Zettel unter die Nase. Melissa entzifferte das Gekrakel.

      „Dritter Gang, ganz hinten links.“

      Er bedankte sich und durchquerte den großen Bibliotheksraum. Dabei kam er an einem Tisch mit zwei Mädchen vorbei, offensichtlich seine Kommilitoninnen, denn sie unterhielten sich kurz und der Junge ließ seinen Rucksack bei ihnen stehen, um das Buch suchen zu gehen.

      Melissa beobachtete die beiden Studentinnen. Sie waren Freundinnen und kamen oft gemeinsam zum Lernen hierher. Die eine hatte nicht zu bändigende dunkle Locken, die auf und ab wippten, wenn sie lachte. Ein paar Mal hatte Melissa die beiden schon zur Ruhe mahnen müssen, doch nicht allzu streng. Insgeheim bewunderte sie die zwei für den ungezwungenen und liebevollen Umgang miteinander.

      Ihr fiel wieder einmal auf, dass sie keine engen Freundinnen mehr hatte. Sie fühlte sich plötzlich sehr einsam. Mit den Kolleginnen verstand sie sich zwar gut, ab und zu traf man sich mal abends zu einem Wein in einer Bar. Auch ihre Nachbarin war sehr nett. Im Sommer hatten sie, über die niedrige Hecke gebeugt und Gartenscheren in der Hand, schon so manche Minuten verplaudert. Dann waren da noch ein paar alte Klassenkameraden, die sie jedoch nie alleine, immer in einer größeren Gruppe traf. Eine allerbeste Freundin, oder gar eine Mädchenclique, hatte sie nicht.

      *

      Dass sich ihr Leben bald schon verändern würde, wusste Melissa Garner zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Bald schon würde sie auf Personen treffen, die es ihr unmöglich machen würden, ihr bisheriges Leben fortzuführen. Personen aus der Vergangenheit und solche, die sie erst neu kennen lernen sollte. Dieser Donnerstagnachmittag in der Bibliothek sollte einer der letzten ihres alten Lebens sein.

      *

      In einer viele Kilometer nordöstlich liegenden Stadt stand Caitlin Fog vor dem Spiegel und musterte sich kritisch. Als Kind leicht dicklich, mit rundem Gesicht und fusseligem braunen Haar, lebte Caitlin in ständiger Angst, zuzunehmen. Daher achtete sie nicht nur genau darauf, was und wieviel sie aß, sondern ging dazu noch vier Mal die Woche joggen und montagabends, ließ es sich zeitlich einrichten, zum Yoga.

      Michael kam herein und entdeckte seine Frau, wie sie sich vor dem Spiegel hin und her drehte. Ein zärtliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er legte von hinten die Arme um sie.

      „Du siehst wunderbar aus, Cat!“

      Sie seufzte.

      „Findest du? Ich bin nicht so ganz zufrieden.“

      „Das Kleid steht dir ausgezeichnet“, beruhigte er sie, „wirklich.“

      „Danke.“

      Er schmiegte sich enger an sie und küsste ihren Hals. Caitlin wand sich ungeduldig aus seiner Umarmung.

      „Mick, ich habe jetzt echt keine Zeit. In zehn Minuten muss ich los zur Galerieeröffnung.“

      Er zog sich wieder zurück und setzte sich auf die Bettkante.

      „Bist du schon aufgeregt?“

      Caitlin griff nach einem Paar Ohrringe, die mit der silbernen Einfassung und dem dunkelblauen Stein in der Mitte. Michael hatte sie ihr letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt, nun passten sie gut zu ihrem Cocktailkleid. Caitlin legte den Kopf schief und stützte die Arme in die Seiten.

      „Ja, ein bisschen aufgeregt bin ich schon. Wobei Maja und Lauri bestimmt noch viel nervöser sind!“

      Maja Kristin war die Galeristin, mit der Caitlin zusammen einen aufstrebenden jungen Künstler aus England promotete. Beim letzten Familienbesuch in London hatte Caitlin zufällig Bekanntschaft mit Lauri McEvan gemacht und ihn umgehend ihrer Freundin und Geschäftspartnerin Maja vorgestellt. Die zwei hatten sich auf Anhieb gut verstanden. Sehr schnell mietete Lauri ein Atelier von Maja und begann unter ihrer musischen Begleitung zu malen. Caitlin wiederum trieb mit ihrer Art-Consulting-Agentur die Öffentlichkeitsarbeit um den Künstler voran. Für die heutige Eröffnungsfeier hatten sie manch namenhaften Journalisten, Kunstkenner und -händler sowie weitere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens eingeladen.

      „Es tut mir wirklich leid, dass ich heute Abend nicht dabei sein kann!“, sagte Michael.

      Er musste selbst zu einem wichtigen Geschäftstermin, den er nicht hatte absagen können. Caitlin grinste ihn im Spiegelbild an.

      „Mein Abend wird sicherlich auch spannender als dein blödes Get-Together.“

      „Ja, mit lauter Leuten, die sich für ach so wichtig halten, herumstehen und an ihrem Sekt nippen, während sie über das neueste Kunstwerk diskutieren, das in Wahrheit nur Dreck auf Leinwand ist“, frotzelte Michael.

      Sie warf ihm einen gespielt drohenden Blick zu. Er lachte und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

      Caitlin und Maja prosteten sich zu.

      „Auf einen erfolgreichen Abend!“, rief Maja und setzte das Glas Champagner an die Lippen.

      Es war halb acht. In dreißig Minuten würde es losgehen. Caitlin trank ihr Glas leer und atmete tief durch.

      „Ich bin ja so gespannt, wer alles kommt!“, sagte Maja und schritt nervös auf und ab. „Vor allem, ob der Eisner auftaucht. Oder Marianne

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