Zwerge der Meere. Michael Schenk

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Zwerge der Meere - Michael Schenk

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      Varnum nickte seinem Freund nochmals zu und vergewisserte sich, dass der Luftschlauch lose gerollt war und frei bewegt werden konnte. Dann ein letzter Griff an den Werkzeuggurt, an dem Hammer und Meißel hingen. Alles war an seinem Platz und in Ordnung und Oldrum würde darauf achten, dass ihm die Luft nicht zu knapp wurde. Natürlich würde Oldrum bald abgelöst werden, denn das Pumpen war schwere Arbeit. Varnum wusste, dass sein Freund die Plattform aber nicht verlassen würde, bis er selbst wieder gesund an die Oberfläche gelangt war. Oldrum war allzeit bereit einzuspringen, wenn er Varnum in Gefahr wähnte. Nicht umsonst waren die meisten Pumper und Schürfer in tiefer Freundschaft verbunden.

      Varnum spürte die Kälte des Wassers an den Füßen, als er sich langsam ins Meer gleiten ließ. Kalt, aber nicht zu kalt. Er fragte sich, wie es wohl die Clans im eisigen Nordmeer anstellten, unter Wasser zu arbeiten, ohne zu erfrieren. Mit einem leichten Ruck kam er endgültig frei, das Wasser schlug über ihm zusammen. Er genoss diesen Moment, der ihm die Schwere nahm, spürte die Metallgewichte an den Füßen, die ihn nach unten zogen. Sorgsam berechnet, damit es nicht zu schnell ging. Die Gewichte waren mit großen Schnallen versehen, damit man sie mit einem kurzen Griff lösen konnte.

      Varnum konnte sich noch erinnern, wie man einst, als er noch ein kleiner Hüpfling des Clans gewesen war, seinen Vater aus den Fluten zog. Er war ertrunken, da sein Helm undicht gewesen war. Sein Vater hatte es nicht mehr geschafft, die Gewichte zu lösen und frei zu kommen. Sie hatten ihn auf dem Meeresboden festgehalten und so hatte der Tote auf makabre Weise auf dem Grund gestanden, bis man ihn entdeckte und ihn endlich nach oben brachte. Damals war Varnum zum Waisen geworden, denn seine Mutter war schon zuvor an Gelbsaftmangel gestorben. Die Fürsorge des Clans war es gewesen, die ihm Halt gegeben hatte. Trotz oder gerade wegen des schrecklichen Todes seines Vaters, war Varnum ebenfalls Schürftaucher geworden.

      Er drehte sich leicht um die Achse und blickte nach oben. In dem kristallklaren Wasser sah er die Segmente der Stadt über sich und die Säcke der Treibanker, die sie in Position hielten.

      Der Clan der Eldont´runod war relativ klein und zählte nur wenige tausend Häupter. Varnum wusste, dass es eine ganze Reihe sehr viel größerer Clans gab. Alle zehn Jahre trafen die Zwerge der Meere sich an einem zuvor vereinbarten Punkt irgendeines Meeres und dann war das Wasser von den schwimmenden Städten bedeckt. Man handelte miteinander und tauschte Erfahrungen und Geschichten aus. Die jungen Männer und Frauen im heiratsfähigen Alter wechselten dann oft den Clan, damit das Blut der Städte frisch blieb und vielfältig war. Varnum hoffte, er werde die Einwilligung zur Heirat mit Besana erhalten, bevor die nächste Zusammenkunft in zwei Jahren stattfand. In den anderen schwimmenden Städten würde man sich um die hübsche junge Frau reißen. Wenn Varnum ihr Herz bis dahin nicht erobert hatte, konnte es gut sein, dass sie in eine andere Stadt wechselte und ein anderer Mann sie in sein Heim führte.

      Jeder Zwergenclan lebte in seiner eigenen Stadt, wie es auch die Clans an Land taten. Aber im Gegensatz zu den „Landfüßen“, betraten die Zwerge der Meere selten festen Boden. Eigentlich nur, um dort das kostbare Holz zu schlagen und das lebenswichtige Trinkwasser zu holen, wenn sie das Wasser des Meeres nicht nutzen konnten, auf dem ihre Stadt ankerte.

      Die schwimmende Stadt bestand aus dutzenden riesiger fünfeckiger Flöße. Sie waren mit Tauen und Ketten miteinander verbunden, die sich im Falle der Gefahr voneinander lösen ließen. Bequeme Stege führten von einem Floß zum nächsten und alles war, durch den Wellengang, in einer stetigen Bewegung. Das Auf und Ab waren die Zwerge der Meere gewöhnt, Landfüßen hingegen bekam es nur selten und ihre Besuche waren meist nur kurz. Die Flöße bewegten sich beim Schwimmen stärker, als der Rumpf eines Schiffes. Als Varnum zum ersten Mal an Land gewesen war, hatte er die stetigen Bewegungen des Meeres unter seinen Füßen vermisst und war wie ein Betrunkener getorkelt und sogar gestürzt. Keiner hatte deswegen gelacht. Den Landfüßen erging es umgekehrt nicht viel besser, wenn sie erstmals auf See waren.

      Auf den Flößen standen die Gebäude der Stadt und da die Flöße riesig waren, konnte man erstaunlich große und robuste Häuser errichten. Das mussten sie auch sein, um schwerem Wetter und Stürmen zu trotzen. Jedes Floß hatte einen Mast, an dem sich notfalls ein Segel setzen ließ, aber meist wurden sie geschleppt, wenn die Stadt ihren Ankerplatz wechselte. Dann glitt die Stadt, unter der Kraft zahlloser Ruder und ziehender Rammboote, behäbig über die See. Die inneren Flöße waren dem gesellschaftlichen Leben und der Unterkunft der Zwerge gewidmet. Dort schliefen die verheirateten Paare und die unverheirateten Frauen. Dort gab es Wohnhäuser und Schänken, Läden und das Haus des Ältestenrats.

      Alle unverheirateten Zwerge männlichen Geschlechts hatten ihr Heim im äußeren Ring der Stadt. So waren sie schnell auf Posten, wenn Gefahr drohte. Hier lagen auch die Küchen und Werkstätten des Clans, in denen offene Feuerstellen unterhalten werden mussten. Kein Feuer durfte auf den inneren Flößen brennen, wo es außer Kontrolle geraten und verheerende Wirkung haben mochte. Die Flöße der Stadt waren, in des Wortes wahrstem Sinn, die Lebensgrundlage des Clans. Auch wenn man von Wasser umgeben war, so konnte ein unkontrollierbarer Brand wichtige Flöße vernichten, bevor man die Stadt auflösen konnte. So richteten die Wächter der Nacht ihr Augenmerk besonders auf die wenigen Lampen der nächtlichen Beleuchtung.

      An den äußeren Flößen lagen die Tauchplattformen, die Anlegestellen der Boote und Schiffe und die Lager mit den Handelswaren.

      Tag und Nacht waren Boote unterwegs, um nach Gefahr und Fisch zu spähen. Manche Fischarten gingen tagsüber ins Netz, andere kamen erst in der Nacht an die Oberfläche. Den Zwergen war es gleich, wann der Fisch gefangen wurde, der ihre Mägen füllte.

      Neben Fisch gehörten Getreide und Fleisch zu ihren Hauptnahrungsmitteln. Einige der Flöße waren dafür eingerichtet, auf ihnen Getreide zu ziehen und kleines Nutzvieh zu halten. Selbst Obst gedieh unter der sorgsamen Obhut der Frauen, aber es war nicht viel und seine Pflege war schwierig. Vor allem an der empfindlichen Gelbfrucht konnte rasch Mangel entstehen. Der Saft der Gelbfrucht schmeckte bitter und sauer zugleich und keiner hätte ihn ohne Notwendigkeit getrunken. Aber dieser Saft versorgte den Körper der Zwerge mit wichtigen Substanzen. Wenn er länger als drei Monate fehlte, begannen sich die Zähne zu lockern und fielen aus und wenn das geschah, war der Leib schon stark geschädigt. Der Betroffene konnte oft keine Nahrung mehr bei sich behalten und war damit dem Tod geweiht. Die Gelbfrucht gehörte also zu jenen Gütern, welche die Zwerge der Meere bevorzugt einhandelten. Das zweitwichtigste Gut war Gummi, gefolgt von Holz, das man jedoch notfalls selbst auf einer Insel schlagen konnte.

      So bedeutsam die Gelbfrucht für die Gesundheit der Clans war, so kostbar war Gummi für ihre Arbeit. Es war teuer und selten und man sparte es ein, wo immer es ging. Daher bestanden die Dichtungen der Tauchanzüge aus Leder und nicht jenem viel flexibleren Material, das man für die Luftschläuche, Ventile und Pumpen brauchte.

      Ein Luftschlauch musste sehr lang sein. Meist maß er knapp zweihundert Meter und war dick genug, damit die Pumpen Luft hindurch pressen konnten. Dabei musste er stabil und zugleich flexibel sein. In den Werkstätten des Clans wurde ein hervorragender Draht hergestellt, der in enge Spiralen gedreht wurde. Über diese Drahtspirale zog man eine Haut aus Gummi. Darüber kam eine Schutzschicht aus Stoff. Es waren die sensibleren Hände der Frauen, die das Wunder vollbrachten und einen solchen Atemschlauch herstellten. Die Schlauchmacherinnen genossen daher bei Schürfern und Pumpern hohes Ansehen. Alle Pflege des Materials konnte aber nicht verhindern, dass die Schläuche im Lauf der Zeit porös wurden.

      Während Varnum dem Meeresboden entgegen sank, musterte er daher aufmerksam seinen Schlauch, ob irgendwo verräterische Luftblasen aufstiegen. Noch war Zeit zur Umkehr. War man unten auf dem Grund, konnte sich jeder Zeitverlust als tödlich erweisen.

      In diesen Minuten des Abstiegs hatte keiner der Schürftaucher einen Blick für das Umfeld. Seine Aufmerksamkeit galt nun ganz der Funktionstüchtigkeit seines Tauchanzuges und des Schlauches.

      Keiner von

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