Einfahrt neu zu pflastern. Wahrscheinlich unter der Hand, da weit und breit kein Firmenfahrzeug zu sehen war. Eine junge Frau mit Kinderwagen ging vorbei. Ich ließ die Kamera in meinen Schoß sinken und lächelte die junge Mutter an. Sie tat so, als hätte sie mich nicht gesehen und ging weiter. Mein Auftraggeber hatte mir versichert, der Mitarbeiter müsse vom ersten Krankheitstag an einen gelben Schein vorweisen. Das bedeutete also, er musste das Haus noch verlassen, um zum Arzt zu fahren, es sei denn, er hätte es bereits ganz frühmorgens erledigt. Es war mittlerweile kurz vor zehn. Geduldig lehnte ich mich in meinem Autositz zurück. Ein großer Winkelschleifer fraß sich laut kreischend durch Pflastersteine. Staubwolken wurden vom schwachen Wind durch die ansonsten ruhige Wohnstraße getragen. Ich schaltete das Autoradio ein. Da ich nicht hören wollte, dass meine Schwächen auch Stärken seien, suchte ich mir einen anderen Sender. Bei einem aktuellen Song von Bruno Mars beendete ich den Suchlauf und hoffte auf ein paar gute Stücke bis zum nächsten deutschsprachigen Quotenlied über das problembeladene Leben unserer Großstadtkinder. Da es allmählich stickig im Auto wurde, ließ ich die Fensterscheibe herunter. Das laute Kreischen des Winkelschleifers verstummte. Es war genau zehn Uhr. Zeit für eine Frühstückspause. Leider hatte ich weder etwas zu trinken noch etwas zu essen bei mir. Unprofessionell, dachte ich. Während zwei der Männer aus meinem Blickfeld verschwanden und es sich vermutlich im Garten des Hauses bequem machten, ging der dritte Mann die Straße hinauf in meine Richtung. Er warf einen flüchtigen Blick zu mir herüber und bog dann in die Einfahrt des Hauses, das ich seit einer knappen halben Stunde observierte. Jetzt erst erkannte ich ihn. Er öffnete die Haustür und ging hinein. Ich griff gar nicht erst zu meiner Kamera. Die Fotos von dem Mann in seiner eigenen Einfahrt wären wertlos gewesen. Allenfalls die verstaubte Arbeitskleidung hätte einen Hinweis auf die Untreue zu seinem Arbeitgeber geben können. Doch darauf wollte ich mich selbstverständlich nicht verlassen. Ich startete den Motor und lenkte den Wagen auf die Straße. Ein alter Mann hinter einer quaderförmig geschnittenen Ligusterhecke beobachtete mich dabei aufmerksam. Wahrscheinlich war ich als Fremdkörper in dieser beschaulichen Wohnsiedlung längst aufgefallen. Ich fuhr langsam an dem Haus mit der etwa zur Hälfte fertiggepflasterten Einfahrt vorbei. Die beiden anderen Männer saßen kauend in der leeren Garage. Beide hielten sie ein belegtes Brot in der Hand. Ich sah nur kurz hin und fuhr weiter. Nachdem etwa zehn Minuten vergangen waren und ich zweimal um den Block gefahren war, bog ich wieder in die Wohnstraße ein. Dieses Mal wartete ich gleich vornean, praktisch außer Sichtweite auf meinen Einsatz. Als ich davon überzeugt war, dass die Frühstücksrunde beendet war, fuhr ich wieder los. Ich parkte erneut auf der gegenüberliegenden Straßenseite, aber viel dichter an der Baustelle dran. Von hier aus konnte ich den Männern bei ihren Pflasterarbeiten sehr gut zusehen. Sie waren tatsächlich alle drei wieder bei der Arbeit. Mein Mann hockte am Boden und setzte Pflastersteine in den glattgezogenen schwarzgrauen Rollsplitt. Ich blieb unbemerkt und brachte unauffällig die Kamera in Position. Leider kehrte mir die zu observierende Person den Rücken zu. Das Ergebnis einer Bildaufnahme wäre nur sein formvollendetes Maurerdekollté gewesen. Der Mann war im Übrigen gut gebaut und nichts in seinen Bewegungen erinnerte an sein Rückenleiden. Wenige Minuten später brachte er sich dann in eine hervorragende Pose. Wie Turnvater Jahn, stand er breitbeinig mit geneigtem Oberkörper in der Einfahrt des Hauses. Seine kräftigen, stark behaarten Arme baumelten lang vor ihm herunter. Mit den Händen griff er nach den Pflastersteinen, die aufgehäuft zu seinen Füßen lagen, und warf sie der Reihe nach einige Meter weiter zur Seite, wo sie später gebraucht wurden. Mir tat schon vom Hinsehen der Rücken weh. Bei dieser Übung hatte ich sein Gesicht in meinem Sucher. Ich knipste, was das Zeug hielt, und machte auch kurze Videoaufnahmen. Als ich alles im Kasten hatte, überprüfte ich am Display der Kamera, ob das Datum korrekt eingestellt war. Alles war in bester Ordnung. Unter jedem der Fotos, die ich gemacht hatte, wurde das Datum und die Uhrzeit angezeigt. Während ich mit einem versonnenen Lächeln auf den Lippen mit meiner Kamera beschäftigt war, hatte ich leider nicht bemerkt, dass einer der Männer auf mich aufmerksam geworden war. Ich sah erst wieder hin, als dieser Mann die anderen beiden anstieß und mit dem Kinn auf mein Auto zeigte. Gemeinsam setzten sie sich in Bewegung. Ich startete den Motor, doch bedauerlicherweise war es mir unmöglich davonzufahren, ohne einen der Männer über den Haufen zu fahren. Ehe ich mich versah, wurde die Fahrertür geöffnet und zwei kräftige Arme halfen mir dabei, auszusteigen. Der Mann, von dem ich so wunderbare Aufnahmen gemacht hatte, hatte offenbar sehr gute Augen und entdeckte sofort den Ausdruck mit dem Firmenlogo seines Arbeitgebers auf dem Beifahrersitz. Dummerweise hatte ich ihn dort liegen gelassen.
»Ein dreckiger Schnüffler, den meine Firma geschickt hat«, klärte er seine Arbeitskollegen vom Bau auf. Einer der beiden anderen Männer nahm mir die Digitalkamera aus der Hand. Er entfernte fachkundig die Speicherkarte und steckte sie in seine Hosentasche. Ich wurde wütend und verschaffte mir etwas Bewegungsfreiheit, indem ich den Mann etwas wegschubste. Eine Faust traf meinen Kopf. Mindestens einer der harten Knöchel erwischte dabei auch meine Narbe über der Augenbraue. Der dritte Mann schubste mich zurück auf den Fahrersitz. Meine Kamera landete unsanft in meinem Schoss. Ich zuckte mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen. Aus meiner Narbe ran etwas Blut und lief seitlich an meinem Auge vorbei.
»Abmarsch. Auftrag beendet und lass dich in dieser Straße nie wieder blicken, sonst geht es das nächste Mal nicht so glimpflich für dich aus«, herrschte mich der Speditionsmitarbeiter an. Gleich darauf knallte er die Fahrertür zu. Ich hatte tatsächlich die Schnauze voll und fuhr davon.
8
Zwei Straßen weiter hielt ich an. Ich begutachtete meine Visage im Spiegel der Sonnenblende. Die Narbe war geschwollen, blutete aber nicht mehr. Unter meinem rechten Auge waren die ersten Verfärbungen zu erkennen, die später zum Veilchen ausreifen sollten. Das Blut, das mir an der Wange entlang gelaufen war, war noch nicht ganz trocken. Ich wischte es mit einem Taschentuch ab. Ich fühlte mich gedemütigt. Am liebsten wäre ich zurückgefahren und hätte mir die Speicherkarte zurückgeholt. Auch ich konnte austeilen, wenn ich wollte, schließlich hatte ich jahrelang Jiu-Jitsu gemacht. Zum Glück war ich klug genug, diesen Gedanken sofort wieder zu verwerfen. Ich fuhr zurück in mein Büro. Da ich kein Eis da hatte, kühlte ich das Auge mit Haushaltstüchern, die ich in kaltes Wasser hielt. Als mir klar wurde, dass ich mit dieser Kühltechnik nichts ausrichten konnte, wischte ich mir die letzten Reste des eingetrockneten Bluts aus dem Gesicht und warf den Papierklumpen in den Mülleimer. Ich betrachtete mich im Spiegel und beschloss zu akzeptieren, dass ich meiner Detektivarbeit in den nächsten Tagen mit einer Boxervisage nachgehen musste. Viel schlimmer war, dass ich bei meinem zweiten Auftrag kläglich versagt hatte. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und grübelte über eine Lösung nach. Die Wahrheit wäre zu peinlich gewesen und so kam ich zu dem Ergebnis, meinem Auftraggeber einfach mitzuteilen, ihr Mitarbeiter hätte das Haus den ganzen Tag nicht verlassen. Ich schrieb einen kleinen Bericht, den ich gleich am nächsten Tag per E-Mail versenden wollte.
Eine Stunde später verließ ich mein Büro wieder. Es war mittlerweile kurz nach zwölf. Mein Exkollege Thorsten hatte sich noch nicht gemeldet. Ich fuhr zu Saschas Praktikumstelle. Maren Hagena GmbH & Co. KG stand in großen schwarzen Lettern auf einer Aluminiumtafel. Das rot verklinkerte Gebäude war Teil einer alten Fabrik, das zu Loft-Büros umgebaut worden war. Das Modelabel Hagena hatte das Erdgeschoss und zwei weitere Etagen übernommen. In der dritten Etage war ein Architekturbüro untergebracht. Im zum Penthouse ausgebautem Dachgeschoss hatte sich ein Schiffsmakler einquartiert. Durch eine zweiflüglige Glastür gelangte ich in das Foyer des Modedesignerunternehmens. Auf champagnerfarbenen Fliesen ging ich auf einen Empfangstresen zu, hinter dem eine junge blonde Frau vor einem Flachbildschirm saß. Sie war vielleicht Anfang zwanzig und hatte ihre Haare straff zurückgebunden. Ihr Gesicht war dezent geschminkt. An den Wänden hingen von grellem Licht angestrahlte Entwurfsskizzen von Kostümen, Blazern, Blusen und diversen Mänteln. Die Köpfe und Beine der skizzierten Frauenkörper waren nur angedeutet und verloren sich im Nichts. Bis auf den Empfangstresen, einen nüchternen Garderobenständer und eine Sitzgarnitur, bezogen mit weißem Leder und einem Glastisch davor, war das Foyer kalt und leer. Die Frau hinter dem Empfangstresen wandte sich mir halb zu. Erst jetzt erkannte ich, dass sie einen Telefonhörer am Ohr hatte. Ich wartete geduldig. Ein Mann und eine Frau, beide höchstens Mitte zwanzig, durchquerten das Foyer. Auf den Armen jonglierten sie Stoffballen in verschiedenen Pastellfarben. Sie achteten