Ein Pfeil ist nur frei, wenn er fliegt. Frans Diether

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Ein Pfeil ist nur frei, wenn er fliegt - Frans Diether

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neuem Leben füllte, von jeder Leibesfrucht verlassen. Und obwohl er es nie aussprach, es lag an ihm, schaffte er es doch auch mit dreien der Mägde nicht, ein weiteres Kind zu zeugen. Bis dahin schenkten ihm die Götter sieben Töchter aber nur einen Sohn. Doch während die Mädchen kränklich blieben, nur zwei von Ihnen das fünfte Jahr überlebten, gedieh Agur prächtig, wurde der Junge kräftig von Wuchs und rasch in der Auffassung. Es schien, als vereinigten sich all die guten Eigenschaften der vielen Söhne, die Frysunth sich so innig wünschte, in dem Einem. Und da seine Geburt in das Jahr fiel, in dem Frysunth den neuen Glauben annahm, sich taufen ließ und den Göttern seiner Vorfahren abschwor, dankte er nicht nur dem Christengott im täglichen Gebet für die große Gnade, sondern fühlte er sich durchaus bestärkt in der Richtigkeit seiner Entscheidung, zweifelte er nicht an den Worten des ehrwürdigen Bonifatius, mit denen dieser ihm und dem ganzen Dorf den einzigen und wahren Gott ins Herz pflanzte. Für viele war der Fall der Lebensesche, die der Priester so einfach umschlagen konnte, ohne dass Wöda oder Frigga, nicht einmal Fosite sich erhoben, das machtvolle Zeichen. Doch Frysunth erfuhr die Gnade des neuen Gottes und seines Heilands Jesus durch die lang ersehnte Geburt des ersten Sohnes. Dieser Sohn starb nun durch die Hand eines Christen. Frysunth zitterte am ganzen Leibe. Alles stürzte zusammen, sein Lebensplan, sein Glaube, seine Achtung vor den neuen Herren. Denn dass ein Franke seinen Sohn erschoss, daran zweifelte der Großbauer keinen Moment, dass der neue Gott nicht ein Liebender, sondern ein Grausamer war, dass stand für Frysunth plötzlich fest und umso fester, je länger er auf Agurs reglosen Körper starrte.

      "Wöda", brüllte der Dorfvorsteher und die umherstehenden Bauern erschraken bis ins Mark. Allein den Namen auszusprechen, konnte den Kopf kosten. Frysunth scherte sich nicht um ihr ängstliches Gemurmel. Blutrot vor Zorn waren seine Augen unterlaufen. Blutrot leuchtete sein Kopf. Die Adern traten hervor und jeder nahm an, dass der Anführer im gleichen Augenblicke vom Schlag getroffen, für seine Gotteslästerung bestraft würde. Doch nichts geschah. Stattdessen trat Altje, Frysunths Frau, hinter ihren Ehemann, umschlang ihn mit beiden Armen und drückte ihre prallen Brüste gegen seinen breiten Rücken, während ihre Tränen in sein grobes Gewand sickerten.

      "Komm her", befahl Frysunth, noch immer rot glühend, dem halbnackten Sachsenjungen, der weiterhin Agurs Bogen umklammernd, trotzig auf das Geschehen starrte, hin und her gerissen zwischen Stolz und Bestürzung. Er hatte getötet, seinem eigenen Grundsatz widersprochen. Sicher, er brachte seinen Peiniger zur Strecke. Doch er hatte getötet. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Zu schwer drückte die zerrissene Seele. Zu schwer drückten der Verlust des Bekannten und das Gefühl von Einsamkeit und Fremde. Zu groß war die Furcht vor dem Kommenden, vor dem unbekannten Stamm, zu dem er sich flüchtete, vor den fränkischen Kriegern, welche ihn auch hier aufspüren, neues Leid bringen würden, Leid, an dem er schuld war.

      "Wie heißt du?", fragte Frysunth schon deutlich ruhiger, während man ihm ansah, dass es hinter seiner Stirn fieberhaft arbeitete, ein Entschluss in ihm zu reifen schien, ein Teil des großen Leids am Schwinden war.

      "Gis", antwortete der Junge leise. Er wusste nicht, ob man die Bedeutung dieses Teils seines Namens erkannte. Er wollte es auch nicht wissen. Er wollte nur nichts mit diesem Bert zu tun haben, mit dem Teil seines Namens, welcher ihn an die Mörder seiner Familie erinnerte. Er hieß Gis. Gisbert starb am Ufer der Eems.

      "Komm her zu mir Gis. Gib mir deine Hand. Und gib dieser Frau die andere Hand."

      Gis folgte der Aufforderung, fasste Frysunth und Altje bei den Händen und blickte den kräftigen Bauern und seine dralle Frau fragend an.

      "Vor unseren wahren Göttern, vor Wöda und Frigga und Fosite, vor diesem meinem Weibe und vor allen Bauern dieses Weilers erkläre ich dich, Gis, Rächer meines geliebten Agur, zu meinem Sohn an seiner statt." Kaum hatte Frysunth diese Worte gesprochen, fuhr eine helle Flamme aus dem Dach der kleinen Dorfkirche, ließ sie bald in Gänze lodern, zerfiel das Symbol des Christengottes in Schutt und Asche. Keiner wagte, sich zu rühren. Keiner versuchte zu löschen. Alle starrten mit offenen Mündern auf das züngelnde Feuer.

      "Die Götter leben", murmelten die Bauern. Doch es war keine Freude in ihnen, nahmen sie doch den Christenglauben aus Überzeugung, und weil es der Glaube ihrer neuen Herren war, an. Sie wussten, schwere Zeiten würden über sie kommen, neuer Kampf ausbrechen. Konnten die Götter diesmal siegen? Kam einer glaubte daran. Doch ihr Zeichen war zu massiv, als dass jemand zu widersprechen wagte. In diesem Augenblick schien der Christengott geschlagen. Gis war Frysunths neuer Sohn. Die Götter wollten es so. Wenn König Karls Ritter dies erführen, käme es zum Kampf, würde auch ihr Gott seine große Macht zeigen. Aber mussten sie es erfahren? Musste er es erfahren? Das Leben könnte weitergehen, als sei nichts gewesen. Es gab keine Zeugen gegenüber den Menschen. Und was sprach dagegen, aus dem Heiden einen Christen zu machen. Jesus würde sie dafür lieben, ihnen bestimmt verzeihen.

      "Lasst uns den Franken im Moor versenken, dass niemand ihn findet. Und macht aus dem Jungen einen von uns, ein sittsames Kind des Herrn Jesus. Entfernt die heidnischen Zeichen und kleidet ihn in ordentliche friesische Tracht", sagte einer der Bauern. "Und lasst uns die brennende Kirche löschen."

      Er begab sich mit den anderen sogleich ans Werk, während Gis noch immer die Hände seiner neuen Eltern umklammerte. Er verstand ihre Sprache nur zum Teil, welches Schicksal sie ihm zudachten, verstand er jedoch. Und in diesem Moment schien ihm das nicht der schlechteste Weg zu sein, ihm, dem Waisenjungen, ihm, dem einzigen Überlebenden der einst so stolzen Sachsengemeinde vom Ufer der Eems.

      Ein Schatten huschte zwischen die aus dicken Stämmen gebauten Häuser des Dorfes, ein Mädchen, schwarzhaarig und für die Region äußerst dunkelhäutig, ein wildes Kind, einzige Tochter des Odas, dem Gott drei Söhne geschenkt hatte, die ihm wie aus dem Gesicht geschnitten wirkten. Doch Kaya war der Liebling ihres Vaters, vielleicht weil sie so gar nicht dem nordisch friesischen Typ entsprach, vielleicht weil sie ihn so sehr an den geistlichen Lehrer ihrer Gemeinschaft, an Vater Bonifatius erinnerte. Die Idee, dass diese Ähnlichkeit durchaus biologische Gründe haben könnte, kam Odas nicht. Seine Frau bewahrte die Erinnerung im hintersten Winkel ihrer Seele, bis sie vor einem Jahr starb. Und Bonifatius Erinnerungen an die eine Frau blieb lediglich ein kleiner Tropfen im Meer der Vielen. Von Mutter und Vater geliebt, durfte Kaya alles tun, alles lernen, wonach ihr der Sinn stand. Und der Missionar Bonifatius, in seinem Innersten eine mögliche Verwandtschaft zu der kleinen, ihm recht ähnlich sehenden Schwarzhaarigen nicht völlig leugnend, lehrte sie, was er selbst an Wissen in Lesen, Schreiben, Rechnen erworben hatte. Es war nicht allzu viel. Schließlich erfuhr er selbst Bildung nur für kurze Zeit, wurde durch Auswendiglernen, Umgang mit dem Schwert und Schulung im Erdulden von allerlei Pein auf seine Missionsaufgabe vorbereitet. Das Kloster am südlichen Meer, in das ihn die Eltern mangels Möglichkeit, ein zehntes Kind zu ernähren, in jungem Alter gaben, sah nicht die Bewahrung der Wissenschaft, sah allein die Verbreitung des Glaubens als wesentlich an. Und so wurde er schon mit vierzehn Jahren als Gehilfe über die Alpen und nach dem Tod seines Herrn als Missionar zu den Heiden geschickt, an denen er seine Aufgabe mit Wort und Schwert erfüllte. Kaya dankte es ihm nicht, lernte zwar geduldig, blieb jedoch für den Heiligen Geist verschlossen, tobte lieber durch die Wälder, ritt wilder als ihre Brüder, nahm sich gar heraus, Waffen zu führen, und erlangte im Umgang mit dem Bogen ein Geschick, welches alle erstaunen ließ. Doch bei aller Wildheit lernte sie auch schnell, mit ihren Gaben nicht zu protzen, ihren freien Geist zu bezähmen, die Älteren und vor allem Bonifatius nicht herauszufordern. Ihr Vater hielt das für durchtriebene Schläue und liebte sie dafür umso mehr. Sie hingegen hasste die Durchtriebenheit des Vaters, seine Sucht nach Macht und Besitz, sein Geltungsbedürfnis, sein Streben, etwas Besonderes darstellen zu müssen. Wenn er meinte, sie durch schöne Kleider, durch fein gearbeitete Schuhe zu erfreuen, dann konnte es ihr nicht schnell genug gehen, wieder in die erdfarbene Bauerntracht zu schlüpfen und barfuß durch den Matsch zu laufen, bis sie nicht mehr von den Jungs des Dorfes zu unterscheiden war. Unermesslich wurde ihr Hass, als der Vater die Mutter wegen einer Kleinigkeit so prügelte, dass sie kurze Zeit später starb. Vor einem Jahr war das. Seither hatte sie den weiblichen Part in der Familie zu übernehmen, sich um Vater, Brüder,

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