Ein Pfeil ist nur frei, wenn er fliegt. Frans Diether

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Ein Pfeil ist nur frei, wenn er fliegt - Frans Diether

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Rehbock, noch nicht sehr alt, wohl ohne schlechte Erfahrung, wohl nicht allzu ängstlich, trat aus dem Schutz der Bäume.

      "Der ist für den dritten Pfeil", hauchte sie tonlos. Doch Gis ließ den Bogen sinken. Du sollst nicht töten, hörte er die fast vergessene Stimme. Seine Ruhe war dahin. Er wusste, dass er zittern, das Ziel verfehlen würde.

      "Du kannst nicht mal ein Reh töten", flüsterte Kaya weiter. "Du kannst nur auf Bäume schießen, du Versager."

      Und obwohl sie tonlos sprach, konnte Gis ihre Verachtung so deutlich hören, als habe sie diese herausgeschrien.

      "Ich tötete den Franken", gab er ebenso leise doch nicht minder bestimmt zurück. "Wenn es sein muss, kann ich alles."

      "Du tötetest den Franken? Dann wirst du doch nicht bei einem Reh versagen", zischte Kaya lachend und gleichzeitig fürchtend, der Bock könne fliehen, wo ihr doch bei seinem Anblick bereits der Speichel im Munde zusammenlief. Doch ihre Wut auf den Jungen war nicht besänftigt.

      „Dein Pfeil flog ins Nirgendwo. Ohne mich hätte der Kerl dich getötet. Versager!“ Kaya wollte es niemals aussprechen. Gis ließ ihr keine Wahl. Sie konnte nicht immer für ihn kämpfen.

      "Ich bin kein Versager." Gis konnte sich kaum beherrschen.

      „Sag, dass es nicht wahr ist.“ Seine Seele war aufgewühlt. Und dabei klang sie immer lauter, die Stimme aus seinem Innersten, die Stimme des Missionars. Du sollst nicht töten, rief sie.

      „Nein“, rief er laut. Wenn es sein musste, konnte er töten. Gis war fest davon überzeugt. Und jetzt musste es sein, musste er dem Weibsbild beweisen, dass ihr Spott fehl am Platze, ihre Überheblichkeit nur Produkt ihres Neids war. Voller Wut, innerlich zerrissen, im Blick nur Pfeil und Ziel, legte er an und ließ die Sehne los, ohne Adalberts Stimme Zeit zu geben, erneut die magischen Worte auszusprechen. Das Geschoss schlug in die Brust des Tieres. Gis schrie auf.

      "Sei ruhig", fauchte er seine tosende Seele an, während der verwundete Bock in Richtung Wald sprang. Du sollst nicht töten, hämmerte es hinter seinen Schläfen. Ein zweiter, schwarz befiederter Pfeil brachte das Reh endgültig zur Strecke.

      "Wir haben es geschafft. Gemeinsam haben wir es geschafft", jubelte Kaya und drückte den noch immer fassungslosen Gis an sich. "Gemeinsam können wir alles schaffen."

      Gis ertrug ihre Umarmung, presste sie ebenso fest an sich, wie sie sich an ihn. Sein Herz klopfte wie wild. Was machte das Weib mit seinem Körper? Was für ein Gefühl durchzog ihn von den Spitzen der Haare bis zu denen der Zehen?

      „Sag, dass es nicht wahr ist“, bettelte er.

      "Es ist nicht wahr. Du hast den Franken erschossen. Jetzt müssen wir aber wirklich eilen", keuchte Kaya unter der festen Umarmung. Sie kreuzte ihre Finger bei der Lüge. Rechne es mir nicht zu, bat sie ihre Göttin inständig.

      "Das Reh nehmen wir auf dem Rückweg mit. Und sammle die Pfeile ein." Kaya triumphierte. Sie konnte den Kleinen formen. Und Gis fühlte sich erleichtert, tat, wie ihm geheißen. Kurze Zeit später lagen Bögen und Pfeile in ihrem Versteck, saßen der Junge und das Mädchen, der eine erste Männlichkeit fühlende Gis und die überglückliche Kaya auf der schwarzen Stute, er vorn, sie dahinter. Sie wusste, man durfte einen Mann nicht zu sehr herausfordern. Und er empfand ihre Nähe plötzlich nicht mehr bedrohend, vielmehr Begehr erweckend. Als sie ihre Zehen auf seine Fußrücken legte, ließ er sie gewähren, drückte nur leicht die Fersen in der Stute Flanken, sie zu schnellem Schritt bewegend. Doch im hintersten Winkel seiner Seele bohrte der Zweifel. Hatte er den Franken nicht doch verfehlt, erst Kayas Pfeil das Werk vollendet?

      "Ihr seid spät dran", empfing sie Frysunth.

      "Mutter hatte das Essen nicht eher fertig", log Gis. Und der Ziehvater glaubte ihm. Allein das Wort Mutter rührte sein Herz, zeigte es doch die Verwurzlung des Wahlsohnes in seiner Familie.

      "Wenn wir Altje das Reh geben, wird sie sich sicher freuen und uns unser spätes Kommen verzeihen", versuchte Gis vordergründig Kaya, vor allem aber sich selbst zu beruhigen.

      "Da wäre ich mir nicht sicher. Außerdem würde sie nachfragen, wie wir es erlegen konnten. Was willst du dann sagen? Willst du dann mein", Kaya stockte, überlegte kurz, bevor sie weitersprach, "unser Geheimnis verraten?"

      Nein, das wollte Gis nicht. Doch sollten sie die Beute, die so hart erkämpfte Beute, die gegen alle seine Vorsätze und ohne Zwang getötete Beute verkommen lassen?

      "Was schlägst du denn vor?", fragte er und drosselte den Schritt des Reittieres, als wolle er Kaya Zeit zum Nachdenken geben.

      "Wir schenken es Tahnker." Kayas Plan schien bereits festzustehen. "Zum Dank soll er dir aus dem Fell Schuhe für den Winter machen, schöne neue Schuhe, um die dich Tammo beneiden wird."

      Winter? Daran hatte Gis noch gar nicht gedacht. Ja, im Winter brauchte er warme Kleider und natürlich Schuhe. Früher sorgten seine Mutter und der Großvater dafür, dass er nicht fror. Doch die waren gestorben. Wie konnte er nur so einfach voraussetzen, dass auch Frysunth und Altje für ihn sorgten? Andererseits musste er ja auch begründen, warum gerade Tahnker ihm Schuhe schenkte.

      "Und damit keiner dumme Fragen stellt, erzählen wir, du hättest während des großen Festes für Tahnker gearbeitet. Die Lüge wird keinem auffallen. Beim großen Fest besaufen sich die Erwachsenen so, dass sie fast alles vergessen. Wirst es ja bald erleben." Kaya spuckte auf den Boden. Ihr war Erntedank ein Graus. Wie konnte man sich nur so völlig unkontrolliert und wie ein kleines Kind benehmen? Sie würde wie jedes Jahr weder Met noch Bier annehmen, den Inhalt ihres Krugs wie immer unbemerkt im Erdreich versickern lassen. Und da sie bei Gis eher das Gegenteil befürchtete, schließlich waren seine Stiefbrüder das leuchtende Beispiel, wie Jungen völlig aus der Fassung geraten konnten, besonders wenn die Alten es ihnen vormachten, schien es ihr überaus willkommen, ihn von dem Fest fernzuhalten. Tahnker würde ihre List schon unterstützen.

      Der Sommer wich einem goldenen Herbst. Die Striemen auf Gis Rücken, gezogen von Frysunths Gürtel, als Strafe für die Lüge, überwacht von Altjes strengem Blick, sie fürchtete nicht unbegründet, der Gatte könne zu viel Mitleid mit dem Findelkind haben, zu wenig Strenge auf seine Erziehung verwenden, jene über Tage brennenden, erst roten, später grünlich violetten Streifen waren kaum mehr zu sehen, taten längst nicht mehr weh. Weh tat allein die Erinnerung. Es waren gewiss nicht die ersten Schläge, mit denen Erwachsene versuchten, Gis zu erziehen. Es waren allerdings mit Abstand die Härtesten. Doch Gis hatte nicht geschrien, hatte Kaya gezeigt, dass er hart sein konnte. Und Kaya hatte seinen Rücken gepflegt, mit der kühlenden Salbe be-, mit sanfter Hand darüber gestrichen. Und noch etwas tat sie für ihn. Sie hielt Tammo im Zaum, den überheblichen Bruder, dem das neue Verhältnis seiner Schwester zu dem dahergelaufenen Sachsenjungen nicht verborgen blieb. Sobald er auch nur ein zündelndes Wort sagen wollte, spien ihre dunkelbraunen Augen heiße Flammen und ließen Tammo schweigen. Den Grund kannten nur die Schwester und er. Er könnte sich noch täglich dafür ohrfeigen, den nassen Fleck auf seinem Lager nicht besser verborgen, dem schwarzhaarigen Biest ein solch starkes Argument geliefert zu haben. Doch er konnte es auch nicht unterlassen. Zu stark kochten seine Hormone, auch wenn er nachher im Boden hätte versinken wollen, zumal wenn die Schwester, die diesen Augenblick zu riechen schien, ihn mal wieder beim Beseitigen der Spuren ertappte. Gis wusste davon natürlich nichts. Er hielt Kaya noch immer für verbunden mit dunklen Mächten. Allein er fürchtete das weniger, je mehr sein Körper die Berührungen der jungen Frau genoss. Und es gab jemanden, der bestärkte ihn in seinen positiven Gefühlen.

      "Du hütest einen Schatz", sagte Tahnker, wenn er mit Gis über Kaya sprach. "Bewahre ihn gut."

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