Ein Pfeil ist nur frei, wenn er fliegt. Frans Diether

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Ein Pfeil ist nur frei, wenn er fliegt - Frans Diether

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los. Es wurde ihm bereits eng im Schritt. Er nahm seine Willenskraft zusammen, blickte der Tochter nun wieder direkt in die Augen.

      "Du bist gut gewachsen auf dem von Odas bestellten und von mir gepflegten Acker, bist reif für die Ernte, reif dafür, einen Mann zu beglücken, der dich mit starker Hand führt und deine Weiblichkeit bewahrt. Du kennst diesen Mann. Es wird dir Ehre bereiten, dass er dich erwählte. Du wirst deiner Mutter und mir auf ewig danken, dass wir sein Werben erhörten."

      Nun war es an Kaya, den Blick abzuwenden, nicht weil sie den Kampf der Blicke aufgab, einzig weil sie Gis ansehen wollte, denn niemand anders als er würde es sein, dem Frysunth sie zur Frau gab. Wäre nicht der Umstand gewesen, dass die Zieheltern und nicht sie die Wahl trafen, Kayas Glück hätte in diesem Moment keine Grenzen gekannt. Deswegen also ließ er sich die schöne Kleidung bereits vor dem Fest fertigen. Er sah wundervoll darin aus. Jede würde sie beneiden um den Mann, den man ihr zur Seite stellte, den Erben des Dorfvorstehers, Frysunths blutsverwandten Sohn. Mit Wohlgefallen erkannte Frysunth die gute Wirkung seiner Worte. Wusste Kaya schon wieder mehr, als er bis jetzt sagen konnte? Jedenfalls freute er sich, dass sie in Anbetracht des vorgesehenen Schicksals so freudig gestimmt wurde.

      "Es macht mich glücklich, das Glück auf deinem Gesicht zu sehen." Frysunth vermied ab nun ebenfalls den Kampf der Blicke, wollte teilhaben an der Freude der Tochter. "Und ich bin mir sicher, du findest in Tahnker die verwandte Seele, nach der die deinige so lange suchte."

      Lautes Gelächter brach aus. Alle sahen erschrocken auf Aalgaar und Uhgar, Tammos jüngere Brüder, die zwei, die nie etwas sagten, denen man Gefühlsausbrüche ebenso wenig zutraute wie einem Stein auf dem Grund des Baches. Doch die beiden klopften sich vor Lachen auf die Schenkel, konnten sich überhaupt nicht mehr beruhigen. Aalgaar verschluckte sich, begann zu husten, schien fast zu ersticken. Doch auch Tammo und Frysunth lachten nun laut, ließen sich anstecken von den beiden, deren Dasein sie bis zu diesem Moment kaum wahrnahmen. So bemerkte allein Gis, wie Kaya unter Tränen davoneilte und Altje ihr hinterher sprang. Als sich die vier vom Gelächter Überwältigten endlich beruhigten, brachte Altje die Ziehtochter bereits zurück, ihre Schulter fest umfassend, ihr damit Trost spendend, aber auch anzeigend, dass es kein Entrinnen gab. Frysunth blickte die Tochter ungläubig an. Wo blieb ihre Freude? Warum starrte sie zu Boden. Und warum fand sich diese Trauer in Gis Augen? Zornig zählte er eins und eins zusammen. Altje hatte Recht. Zwischen den Kindern bahnte sich etwas an. Zum Glück kam er dem zuvor, ehe Schreckliches daraus erwuchs. Mit wenigen Worten hob er die Runde auf, schickte er die ganze Familie in die Nachtruhe. Aalgaar und Uugaar konnten sich noch immer nicht beruhigen. Ihre ach so eigensinnige, sich niemandem beugende, auf ihre Freiheit so stolze Schwester wurde mit einem alten Mann verheiratet. Selbst wenn er ihr noch Kinder machte, würde er sie doch bald mit ihnen allein lassen. Dann wäre es völlig aus mit ihrer Überheblichkeit, müsste sie sich einen Beschützer suchen, einen Mann aus der Verwandtschaft, einen von ihnen. Der Gedanke an diese Chance ließ sie nicht los, ließ sie noch breit lächeln, als sie bereits in tiefem Schlaf lagen.

      Das große Fest begann. Erntedank verdiente in diesem Jahr seinen Namen mit voller Berechtigung. Es zahlte sich aus, den alten Göttern zu huldigen. Es zahlte sich aus, darüber den neuen Gott nicht zu vergessen. Es zahlte sich die Weisheit des Vorstehers aus, der es verstand, der fränkischen Herrschaft das sichere Gefühl der Festigkeit ihrer friesischen Untertanen im neuen Glauben zu vermitteln. Die freien Bauern konnten nicht anders, als Frysunth zu loben und sich selbst zu der anfangs durchaus umstrittenen Wahl zu beglückwünschen. Sie wollten ihm sogar den außergewöhnlichen Wunsch gewähren, einen Adoptivsohn ans eigene Blut zu binden, ein Vorgehen, welches nur aus Vorzeiten und nur in Krisenjahren bekannt und so überaus ungewöhnlich war, dass es lediglich im inneren Kreis stattfinden und weder dem Herzog der Franken noch dem von ihm gesandten Seelsorger bekannt werden durfte. So trugen sie alle große Anspannung in sich, fragte sich jeder, wie Frysunth es anstellen wollte, ein sächsisches Findelkind, noch dazu ein von den Franken gejagtes, in die Dorfgemeinschaft aufzunehmen. Sie zweifelten allerdings keinen Augenblick. Frysunth, der alte Fuchs, würde auch dafür eine Lösung finden. Und als Gis kurz vor der Ankunft das Vaters Bonifatius verschwand, für den Mönch wie immer unsichtbar blieb, wussten sie, Frysunth arbeitete noch an seinem Plan. Und einige ahnten, wie dieser aussehen sollte, als der Vorsteher auf Bonifatius Frage nach dem Verbleib von Agur antwortete, dass dieser zur Ausbildung im Waffenhandwerk bei einem entfernten Verwandten weilte.

      "Er macht Gis zu Agur", murmelten die, die sich für wissend hielten.

      Kaya ging an der Hand ihrer Mutter, hatte sich äußerlich abgefunden mit dem zugedachten Schicksal, war nicht davongelaufen, nicht in den Brunnen, nicht mit einer Schlinge um den Hals von einem Aste gesprungen. So sehr ihr die Ungestümheit im Blute lag, so sehr zeichnete sie sich auch durch Beherrschung aus. Es brachte nichts, ohne Geld, ohne Besitz, ohne Hilfe loszuziehen. Sie konnte es nur schlechter treffen als mit Tahnker. Überhaupt, dieser Mann schien doch wie für sie gemacht, hatte den gleichen Drang zur Unangepasstheit. Er würde ihr die Freiheit lassen, die sie brauchte. Eigentlich könnte sie glücklich sein. Doch das war die Ratio, das war ihr Hirn, das war nichts. Denn ganz anders sprach ihr Herz, nein es sprach nicht, es schrie, schrie vor Schmerz. Sie war nicht nur nicht glücklich, sie war zutiefst unglücklich, dachte immer nur an den einen, an den Dahergelaufenen, an den Fremden, an den Schwächling, der nicht töten konnte, der nicht für sie kämpfte, der es widerstandslos hinnahm, als sie einem anderen versprochen wurde. Sie verzieh es ihm. Was schon können Argumente, kann das Hirn gegen das Herz ausrichten? Was kann der Verstand gegen die Liebe tun? Nichts! Es gab nur den einen, würde immer nur den einen geben. Mochte er schwach sein, in ihren Händen war er stark. Mit ihr wäre er zu dem gereift, was sie sich so wünschte, zu ihrem männlichen Ebenbild. Als er den Rehbock erlegte, zeigte sich ihre Kraft in ihm. Mit ihr konnte er alles. Ihn wollte sie, nicht Tahnker. Es war noch immer Zeit, warf sie jedes schwer erdachte Argument über den Haufen. Sie konnten noch immer fliehen. Sie hatte noch nicht bei Tahnker gelegen, noch nicht die Vereinigung vollzogen. Sie müsste sich nur heimlich davonstehlen, zu den Ställen laufen, wo Gis immer wartete, bis der Priester verschwand. Sie würden sich zwei gute Pferde nehmen. Die Welt ist so groß. Es gibt einen Platz für uns, wusste Kaya tief im inneren. Sie ging an Altjes Hand. Drückte die Mutter besonders fest oder bildete sie sich das nur ein? Konnte die Mutter ahnen, was in der Tochter vorging? Kaya flehte zu Frigga. Ihre Seele schrie heftig und laut, schrie um Erlösung, um Gnade, um Abwendung des Unabwendbaren.

      "Zeige uns einen Weg, Gis und mir. Zeige uns unseren, den gemeinsamen Weg." Kayas Lippen formten die Worte. Unhörbar schwebten sie im Herbstwind, hingen sie in der warmen Luft über der duftenden Erde abgeernteter Felder, über den vielen grob gezimmerten Tischen und Bänken, welche den Festplatz übersäten, an welchen lärmende und lachende Männer und Frauen, streng getrennt nach Freien und Abhängigen, aber doch vereint im Wissen um die drei schönsten Tage des Jahres, saßen und das frisch gebraute Festbier genossen. Und wie Kayas Worte, so schwebten auch ihre Gedanken, flogen hinweg über die vielen bekannten und doch so fremden Verwandten und Nachbarn, über all die Trivialität, über Frysunth, der bereits auf einem Podest stehend, alsbald zu ihnen sprechen, über Bonifatius, der noch hinter Frysunth stehen, alsbald hervortreten und den Dankesgottesdienst abhalten würde. Das gehörte dazu. Das musste sein. Das ließe sie für eine Weile innehalten in dem, wonach ihnen der Sinn wirklich stand, nach schnellem Tanze, nach derbem Scherze, nach kräftigem Besäufnis und nach ungezügeltem Ausleben ihrer animalischen Triebe, was den Zustand allgemeiner Trunkenheit und das damit verbundene allgemeine Vergessen und Verzeihen voraussetzte. Dankbar bemerkte Kaya, dass Tahnker abseits stehend, ohne den obligatorischen mit berauschendem Trank gefüllten Tonkrug in der Hand, auf die Worte des Vorstehers wartete und hin und wieder zustimmend nickte, als Frysunth in gewählter Sprache den Spagat zwischen freiem Friesentum und ergebener Untertanenschaft als Teil des Frankenreichs schaffte. Ihre Dankbarkeit wuchs weiter, als sich Tahnker während der von Bonifatius zelebrierten Messe weiterhin abseits hielt, seinen Blick auf die uralte Eiche richtete, die dem christianisierenden Kahlschlag entging, da keiner sie öffentlich als Sitz von Göttern verehrte. Kaya jedoch wusste, aus dieser Eiche verfolgten die alten Mächte das Treiben ihrer Kinder. Und sie wusste, dass auch Tahnker das wusste. Es passte

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