Ein Pfeil ist nur frei, wenn er fliegt. Frans Diether

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Ein Pfeil ist nur frei, wenn er fliegt - Frans Diether

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alles nicht verhindern konnte, sie aber in ihrem Kampf unterstützen würde.

      "Wir kämpfen gemeinsam", flüsterte sie in den Knebel, als sie Tahnkers Wärme in ihrer Mitte spürte, als sein nach Bier stinkender Kopf auf ihre Brust sank, als er seinen Rausch auf ihrem nackten Körper ausschlief. Kaya schlief nicht. Gedanken des Zorns, Gedanken der Rache wühlten in ihrem Kopf.

      "Du wirst keinem erzählen, was geschah", raunte ihr Tammo ins Ohr, "sonst wirst nicht nur du, werden auch Gis, der Mörder, und Frysunth, der den Mörder versteckte, schlimmen Schaden nehmen. Hör zu, wenn ich mit Tahnker spreche, und merk dir jedes Wort. Denn nur das ist die Wahrheit. Und nichts anderes sollst du zukünftig sagen, als die Wahrheit." Eine Ohrfeige unterstrich die Ernsthaftigkeit von Tammos Worten.

      "Verstanden?" Wissend, dass die Schwester ihn verstand, auch wenn sie nur minimal nickte, nahm er den Knebel aus ihrem Mund und ging zu Aalgaar und Uugaar, während Kaya sich die schrecklichsten Strafen ausmalte. Sie schwieg dabei, sprach nur innerlich und mit sich selbst, forderte sich zur Geduld auf, kämpfte gegen Todessehnsucht und für das Weiterleben, gegen voreilige Entscheidungen und für das geduldige Warten auf den richtigen Zeitpunkt, Vergeltung zu üben. Sie atmete schwer, während Tahnker auf ihr lag, ihre Brüder auf dem Boden sitzend, mit dem Rücken an der Wand lehnend, der anstrengenden Vorbereitung ihrer Schandtat Tribut zollend, in traumlosen Schlaf fielen.

      Ein gellender Schrei entfuhr Tahnkers Mund, als er erwachend erkannte, was er im Vollrausch getrieben hatte. Die Szene war zu eindeutig.

      "Du raubtest die Ehre unserer Schwester, nahmst sie mit Gewalt und noch vor der Hochzeit, noch bevor Frysunth, unser Vater, sie dir übergab." Tammo, von Tahnkers Schrei aus dem Schlaf gerissen, folgte zielgerichtet seinem Plan. Die Schwester käme ihm nie wieder in die Quere, und Tahnker, der beste Aussichten hatte, Frysunth in der Vorsteherschaft nachzufolgen, stünde auf ewig in seiner Schuld. Dann war der Weg frei, vom großen zum allergrößten Bauern aufzusteigen, neben dem des Vaters auch Frysunths Hof zu übernehmen und ihm in der Vorsteherschaft nachzufolgen.

      "Was tat ich nur?" Voller Abscheu vor sich selbst stand Tahnker auf, bedeckte seine Blöße, sah Tammo fragend an und vermied krampfhaft, in Kayas Richtung zu blicken.

      "Du hast dich betrunken und das dir versprochene Weib mit Gewalt genommen. Wir bemerkten es zu spät, fanden euch erst, als du am Höhepunkt standst." Tammo wollte weiteren Fragen Tahnkers zuvorkommen, nicht erklären müssen, warum er der Schwester nicht beigestanden hatte.

      "Wir hätten dich von ihr reißen, unsere Dolche in deinen brünstigen Leib stoßen können. Doch es war zu spät." Tammos Unschuldsmiene ließ die Lüge wie Wahrheit wirken, trieb Tahnker zur Verzweiflung.

      "Nein, es ist nicht zu spät. Bindet eure Schwester los und lasst sie Rache an mir nehmen", flehte er.

      "Willst du sie ein zweites Mal beleidigen, womöglich mit deinem Kind im Leib zurücklassen, während du in die Hölle fährst?" Tammos Stimme überschlug sich fast, während Tahnker am ganzen Leibe zitternd, jeden Stolz verlor.

      "Nein, du wirst sie losbinden, so wie du sie festgebunden hast. Du wirst sie jeden Tag um Verzeihung bitten, wirst sie behüten wie deinen Augapfel. Und du wirst immer daran denken, welches Wissen wir mit dir teilen." Mit sichtbarer Schadenfreude zeigte Tammo an, dass Tahnkers Leben von nun an fremdbestimmt, sklavisch, in ständiger Furcht verlaufen würde.

      "Nimmst du sein Opfer an?", fragte der große Bruder die entehrte Schwester und zeigte sichtbar auf seine Brust, auf die Stelle, an der Gis das Brandzeichen trug.

      "Ich nehme es an", schluchzte Kaya und rieb sich die Gelenke, die Tahnker nacheinander von ihren Banden befreite.

      "Dann zieh dein Kleid über und komm mit. Bei Sonnenaufgang wird dich Frysunth dem übergeben, dem du seit letzter Nacht ohnehin gehörst." Tammo warf Kaya das grobe Gewand zu, welches sie voller Scham über den schmerzenden Körper streifte. Bald würde sie es gegen Festtagskleider tauschen, äußerlich rein und unbefleckt erscheinen, von einem ahnungslosen Ziehvater einem gedemütigten Manne zur Frau gegeben, von einem ebenso ahnungslosen Vater Bonifatius vor dem Christengott vermählt werden.

      Frysunth tobte, Altje schrie. Aufgeregt kam Vater Bonifatius herbeigelaufen. Sicher, es fiel den Eltern schwer, ihre Kinder aus dem Haus zu geben, vor allem, wenn sie so kräftige Arme hatten, so fleißige Arbeiter waren, wie es auf Kaya zutraf. Doch ganz so heftig musste die Trauer nun wirklich nicht ausfallen. Es ging schließlich nur um das Ziehkind.

      "Beruhigt euch liebe Leute und Gott zum Gruße." Ohne Zögern und mit diesen Worten auf den Lippen betrat der Missionar des Dorfvorstehers Haus, worauf dieser ebenso wie seine Frau augenblicklich verstummten. Gis war geflohen, hatte die Liebe missbraucht, die Pläne der Zieheltern so radikal umgestoßen. Aussprechen konnten sie das nicht. Es gab nie einen Gis, jedenfalls nicht für Bonifatius. So warteten sie erst einmal ab, was der Christenpriester von ihrem Wortgefecht gehört, welches Wissen er bereits gesammelt hatte.

      "Freut euch und schreit nicht vor Trauer. Eure Tochter geht aus dem Haus, aber sie geht an den Richtigen. Sie ist so ungestüm, so leicht verführbar. Ein älterer Mann wird sie lehren, sie auf dem Pfad der Tugend begleiten, nicht in jugendlicher Wollust, sondern auf gottgefälligem Wege mit ihr gehen."

      "Ihr habt ja Recht." Aus Frysunths Worten sprach ehrliche Erleichterung. Der Gottesmann fasste sein und das Klagen seiner Frau zum Glück völlig falsch auf, führte es auf Kayas Heirat zurück, hatte offenbar weiterhin keine Ahnung von Gis Existenz. Und so schickte Frysunth sich an, mit brummendem Schädel, auch er hatte am Vorabend dem Bier sehr reichlich zugesprochen, die Hochzeit seiner Adoptivtochter wie vorgesehen zu feiern. Erntedank bildete einen würdigen Rahmen. Am Abend würden nicht nur alle Gäste, würden auch Braut und Bräutigam berauscht sein. Das schuf die beste Basis für den ersten Beischlaf. In solcher Nacht werden Helden gezeugt. Und obwohl Gis Flucht heftig schmerzte, dachte Frysunth bereits weiter, plante er bereits mit einem Enkel als Nachfolger. Seine leiblichen Töchter würden in andere Familien einheiraten. Tahnker hingegen hatte keine Familie. Das band Kaya für immer an ihn, ihren Ziehvater. Wenn nicht Gis den Hof übernahm, dann halt Kayas Sohn. So fand Frysunth die Lösung für eines seiner drängendsten Probleme, die Sorge um seine Nachfolge, um seinen Besitz. Das linderte die gekränkte Eitelkeit ein wenig. Daran, dass die angenommene Tochter ohne Kinder bleiben oder nur Mädchen gebären könnte, verschwendete der Vorsteher keinen Gedanken.

      3. Kapitel

      Als sei ihr ein böser Geist auf den Fersen, so lief Alitiksok durch den dichter werdenden Wald, in das Rot des Abends, in das Schwarz der Nacht, in das zarte Blau des jungen Morgens, über Wiesen und Felder. Gis lenkte sie nur wenig, wusste selbst nicht, wo sein Ziel lag, wusste nur, dass es weit weg, weit weg von Friesen und Franken, weit weg von allen Menschen sein musste. Eigentlich gab es für ihn nur einen guten Ort, das Reich der Toten. Doch von dort aus könnte er Kaya nicht helfen, könnte er die Schmach seines neuerlichen Versagens nicht tilgen. Andererseits konnte ihn der Tod noch immer einholen, jedenfalls wenn es ihm nicht gelänge, seine Fesseln zu lösen, das verängstigte Pferd von seiner Last zu befreien. Irgendwann würde es entkräftet zusammenbrechen und liegenbleiben. Und er würde unter ihm liegen, bis der Durst seinen Körper ausgetrocknet, das Licht seines Lebens ausgeblasen hätte. Wieder einmal befand sich sein Schicksal in den Händen der Götter.

      "Willst du, dass ich lebe, so hilf mir, die Fessel abzustreifen", schrie er zu Saxnot und zerrte heftig an den gebundenen Füßen.

      "Willst du, dass ich sterbe, so schenke mir ein rasches Ende", rief er weiter und klammerte sich noch fester an den dampfenden schwarzen Leib, seinen Todeswunsch Lügen strafend. Nein, sein Körper wollte nicht sterben, wollte nicht von Alitiksoks Rücken gleiten. Sterben wollte Gis gedemütigte Seele. Und sie ließ ihn

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