Ein Pfeil ist nur frei, wenn er fliegt. Frans Diether

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Ein Pfeil ist nur frei, wenn er fliegt - Frans Diether

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Doch dieses Wesen liebte sie. Er war nicht wie Tahnker, doch er konnte so werden, konnte noch viel mehr werden. Sie würde ihn formen, Gis, ihren Mann. Sie hatte nachgefragt, sich erkundigt, von Eludin, dem Knecht, dem im Sachsenland Geborenen, erfahren, was die Symbole auf Gis Körper bedeuteten, dass er nicht mehr als Kind galt, eine Familie gründen, seine eigenen Entscheidungen treffen durfte. In ihren Augen kam das zu früh. Doch es gab wohl Gründe, die sie nicht kannte. Auch Eludin konnte nur Vermutungen anstellen, meinte, Gis Eltern hätten alles nur symbolisch gemeint, den Weg des Kindes in die Hände ihrer heimischen Götter gegeben, ihn dem Christengotte und seinen Missionaren entziehen wollen, was sich dann ja auch als große Sünde erwies und grausame Strafe fand. So jedenfalls deutete Eludin Gis seltene Berichte über seine Vergangenheit. Der Knecht selbst war mit ganzer Seele konvertiert, hatte die Taufe mit jeder Faser seines Körpers angenommen, konnte in den heidnischen Bräuchen seiner ehemaligen Landsleute nur noch Teufelswerk sehen. Kaya hingegen sah, die Götter der Sachsen und ihre Götter ähnelten sich in so vielem, hatten verwandte Namen, wohnten im gleichen Hause. Für sie war Gis vor den sächsischen Göttern zum Manne geworden. Sie würde ihn vor Frigga zum Manne nehmen und mit ihm in die Welt gehen, mit ihm und als seine Frau leben.

      "Nimm die Schwarze und folge mir." Kayas Worte erlaubten keinen Widerspruch.

      "Sie heißt Alitiksok", wagte Gis lediglich zu sagen.

      "Also nimm Alitiksok und komm. Wir haben nicht ewig Zeit."

      Gis wusste, die Götter führten ihn, führten sie beide, hatten entschieden. Er würde ihrem Rat folgen. Es musste gut werden.

      Die Geräusche des großen Festes prallten laut gegen die Ohren der Flüchtenden. Es gab wohl niemanden mehr, der noch nüchtern, kaum einen, der noch Herr seiner Sinne war. Es gab keine bessere Gelegenheit, den Plan zur Flucht auszuführen. Zielstrebig schritt Kaya voran, die braune Stute an der Hand führend. Sie hatte ein Ziel, ihr erstes und letztes konkretes Ziel. An der Esche angekommen, band sie die Stute fest und forderte Gis auf, gleiches zu tun. Das ganze Dorf befand sich im Stadium der Agonie. Kaya wusste das. Es war jedes Jahr dasselbe. Erntedank begann mit Reden und endete mit völliger Trunkenheit. Niemand würde kommen. Sie konnte es hier tun. Am Beginn ihrer Flucht konnte sie Hochzeit mit Gis feiern. Ab diesem Moment wären sie unzertrennlich. Kaya wusste von der alten Skroba, was sich zwischen Mann und Frau tat, beobachtete die Zieheltern mit ganz anderen Augen, nachdem ihr die sowohl als Heilkundige als auch als Hexe angesehene Frau das Geheimnis der Vereinigung offenbart hatte. Für einen kurzen Moment bedauerte sie, nicht noch viel mehr von der Alten gelernt, nicht noch viel tiefer in das Wissen um den Kreislauf des Lebens, um Krankheit, Gesundheit, Heilkunst und Magie eingedrungen zu sein. Doch dafür blieb keine Zeit. In spätestens zwei Tagen wäre sie Tahnkers Frau. Sie musste heute den anderen, den einen nehmen, wollte sie ihn nicht auf ewig verlieren.

      "Zieh dich aus", befahl sie Gis, blickte ihm tief in die Augen und begann auch selbst, die Kleider abzulegen. Gis Körper wogte. Er hatte Ähnliches schon einmal gespürt. Schon einmal hatte Kaya ihm unbekannte Gefühle geweckt. Damals vergingen sie wieder. Diesmal wollte er alles dafür geben, dass sie ewig blieben. So tat er, wie sie ihm befahl. Bald standen sie nackt voreinander, musterten einander von Kopf bis Fuß, sahen die Veränderungen am Körper des Gegenübers, mussten sich von einer inneren Stimme getrieben erst zögerlich, dann umso intensiver berühren, erst auf Abstand, dann bis zum Aneinanderschmiegen ihrer Körper zusammentreten. Kaya spürte, wie sich ihre Brüste strafften, wie sie nach Gis Händen, nach seinem festen Griff gierten. Noch fester, wollte sie rufen. Er schien sie ohne Worte zu verstehen. Sie schlangen die Arme umeinander. Kayas Schoß trieb Gis Männlichkeit fast zur Verzweiflung. Doch zunächst suchte ihr Mund den seinen, ihre Zunge die seine. Er konnte nichts bestimmen, wusste nicht, was kommen würde, wusste nur, dass es wunderschön sein würde, dass er es immer wieder würde spüren wollen, dass er mit dieser Frau auf ewig vereint sein musste. Kaya drückte ihn zu Boden, setzte sich auf ihn wie auf ein junges Fohlen, ganz vorsichtig, sich abstützend, die eigene Last ausbalancierend. Sie zeigte ihm den Weg und er folgte ihr. Aus dem Fohlen wurde ein Pferd, ein galoppierendes, schäumendes, rasendes Pferd. Kaya schrie, als sie spürte, was sie noch nie spürte. Gis bäumte sich, als er spürte, was er noch nie spürte. Aus zweien wurde eins, aus einem Jungen und einem Mädchen wurden Mann und Frau. Noch immer heftig atmend, legte Kaya ihr von wild verklebtem Haar gesäumtes Gesicht auf Gis schwitzende Brust. Laut schlug sein Herz, heftig ging sein Atem. Er schlang die Arme um den dampfenden Körper dieser, seiner Frau. Alles verstummte. Es gab nur sie beide. Saxnot und Frigga wurden in ihnen zum Mensch. Nichts konnte sie je wieder trennen.

      Es war Zeit zum Aufbruch. Sie mussten ein gutes Stück Wegs zwischen sich und das Dorf bringen, bevor man ihr Fehlen bemerkte. Nur noch einen Augenblick, dachte Kaya. Einen kleinen Augenblick noch wollte sie die Augen geschlossen halten, nichts als Gis Atem hören, nichts als seinen Herzschlag spüren. Nur noch einen Augenblick, dachte Gis, während seine Lippen die ihren suchten. Es gab nichts außer ihnen beiden. Sie schwebten frei im Raum. Sie waren Götter.

      "Hure!"

      Kaya wollte schreien. Kräftige Finger zogen an ihrem Haar. Gleichzeitig drückte sich eine scharfe Klinge gegen ihre Kehle, ließ jeden Laut in selbiger ersticken. Vier Männerhände griffen ihre Arme, zwangen die fast Wahnsinnige auf die Knie. Sie hatte verloren. Es blieb ihr nur der Tod. Sie versuchte, ihre Kehle an dem kalten Eisen zu eröffnen. Doch der Dolch wurde so weit weggezogen, dass sie ihn nicht erreichen konnte.

      "Dreh dich auf den Bauch", fauchte Tammo und stieß Gis mit dem Stiefel in die Flanke, "sonst stirbt sie."

      "Besser …", Tammos Faust ließ Kaya verstummen. Nein, er wollte das nicht hören. Natürlich wäre es für die Schwester besser gewesen, tot statt versklavt zu sein. Allein sie hatte das nicht zu entscheiden. Sie würde ab sofort tun, was man ihr befahl, was er, Tammo, ihr befahl. Und Gis, kaum Herr seiner Sinne, voller Scham und voller Zorn über sich selbst, befolgte Tammos Anweisung, wollte nichts als Kayas Leben retten, am besten selbst sterben. Tammo nutzte den Überraschungseffekt und band Gis Hände fest aneinander.

      "Hoch mit dir!" Er zog ihn an der Fessel nach oben, bis er auf seinen zitternden Beinen stand.

      "Mitkommen!"

      Gis Handgelenke schmerzten, noch mehr schmerzte seine verwundete Seele, die Scham der Unterlegenheit.

      "Wird’s bald", Tammo zog kräftig an Gis Fessel, zwang ihn, unter einen starken Ast.

      "Besser du tust, was ich sage, wenn du nicht ihr Mörder sein willst", fauchte Kayas ältester Bruder dabei und wies mit dem Dolch auf seine vor Wut fast platzende, von Aalgaar und Uugaar in sicherem Griff gehaltene Schwester. Und Gis tat, was Tammo sagte, stand demütig unter dem starken Ast, über den Tammo das Ende der Fesselleine warf, es wenig später straff zog, was Gis auf die Zehenspitzen zwang. Tammo verschnürte das Seil an der starken Eiche, eröffnete dem Gefesselten keinerlei Chance zum Widerstand.

      "So, der Mistkerl kommt uns nicht mehr in die Quere." Tammo schnaubte die Worte heraus. All die aufgestaute Wut, all die bitter empfundenen Kränkungen brachen sich Bahn.

      "Und nun zu dir Schwesterlein oder besser Hexe oder gar Hure", Tammo lachte dreckig, als er einen weiteren Strick aus seiner Gürteltasche zog.

      "Biegt ihr die Arme auf den Rücken."

      Aalgaar und Uugaar drückten heftiger und zwangen Kayas Hände auf deren Rücken. Sie bäumte sich auf, versuchte, die Peiniger abzuschütteln. Es gelang ihr nicht.

      "Ihr Schweine, Frigga wird euch strafen", schrie sie und wusste doch, sie hatte keine Chance gegen die Übermacht. Und je fester sich der Strick um ihre Handgelenke legte, umso geringer wurde ihr Widerstand. Schließlich kniete sie stumm und mit gesenktem Kopf auf dem duftenden Waldboden. Sie wollte ihre Gedanken sammeln, sich konzentrieren, nicht mit Kraft, sondern mit

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