Ein Pfeil ist nur frei, wenn er fliegt. Frans Diether

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Ein Pfeil ist nur frei, wenn er fliegt - Frans Diether

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den Frysunth noch immer als seinen Erben ansah, der für Altje allerdings von geringem Stande war, ein Problem, welches zwischen den Eheleuten unausgesprochen aber fast täglich spürbar stand, die Vertrautheit also zwischen dem Sachsenjungen und seiner Schwester Kaya, blieb nicht lange unbemerkt. Nicht Tammo war es, der die Sinne der Stiefeltern für das wachsende Pflänzchen sensibilisierte. Er schwieg lieber, wusste er sich doch von Kaya durchschaut und erpressbar. Es war die Unbekümmertheit der beiden, die sich nicht als Bruder und Schwester, sondern als vom Schicksal zusammengeführte Leidensgenossen sahen. Mochte es anfangs angehen, dass die in Heilkunde erstaunlich erfahrene Kaya, ihre Mutter hatte ihr dieses Wissen vermittelt, sich um Gis Wunden kümmerte, so beäugte Altje die Fürsorge der Kleinen für den auf die Pueritia zusteuernden Knaben nach einiger Zeit mit großer Skepsis. Anfangs tat er ihr leid. Frysunth hatte wahrlich hart zugeschlagen, seiner Enttäuschung sichtbar Ausdruck verliehen. Später hingegen schien die Pflege der verheilten Wunden immer mehr Vorwand für eine nicht tolerable Beziehung unter Geschwistern zu sein. Und da Altje die Organisation des täglichen Lebens oblag, schickte sie ihre vier Jungs, selbst Tammo, der sich stets für etwas Besseres hielt, kam gegen ihren Befehl nicht an, zur Ernte auf die Felder, dass ihnen kaum ausreichend Gelegenheit zum Essen und Schlafen blieb. Kaya wiederum verbrachte die Zeit vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang gemeinsam mit Altjes leiblichen Töchtern beim Sammeln der reifen Früchte des Waldes, bei der Herstellung eines ausreichenden Holzvorrats für den bevorstehenden Winter und bei der Verarbeitung des Ernteguts. Wenn dann schließlich alle unter dem gemeinsamen Dach schliefen, blieb die Trennung zwischen Mann und Weib streng gewahrt. Eine Armlänge mindestens musste der Abstand betragen. So kam es, dass Kayas Höhle verwaiste, Gis die junge Frau nur mehr als Schatten in der Nacht zu Gesicht bekam, die Gefühle seines Körpers mangels Auffrischung langsam verblassten und das alte Bild der Hexe sich wieder aufdrängte, war es doch seit Generationen im Volke der Sachsen verwurzelt und unter der christlichen Missionierung mit neuer Schande belegt worden. Hexen sollten brennen, wusste Gis. Er erschrak bei diesem Gedanken. Würde auch Kaya ein solches Schicksal bevorstehen? Und was würde aus ihm, brächte man ihn mit ihr in Verbindung? Gis hatte keine Ahnung von den Anordnungen des großen Karl, des Königs der Franken, der für ihn ohnehin eine ferne abstrakte Gestalt blieb. Er wusste nicht, dass dieser bereits im Jahr von Widukinds Taufe den Hexenglauben unter Strafe gestellt hatte. Wie sollte er es auch wissen. Der Herrscher war fern und seine progressiven Ideen auch. Das Wissen der Bauernkinder beruhte vor allem auf den Erzählungen der Alten, auf dem Abschauen ihres Tuns und neuerdings auf dem Wirken christlicher Missionare, die in ihrem Denken von den progressiven Ideen ihres Königs mindestens so weit entfernt waren, wie die von ihnen Bekehrten. Und noch etwas drängte sich Gis auf, wenn er mit seinen drei Brüdern die Halme schnitt und zu Bündeln schnürte, wenn er diese auf dem nackten Rücken schleppte, das noch immer einzige in seinem Besitz befindliche Hemd schonend. Es waren Kayas Worte beim Bogenschießen, ihre Überheblichkeit und der ungeheuerliche Vorwurf, Gis hätte in höchster Gefahr das Ziel verfehlt, die ungeheuerliche Behauptung, allein durch ihr Tun wäre er noch am Leben. Die alten Gefühle ließen Gis noch schweigsamer, zurückgezogener und sogar duldsam gegenüber den Schikanen Tammos und seiner leiblichen Brüder werden. Harte Arbeit war das Los des Bauern.

      Das wäre auch in seinem Heimatdorf nicht anders gewesen. Doch dort hätte er Liebe erfahren, die er im neuen Zuhause schmerzlich vermisste. Ging er Kaya deswegen ins Netz? Hatte sie deswegen leichtes Spiel mit ihren Verführungskünsten, weil er in ihr den Ersatz der Mutter sah? Kaya besaß magische Kräfte. Sie konnte ihn verzaubern. Er musste Altje dankbar sein, dass sie ihn aus dieser Abhängigkeit befreite. Gis war Altje dankbar, schuftete bis zur Erschöpfung, ersetzte Frysunth, der sich seit Tagen mit anderen Kriegern traf, dem eigenen Hof fern blieb, als Arbeitskraft ausfiel. Altje bemerkte seinen Eifer, selbst wenn ihre drei anderen Ziehsöhne nichts unversucht ließen, den ungeliebten Bruder in Misskredit zu bringen. Sie bemerkte auch, wie sich der Junge kaum mehr für Kaya interessierte.

      "Arbeit ist die beste Medizin, heilt sogar verfehlte Liebe", sagte sie zu sich selbst und beschloss, dem Knaben eine Freude zu machen, ihm die Teilnahme am großen Erntedankfest zu erlauben. Als Frysunth endlich heimkehrte, unterbreitete sie den Vorschlag und fand des Gatten ungeteilten Zuspruch.

      "Er arbeitet so hart, wird bestimmt einmal ein guter Bauer, ein guter Hoferbe", freute sich Frysunth, seinen lange gehegten Wunsch offen aussprechen zu können. Und Altje widersprach nicht mehr. Auch sie war von Gis Qualitäten zunehmend überzeugt, mochte vor allem nicht mehr den Hof an Odas Söhne vererben, die sich mehr durch Zänkigkeit denn durch Arbeitseifer, eher durch überhebliches Gehabe denn durch Demut auszeichneten. Sollten sie sich Odas Hof teilen. Der von Frysunth zu vererbende Besitz hatte einen würdigeren Eigentümer verdient.

      Der Mond war gut am Zunehmen, würde bald seine größte Fülle erreichen. Erntedank stand unmittelbar bevor. Und wie jeden Tag stand Gis noch in der Dunkelheit auf, um mit dem ersten Tageslicht die letzten Feldfrüchte einzubringen. Wie jeden Tag nahm er sein Nahrungsbündel auf die nackte Schulter, ertasteten seine nackten Füße den Weg zum Ausgang. Leise öffnete er die hölzerne Tür. Er wollte sich das Geschimpfe der Brüder nicht anhören, die ihn einen Verräter, einen Streber nannten.

      "Bleib noch. Du hast nicht mehr so viel zu tun, als dass du schon jetzt aufbrechen müsstest."

      Gis erschrak. Es fiel ihm bis zu diesem Zeitpunkt nicht auf, dass Altje bereits ihr Lager verlassen, vor dem Haus bereits auf ihn gewartet hatte.

      "Komm mit mir zu Tahnker. Dein Vater und er schlossen einen Handel. Du wirst dich freuen."

      Altjes Worte machten Gis neugierig. Er hatte Tahnker lang nicht mehr gesehen, schon fast vergessen, dass er ihm einst den Rehbock schenkte und ein Paar Schuhe als Gegenleistung erbat. Er hatte auch Tahnkers Belehrung fast vergessen, die ihm auftrug, Kaya wie einen Schatz zu hüten. Hoffentlich fragt er nicht nach ihr, dachte Gis noch, als sie bereits vor der kleinen Hütte des Freigeists standen, dem die Frau bei der Geburt des ersten Kindes und das Kind wenig später gestorben, seither das Glück einer Familie versagt geblieben waren.

      Tahnker stand bereits vor seiner Hütte, hielt ein Bündel in den Armen, welches im ersten Morgengrauen gut erkennbar war und Gis Blicke magisch anzog. Es ist bestimmt für mich, dachte er. Seit er fast alles verlor, nur die nackte Haut retten konnte, musste er sich jeden kleinen Besitz hart erarbeiten, reichte es gerade für ein Hemd und zwei Hosen. Jetzt streckte ihm Tahnker so ein großes Paket entgegen.

      "Es ist für dich", sagte der bereits ergrauende, von Gestalt jedoch noch immer kräftige Mann. "Möge es dir Glück bringen, so wie mir großes Glück zu Teil, mir ein besonderer Schatz geschenkt wird."

      "Nimm es ruhig", forderte Altje den zögernden, Tahnkers Worte nicht recht begreifenden Jungen auf. Es gehört dir. Von der Ziehmutter solcherart angestachelt, gab Gis seiner Neugierde nach und förderte ein fein gearbeitetes, mit Fell verziertes Hemd, eine feste lederne Hose und ein Paar Stiefel zu Tage. Was für ein Schatz, dachte er und jubelte innerlich. Äußerlich blieb er ruhig, sagte artig danke und sah erstaunt einen leichten Anflug von Trauer in Tahnkers Augen. Ärgerte sich dieser über Gis Beherrschung? War es nicht der Wunsch aller Erwachsenen, dass Kinder ihre spontanen Regungen kontrollierten?

      "Es freut mich, wenn es dir gefällt. Doch eines gebe ich dir noch mit auf den Weg. Es gibt Werte im Leben, die erkennt man erst, wenn man sie verliert."

      Gis runzelte die Stirn. Er verstand nicht den Sinn in Tahnkers Rede. Altje hingegen verstand ihn wohl, dankte nur kurz und drängte zum raschen Aufbruch. Keinesfalls sollte der alte Eigenbrötler ihren Sohn, wie sie Gis seit der Übereinkunft mit Frysunth in ihrer Seele nannte, mit romantischen Ideen von dem vorgezeichneten Weg zum Besitzenden, zum bedeutenden Mitglied der Dorfgemeinschaft abbringen.

      Es sollte noch Stunden dauern, bis die brütende Sonne, die am Tage vor Erntedank noch einmal ihre Kraft zeigen, sich noch lang nicht dem aus weiter Ferne heranziehenden Winter beugen wollte, hinter den Bäumen verschwinden, die unerträgliche Hitze mit sich nehmen würde. Wie so oft trug Gis nichts mehr

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