Ein Pfeil ist nur frei, wenn er fliegt. Frans Diether

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Ein Pfeil ist nur frei, wenn er fliegt - Frans Diether

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trocknen. Tammo, der die Halme zusammenband und an den Feldrand schleppte, konnte sich nicht vorstellen, nackt wie einer der Wilden aus den Erzählungen vom Anfang der Welt herumzulaufen. Lieber nahm er das bis zur letzten Faser durchgeschwitzte Hemd und die knöchelhoch mit Wasser gefüllten Stiefel in Kauf. Voller Ärger streifte sein Blick die beiden Brüder, welche dem Beispiel des Dahergelaufenen folgend, Hemd und Schuh ebenfalls abgestreift hatten. Er müsste mit ihnen schimpfen, sie auf ihren Stand verweisen, die Rolle des toten Vaters übernehmen. Doch Tammo fürchtete Frysunth, der ihn bei jeder Gelegenheit spüren ließ, wer der Herr war. Ein Wort zu dem verhassten Stiefvater und dieser schlüge seinen Ältesten mit harter Hand, ließe ihn spüren, dass er nur einer von vier Brüdern war, keinerlei Vorrechte besaß. Tammo verfluchte ihn dafür, verfluchte seine jüngeren Geschwister, verfluchte vor allem Gis, mit dem das ganze Übel begonnen hatte.

      Frysunth saß in seinem Hause, dessen dicke Bohlen, dessen erst im letzten Jahr neu gedecktes Dach den unerträglichsten Teil der spätsommerlichen Hitze abhielten. Mit gekreuzten Beinen, die Arme vor dem nackten Oberkörper verschränkt, saß er auf einer Kuhhaut, einen Krug des frisch gebrauten Bieres neben sich. Es mundete hervorragend, würde einen guten Trunk beim großen Fest abgeben, alle Sinne in glückliche Sphären entführen. Drei Tage würden sie feiern, sich betrinken, Dinge tun, an die sie sich später besser nicht erinnern sollten, die jedoch so viel Spaß machten, dass sie die Mühsal des übrigen Jahres aufwogen. Es galt als Pflicht, sich zu betrinken. Seit alters her war es üblich, und ein Verstoß nicht zu verzeihen. Es war auch kein Privileg der Männer. Die Weibsbilder trieben es ebenso wild, und manche, die sich sehnlichst ein Kind wünschte, fand in dieser Zeit die Erfüllung ihres Wunsches. Frysunths Vorfreude wuchs von Tag zu Tag. Dieses Jahr verdiente ein besonderes Fest. Dieses Jahr nahm ihm den einzigen Sohn, doch es schenkte ihm vier neue, von denen einer sich als überaus würdiger Nachfolger erwies. Frysunth gab es nicht zu. Doch wenn er Gis mit Agur verglich, gewann ersterer. Und wenn das Glück ihnen weiter hold blieb, würde das ganze Dorf seinen angenommenen Jungen, seinen erwählten Erben akzeptieren und achten. Da konnten auch die anderen Ziehsöhne, allen voran der zänkische Tammo, nichts ändern. Und um dieses abzusichern, wollte Frysunth den Söhnen seines verstorbenen Bruders dessen Hof übergeben. Tammo schien alt genug, eine Familie zu gründen, mit seinen Brüdern das Land zu bestellen, die Tiere zu versorgen. Auf dem Fest wollte Frysunth seine Entscheidung verkünden. Und auch für Kaya war gesorgt. Für sie wäre kein Platz auf dem elterlichen Hof, sie würde nur stören, ständigen Streit verbreiten. Sie konnte auch nicht ewig bei Frysunth bleiben, schon gar nicht nachdem dieser Gis als Erben erkor. Gis brauchte eine einfache, sich unterordnende, ihren Platz kennende und widerspruchslos einnehmende Frau. Bei seiner Zukunftsaussicht musste man einen Mangel an Bewerberinnen nicht befürchten. Kaya hingegen sollte mit dem leben, dem sie besonders ähnlich war, der ihr die Freiheit gab, die sie brauchte, der ihr ausreichende materielle Sicherheit gab, der ihr handwerkliche Fähigkeiten beibringen könnte, die ihr ein eigenständiges Leben ermöglichten. Und Frysunth wusste, dass ihm sein Freund Tahnker auf ewig dankbar wäre. So erzielte er rasche Einigkeit mit Altje, seiner geliebten Ehefrau, die zwar auf eine wertvolle Arbeitskraft verzichten musste, jedoch auch eine ständige Bedrohung ihrer eigenen, für Gis weiteren Weg geschmiedeten Pläne beenden konnte. Um ein Hemd, eine Hose und ein paar Stiefel gaben sie Kaya an Tahnker. Die Verbindung der beiden sollte auf dem kommenden Fest geschlossen werden. Und während Frysunth einen kräftigen Schluck des kräftigen Trankes durch die Kehle rinnen ließ, stand sein Weib hinter ihm, massierte sie mit kräftigen Händen seine muskulösen Schultern, sein Wohlgefühl in schwindelnde Höhe treibend. Bald wuchs in beiden das Verlangen, sich ohne die Beobachtung durch die Kinder, man wusste ja nie, ob sie wirklich schliefen, aufs innigste nahe zu kommen. Heiß hämmerte die Sonne gegen das Haus. Heiß waren die Körper der Eheleute, so heiß, als trugen sie alle Sonnenstrahlen des langen Sommers in sich. Bald kannten sie nur noch einander, sahen und hörten nichts als ihr lustvolles Stöhnen, ihre animalischen Schreie. Erschöpft und glücklich lagen sie auf dem Boden. Sie sollten das Spiel der Liebe viel öfter pflegen, auch wenn es keine Leibesfrucht mehr erwecken konnte. Gis Arbeitseifer würde ihnen die nötige Freiheit schenken, ihnen viel von der Mühsal des Tages nehmen.

      "Das sind die letzten Ähren. Die Speicher sind voll, die deinigen wie die deines Bruders Odas, meines Vaters." Stolz klang aus Tammos Worten und Ärger über die Bevormundung durch den Stiefvater, über die fehlende Würdigung seiner herausragenden Position, über die schmachvolle Gleichstellung mit dem dahergelaufenen Sachsenbastard, der noch immer fast nackt wie ein ungebildeter Heide umherlief, dessen schlechter Einfluss bereits auf die Brüder abfärbte. Tammo musste sich zwingen, nicht verächtlich auf den mit entblößtem Oberkörper vor ihm stehenden Stiefvater zu schauen. Fehlte es denn allen hier an Standesgefühl und Sitte? Frysunth nahm das alles wohl wahr, gab sich jedoch große Mühe, ruhig und freundlich zu wirken, auch wenn ihn der Ton reizte, er innerlich über die zwar standesgemäß wirkende, allerdings bis auf den letzten Faden durchgeschwitzte Tracht des Ziehsohnes lächelte, Tammo die eingenommene, über seine Brüder erhobene Position nicht zugestand.

      "Gib deiner Schwester alles, was du auf der Haut trägst, dass sie es wasche, du in reinem Kleide auf das Fest gehen, deiner zukünftigen Würde als Herr des Odas-Hofes gerecht wirst."

      Frysunths Worte ließen Tammo erst staunen, dann jubeln, innerlich nur, dafür umso heftiger. Nach außen blieb er gefasst. Zu lange staute sich Ärger in ihm, durchflutete Hass seine Gefäße, als dass er sich vor dem Onkel, dem weniger begüterten Bruder seines verehrten Vaters Odas zu überschwänglicher Äußerung seiner Gefühle hinreißen lassen wollte.

      "Ich meine es ernst", sprach Frysunth weiter. "Gib deine Kleidung zum Reinigen und reinige dich auch selbst. Wir, deine Mutter", er nahm Altje, die schon einige Zeit neben ihm stand, bei der Hand, "und ich trafen gute und weitreichende Entscheidungen. Wir wollen sie in würdigem Rahmen verkünden."

      Inzwischen war auch Kaya herbeigekommen, von den Worten des Stiefvaters nicht minder überrascht.

      "Nun zieh dich schon aus", forderte sie so nachdrücklich, dass Tammo, noch immer unter dem freudigen Schock der großartigen Ankündigung stehend, sich des Hemds, der Hose und der Stiefel entledigte und seinen Brüdern zum nahen Waldbach folgte.

      Die Abenddämmerung versprach sie, der aufkommende Wind brachte sie, die lang ersehnte Abkühlung. Die Tür des Hauses stand weit offen. Frysunth, der Hausherr, saß davor, mit seiner Familie einen Kreis bildend. Entsprechend der Aufforderung der Eltern trugen sie ihre besten Gewänder, die, welche sie für das Erntedankfest vorgesehen hatten. Nur Kaya ging wie immer in grobem Stoff und ohne Schuhe. Es war doch Sommer. Sie konnte doch die Göttin nicht durch widernatürliches Verhalten erzürnen. Lieber erzürnte sie Frysunth und Altje und Tammo. Erwartungsvoll blickten alle auf Frysunth. Er musste Großes zu sagen haben. Allein Kayas Blick wanderte in Gis Richtung. Wie lange konnte sie nicht mit ihm sein, wie lange ihn nicht mehr sprechen. Die harte Arbeit verschlang sie beide völlig. Des Nachts verfielen sie in herbeigesehnten, viel zu tiefen, weil viel zu kurzen Schlaf, getrennt durch eine hölzerne Bank, welche Frysunth zwischen den Lagern der Jungen und Mädchen und als mahnendes Zeichen aufgestellt hatte. Sie sollten sich wie Geschwister verhalten, sagte dieses Zeichen unbarmherzig. Gut sah er aus, der fremde Junge. Woher kam das mit Rehfell verzierte Hemd? Woher kam die lederne Hose? Woher kamen vor allem die guten Stiefel, mit denen so mancher Winter zu überstehen wäre? Kaya befiel eine Ahnung, eine grausame Ahnung. Gis trug doch nicht etwa die Früchte der gemeinsamen Jagd? Er sollte sie doch erst nach dem Fest erhalten, sie durch harte Arbeit auf Tahnkers kleinem Hof verdienen, auf diese Weise einen Grund haben, dem sinnlosen Besäufnis der Erwachsenen fern zu bleiben.

      "Meine lieben Kinder", hob Frysunth an. "Dieses Jahr brachte Trauer, große Trauer. Es brachte auch Freude, große Freude."

      Er hob den Bierkrug an die Lippen, nahm einen kräftigen Schluck, entließ die gleichzeitig eingesogene Luft mit kräftigem Geräusch und sprach weiter.

      "Ich verlor erneut ein Kind, meinen geliebten Sohn. Vier von euch verloren den Vater, meinen geliebten Bruder."

      Tammo

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