Ein Pfeil ist nur frei, wenn er fliegt. Frans Diether

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Ein Pfeil ist nur frei, wenn er fliegt - Frans Diether

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Mute Schwankende, der so schnell Vergessende, der sie fast im Stich Lassende. Es sprach so vieles für Tahnker, so wenig für Gis. Letztlich sprach allein ihre Liebe für Gis. Und noch einmal wurde ihr bewusst, gegen die Sprache der Liebe konnte nichts ankommen, sei es noch so groß und wichtig. Frigga würde sie verstehen. Friggas langes Haar raschelte im Eichenlaub. Friggas verführerische Lippen summten das Lied der Liebe. Für Kaya laut und deutlich hörbar, schwebte es im Herbstwind, hing es in der warmen Luft über der duftenden Erde abgeernteter Felder, über den vielen grob gezimmerten Tischen und Bänken, säuselte es der jungen, vor Liebe, vor Abenteuerlust, vor Freiheitssehnsucht tollen Frau einen Plan ins Ohr, einen Plan direkt in die schmachtende Seele.

      "Verzeih mir, lieber Tahnker", formten Kayas Lippen und Frigga lächelte dazu.

      Gis saß zwischen seines Vaters, jedenfalls seines Ziehvaters Pferden. Sie kannten ihn gut. Sie vertrauten ihm. Selbst die Schwarze, der er doch den Herrn nahm, die er durch Mord für sich nahm, die er gar für schwere bäuerliche Arbeit in Beschlag nahm - andernfalls hätte Frysunth das Bleiben des Tieres nicht geduldet, denn nur wer arbeitete, durfte auch essen - schenkte ihm große Zuneigung, schien die Liebe zu spüren, die er für sie im Herzen trug. Für sie hatte er gemordet, einen Menschen getötet. Gis unterbrach seine Gedanken. Er tötete den Franken, weil dieser ihn töten wollte. Die Liebe zur Schwarzen kam erst später. Er wollte wenigstens zu sich selbst ehrlich sein. Dazu gehörte auch, dass er wegen einer Frau tötete, die Trophäe seiner Tat als Kleidung trug. Kaya hatte ihn dafür fragend angesehen, Kaya, der er schon so nahe war und von der er sich wieder so weit entfernte. Kaya, die ihn herausforderte, ihn zum Äußersten trieb, für die er tötete und die er unter der Last des Täglichen zurückstieß in die Masse der anderen, in die Vielzahl derer, bei denen er lebte, ohne einer der ihren zu sein. Gis saß noch immer auf dem Boden. Seine Zehen, wie selbstverständlich trug er wieder die einfache bäuerliche Kleidung, er durfte ja nicht mit auf das Fest, spielten mit dem duftenden Heu. Er konnte sie nicht still halten, war zu aufgeregt, wenn er an das dachte, was verging, noch mehr jedoch, wenn er daran dachte, was kommen könnte. Sein staubüberzogenes Gesicht verbarg sich in den schmutzigen Händen. Tropfen bahnten sich den Weg durch Staub und Schmutz, kamen aus grünen Augen, wuschen kleine Straßen frei. Er dachte an seine Sippe. Er sollte dazugehören, sollte in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen werden, sollte kein Kind mehr sein. Die Götter sollten ihn den Männern seiner Sippe gleich erachten. Dafür trug er die alten Symbole auf der Haut. Dafür überwand er das Wasser des Flusses, seines Flusses, an dem sein Dorf lag.

      "Warum nahmt ihr mir das alles", rief Gis in das flaue Licht des Stalls. Der umherwabernde Staub wirbelte durcheinander. Durcheinandergewirbelt wie mein Leben, dachte Gis bei diesem Bild. Warum durfte er überhaupt leben, wo alle anderen starben, der Vater so früh, Mutter und Großvater ebenfalls weit vor der Zeit?

      "Was habt ihr mit mir vor?" Er achtete die Gefahr der Entdeckung nicht, schrie laut. Die Götter sollten ihn hören, Wodan sollte ihn hören, Saxnot sich seiner erbarmen. Und kam da nicht eine Antwort? War da nicht mehr als das Schnauben der Pferde.

      "Die Götter sind mit den Starken." Gis vernahm es ganz deutlich. Und er hörte seinen Namen, nicht den, den ihm Adalbert anhängte, den, den er von seinem Großvater bekam, Gis, der Pfeil.

      "Ein Pfeil ist nur im Fluge frei."

      War es Saxnot, der zu ihm sprach? Musste alles so kommen, damit er seinem Namen gerecht wurde? Durfte er sich nicht an Vergehendes binden? Sollte er die Knechtschaft abwerfen? Dann durfte er auch nicht unter neuer Knechtschaft leben. Dann musste er auch die neue, aus Not heraus angenommene Heimat verlassen. Musste er aus diesem Grunde Kaya vergessen, weil er frei sein und die seinen aus Knechtschaft befreien sollte? Doch die seinen waren tot. Wen sollte er befreien, die Friesen oder nur sich selbst?

      "Antworte doch", flehte er, während die Pferde ihn fragend ansahen. Lag die Antwort so nahe, dass alle, selbst die Pferde sie kannten, nur er, Gis, sie nicht vernahm? Es war an der Zeit aufzubrechen, nicht alte durch neue Knechtschaft zu ersetzen. Aus seinem Dorf wurde er vertrieben, die in der Unterdrückung liegende Geborgenheit wurde ihm gewaltsam genommen. Er durfte nicht wieder darauf warten, dass die Götter ihn zwangen, seinen Weg zu gehen, durfte nicht wieder so viele Leben gefährden. Er musste aufbrechen und frei sein. Seine Augen trafen die der Schwarzen. Stehen nicht die Pferde den Göttern am nächsten, fragte Gis sich selbst und das Pferd. Und das Pferd sah ihn ruhig an, ließ Ruhe in die aufgewühlte Seele des Jungen einkehren. Er wollte aufbrechen, wollte seine neuen Kleider packen, sich auf seine Stute schwingen und in die Welt ziehen. Er wollte es nicht gleich tun. Auch bei diesem Gedanken blickte ihn das Pferd ruhig an, als bestätigte es seinen Plan. Er wollte erst den Winter vergehen lassen. Mit der Kraft des Frühlings wollte er sich auf den Weg machen. Gis stand auf, drückte sein Gesicht in das weiche schwarze Fell, strich mit der Rechten über die lange schwarze Mähne, umfasste mit der Linken den kräftigen schwarzen Hals. Endlich wusste er, was er wollte.

      "Ich nenne dich Alitiksok, Taube. Mit dir werde ich davonfliegen." Gis sprach die Worte leise. Er musste lernen, sich zu beherrschen, musste lernen, vorsichtig und verschlagen zu sein. Er würde auch töten müssen. Er würde es tun, für die Freiheit, so wie er es für sich, für sein Leben, so wie er es für Kaya, die er einst meinte zu lieben, tat. Fest drückte er den schwarzen Hals. Pferde sind den Göttern so nah. Er war den Göttern so nah. Auf Alitiksok könnte er bis zu ihnen fliegen. Und doch hallte diese Stimme in ihm, die Stimme Adalberts, die Stimme, die Gis mit dem neuen Gott assoziierte. Du sollst nicht töten, rief sie in seine Seele, in sein Denken, in die ganze Welt.

      "Schweig", schrie Gis. Alitiksok sprang erschrocken zur Seite. Wollte sie ihn nicht bestätigen? War es nicht der Ruf seiner Götter, der Aufruf Wodans und Saxnots, die ihn aufforderten zu kämpfen? Und bedeutete Kampf nicht immer auch Tod?

      "Gib mir ein Zeichen Wodan. Sag, was ich tun soll Saxnot." Es war ein jämmerlicher, ein klagender, ein verzweifelter Ruf eines an der Grenze zum Mann stehenden Jungen, der alles verlor, was seine Welt ausmachte, der nichts als sein Leben rettend, eine neue Bleibe fand, eine neue Familie fand, der dennoch nicht zu ihnen gehörte, der sich im Stall verstecken musste, während sie feierten. Wie sollte er das Werk des Ziehvaters denn fortsetzen, wenn er keinerlei Kontakt zu Fremden haben durfte? Angestrengt dachte Gis nach. Frysunth würde ihn reich machen. Er zweifelte keinen Augenblick am Wort des Ziehvaters. Wenn er ginge, gäbe er das alles auf, gewänne jedoch die Freiheit zurück, das höchste Gut eines Sachsen. Und er müsste es nicht ertragen, Kaya in den Armen eines anderen zu sehen. Er gestand es sich nicht ein, dass seine Seele nach der dunklen Schönheit schmachtete, dass er durch Gleichgültigkeit, durch Gefangenschaft in sich selbst die Chance verstreichen, die Frau, die wirkliches Interesse an ihm zeigte, so ohne jeden Widerstand ziehen ließ. Sollten sie nicht besser gemeinsam fliehen, jetzt, sofort, unabhängig von Jahreszeit und Vorbereitung? Und ohne es zu wollen, formte Gis Seele das eine Wort, öffnete die Seele seinen Mund, warf die Seele diesen einen Namen gegen die Stallwände, zwischen die glänzenden Pferdeleiber, getragen von der erzitternden, staubgeschwängerten Luft.

      "Kaya", schallte es so laut, dass es selbst in Walhall nicht überhört werden konnte.

      Kaya erschrak, duckte sich hinter die braune Stute, die sie für ihren Plan auserkoren hatte. Woher wusste Gis, dass sie kam? Er konnte sie doch noch gar nicht sehen. Hatten noch andere ihr Gehen bemerkt, beobachtet, wie sie ihr Bündel nahm, sich zum Stall schlich?

      "Ganz ruhig meine Freundin", flüsterte Kaya der tänzelnden Stute ins Ohr. "Bald bis du frei. Bald sind wir frei."

      "Kaya?" Gis traute seinen Ohren nicht. War sie wirklich gekommen? Das musste das Zeichen sein. Erwartungsvoll sah er sich um. Stand Saxnot hinter ihm? Es war nur die Schwarze, Alitiksok, sein Pferd. Pferde sind den Göttern nah, dachte er und wusste, die Götter gaben das Zeichen, nach dem er schrie. Es gab kein Zurück mehr.

      "Sei still", fauchte Kaya und holte Gis in die Gegenwart zurück. Des Jungen Unbedachtheit ärgerte sie. Worauf ließ sie sich

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