Ein Pfeil ist nur frei, wenn er fliegt. Frans Diether

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Ein Pfeil ist nur frei, wenn er fliegt - Frans Diether

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gefallen, musste keinen Wert auf künstliche Schönheit legen. Sie fand sich schön, wie die Göttin Frigga sie erschaffen hatte. Weit wichtiger waren ihr ohnehin die Fähigkeiten, welche ihr die Göttin verlieh, Fähigkeiten, die bei den anderen Bewohnern des Dorfes auf Ablehnung stießen, da sie sich für ein Weibsbild wenig schickten, als da sind Schwertkampf, Bogenschießen, Reiten und Ringen. Ihr Vater hatte sie dafür geliebt. Doch ihr Vater war auch schuldig am Tod der Mutter. Und sie hatte sich an ihrem Vater schuldig gemacht. Ohne ihre Brandstiftung würde er noch leben. Diese Zerrissenheit verdunkelte Kayas Gemüt, ließ sie noch aufsässiger, noch ungehorsamer, ihr Aussehen noch unschicklicher werden. Ihre Ziehmutter gab sich alle Mühe, der Kleinen standesgemäßes Benehmen beizubringen, sie auf den wundervollen Weg christlichen Lebenswandels zu leiten. Höre auf Vater Bonifatius. Es wird dein Glück sein. Deine Augen blicken so freundlich wie seine. Nimm seine Lehre an. Die Worte klangen so bekannt in Kayas Ohren. Und darum konnte sie Altje nicht einmal böse sein. Auch in ihrer eigenen Familie wurde der Christengott verehrt. Auch ihre richtige Mutter wollte sie zum rechten Glauben, zur wahren Frömmigkeit erziehen. Die Frauen meinten es sicher nicht böse, litten wohl beide unter dem Widerspruch von Traum und Sein. Das Leiden der Einen, der Mutter, fand sein frühes Ende. Die Andere, die Tante, trachtete, das Werk bestmöglich fortzusetzen. Und da Kaya sie nicht verletzen wollte, fand sie sich zumindest regelmäßig zu Bonifatius Belehrungen und Zeremonien ein, ebenso wie der Onkel und Ziehvater, der sich zwar öffentlich zu den alten Göttern bekannt, in seinem Innersten ihnen erneut zugewandt hatte, der dennoch nicht den Konflikt mit den neuen Herren und dem von ihnen mit aller Strenge durchgesetzten Glauben suchte. Kaya mühte sich, auch dies zu achten. Wenn Tammo, ihr ältester Bruder, Frysunth wieder einmal reizen wollte, ihn auf den Konflikt in Glaubensdingen ansprach, gar seine Autorität als Vorsteher, die nach seiner Meinung durch fränkisches nicht friesisches Recht gedeckt war, anzweifelte, versuchte sie eher zu schlichten, als von eigenen Vorstellungen geleitet, Partei zu ergreifen. Lieber wies sie auf die Sinnlosigkeit eines Gegeneinanders und die Notwendigkeit des Miteinanders hin, um so über alles Trennende hinweg den überlebensnotwendigen Zusammenhalt der Familie zu sichern.

      Versunken in Gedanken erreichte Kaya den Speicher, schweifte ihr Blick über den freien Platz, den festgestampften Lehmboden, die Ziehmutter, welche den Ähren die Körner ausschlug. Die Ernte war reich ausgefallen. Es musste kein Mangel sein. Das Glück wohnte bei ihnen. Doch Kaya konnte sich nicht freuen. Die Vergangenheit bedrückte sie ebenso, wie der Ausblick auf eine eintönige Zukunft in der Enge des Dorfes.

      "Reite zum Feld und bring deinem Vater das Mahl. Es steht neben der Kochstelle bereit."

      Erst Altjes Worte ließen Kaya erkennen, dass noch jemand anwesend war, jemand, bei dessen Anblick ihre Augen lebendig, ihre Züge weniger traurig, ihre Schritte beschwingter wurden. Gis trat hinter dem Speicher hervor, die schwarze Stute führend, die mit Odas Tod an Frysunth fiel, der sie dem Adoptivsohn vermachte, nicht ahnend, welchen Neid er dadurch auslöste, dass er damit einen weiteren Tropfen in den Trog des Hasses fallen ließ, der insbesondere von Kayas Brüdern und allen voran von Tammo genährt wurde.

      "Ich möchte mit ihm reiten, bin dann schneller auf dem Felde und schneller mit neuen Ähren zurück", bettelte Kaya, die es kaum erwarten konnte, mit dem Sachsenjungen allein zu sein, eine Freude, die ihr höchst selten zu Teil wurde, galt Gis doch als Außenseiter, vor dem es das Dorf zu schützen hieß, wurde er doch nur aufgrund Frysunths Einfluss und aus geheimer Furcht vor den alten Göttern, die seine Aufnahme mit einem machtvollen Zeichen forderten, geduldet. Kaya musste in Gedanken lachen. Sie, die Außenseiterin, wurde zur Hand der Götter, schoss den tödlichen Pfeil, der Gis Leben rettete, entzündete die Kirche, was das gesamte Dorf ängstigte. Ohne sie wäre der Kerl längst nicht mehr auf dieser Welt. Er wusste das nicht. Keiner außer ihr wusste es. Und sie schwieg. Der Kleine hatte, was ihr versagt blieb, Männlichkeit. Und er war ihr ähnlich, konnte in ihren Händen geformt werden, würde sie vor dem Schicksal der Herd, Haus und Kinder hütenden Bäuerin bewahren.

      "Lass Kaya mit dir reiten", gab Altje dem Wunsch der Ziehtochter nach. Sie sah die Zwietracht unter ihren Kindern, die Abneigung, die ihre als Söhne angenommenen Neffen dem fremden Jungen entgegenbrachten, die eifersüchtigen Gedanken der eigenen Kinder, mit denen diese Kaya bedachten, die ihrem Herzen nach ein Mann, ihrem Aussehen nach exotische Verführung, von Gott mit stabiler Gesundheit und Kraft gesegnet war, was sich nur allzu deutlich von Altjes Töchtern abhob. Und wie schon öfter, ertappte sich die stämmige Bäuerin, die geachtete Frau des Vorstehers, bei dem Gedanken der Freude, dass ihr neben den kränklichen eigenen Mädchen die so reich beschenkte Nichte in die Familie gegeben wurde. Gott nahm ihr einen Sohn, doch er schenkte ihr vier andere und eine Tochter noch dazu. Sie sollte nicht trauern. Sie trauerte nicht. Das Leben war, wie es war. Der Verlust so vieler Kinder hatte sie gelehrt, ihr Herz nicht allzu fest an ihre Nachkommen zu binden. Das Leben musste weitergehen. Es brauchte starke Arme und kräftige Beine. Und da schien es weniger entscheidend, aus welchem Schoß diese Arme und Beine krochen, ob sie hell- oder dunkelhäutig waren, ob ihre Besitzer in Schuhen oder barfuß gingen. Selbst Kayas störrische Eigenheit, selbst Gis ewig traurige Verschlossenheit, sogar dessen unerklärliche Abscheu vor der Jagd auf Lebewesen konnten ihre Freude über die Schar der Kinder und ihre unersetzliche, den großen Hof blühen lassende Arbeitskraft nicht trüben. Das Leben ist wie es ist, war Altjes Leitspruch. Sie nahm es, wie es war, und machte das Beste daraus.

      Gis Begeisterung, mit der Schwester auf einem Pferd zu reiten, hielt sich in Grenzen. So oft ihm die Ratio auch sagte, dass er es nicht besser hätte treffen können, er ohne die Aufnahme in Frysunths Familie hätte hungern, gar sterben müssen, siegte doch die Emotio, getrieben vom Schmerz über das Verlorene, bedrückt vom Wissen um das eigene Versagen, als des Großvaters Leben in seiner Hand lag. Auch der Alltag auf Frysunths Hof spendete wenig Freude. Schweres Arbeiten war Gis gewohnt. Auch seine Familie kämpfte mit der Härte des Lebens. Und satt wurde er auch, ein Umstand, der für ihn keine Selbstverständlichkeit besaß. Doch außer Frysunth gab es keinen Menschen, der ihm gegenüber Zuneigung zeigte. Altje akzeptierte ihn, vermutlich wegen seiner starken Arme, die den Wohlstand der Familie mehrten. Liebe brachte sie ihm nicht entgegen. Schon gar nicht konnte sie die Mutter ersetzen. Die beiden leiblichen Töchter des Hofes kämpften mit Kränklichkeit, hielten Männer, insbesondere wenn diese auf die Pueritia zusteuerten, für vom Teufel getrieben, eine Annahme, die der Pater Bonifatius zu stützen wusste. Insbesondere vor ihm, dem Sachsen, dem Pferdeanbeter wichen sie zurück. Sollte er ihretwillen umkehren, den Unterweisungen des Paters Bonifatius, die Schwestern berichteten gar oft von ihm, annehmen? Ihretwillen wollte er das bestimmt nicht. Und selbst wenn er das gewollt hätte, er hätte es nicht gekonnt. Aus Angst vor den Franken verbargen ihn die Stiefeltern vor jedem Fremden und auch vor Bonifatius. Gis, der ihre Furcht teilte, noch immer überzeugt war, dass man ihn eines Tages aufspüren und als Kind des Teufels brennen lassen würde, akzeptierte diese Vorsicht, obwohl sie ihn von mancherlei Abwechslung fernhielt und ihm die Chance zum Lernen, das wäre in seinen Augen die einzige Begründung zur Teilnahme an Bonifatius Unterweisungen gewesen, nahm. Blieben da noch die drei Stiefbrüder, deren Schicksal dem seinen ähnelte, die ebenfalls Mutter und Vater verloren hatten. Wenn es allerdings nach ihnen gegangen wäre, säße Gis schon längst im Kerker des Herzogs. Vor allem der achtzehnjährige Tammo machte kein Hehl daraus, dass er den Schuldigen am Tode seines Vaters, nichts anderes sah er in Gis, bis in alle Ewigkeit verfluchte. Lediglich seine bäuerliche Schläue hielt ihn vom Verrat des Zwangsbruders, wie er Gis nannte, ab, wusste er doch nur zu genau, dass er seinen Onkel und Ziehvater Frysunth ebenfalls in Verderben stürzen, jeden Schutz verlieren, der Gier der anderen Bauern nach seinem Besitz schutzlos ausgeliefert sein würde. Nur deshalb spielte Tammo das aufgezwungene Spiel. Einen Freund konnte Gis in ihm und auch in Tammos leiblichen, durch ihn bis in die letzte Haarspitze geprägten Brüdern nicht finden. Und Kaya? Kaya schenkte ihm manch verstohlenen Blick. Kaya sprach nicht schlecht über ihn. Kaya schien seine Nähe eher zu suchen, als zu meiden. Aber Kaya war so fremd, so dunkel, so mystisch, schien weder die neuen noch die alten Götter zu achten, sich vielmehr mit schwarzen Mächten einzulassen. Vor Kaya hatte Gis Angst. Es war ein irrationales, dafür umso stärkeres Gefühl. Kaya schien Dinge zu wissen, die man nicht wissen sollte. In Gis Augen war sie eine Hexe, würde sie eines Tages im Feuer enden, so wie ihr Vater. So zog sich

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