Der Sommer der Vergessenen. René Grandjean

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Der Sommer der Vergessenen - René Grandjean

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sich in totale Weichkäse verwandelt hatten. Mit Gesichtern wie Streuselkuchen, voll mit Pickeln, stotterten sie nur noch Unsinn, sobald Mädchen in der Nähe waren. Das mach ich nicht mit! Bei Patze hatte es schon angefangen. Plötzlich war es kindisch, im Wald zu spielen. Er wollte lieber in der Eisdiele hocken und Milchshakes schlürfen. Das kann er mit seiner Oma machen, der Waschlappen. Wobei, vielleicht konnte Patze gar nichts dafür. Nannte man das nicht Erwachsen werden? Rolo nannte es ein Langweiler werden. Alle Erwachsenen, die er kannte, waren irgendwie öde. Klar, sein Vater war auf seine Art schräg. Aber richtig Spaß haben konnte er auch nicht. Konnte nicht einfach alles so bleiben, wie es war?

      Ein lauter Knall riss ihn aus seinen Gedanken. Sein Vater kam in die Küche und hielt sich die Stirn.

      „Diese verdammte Lampe. Erinnere mich daran, dass ich sie verschwinden lasse. Oh, du hast die Katze gefüttert?“

      Der Boden war übersät mit Spaghetti.

      „Yep“, erwiderte Rolo.

      Sein Vater seufzte, legte das Buch auf den Tisch und setzte sich.

      „Deine Lehrerin war gerade hier“, begann er steif.

      „Hab ich gesehen.“ Rolo schlürfte eine Nudel.

      „Warum sagst du mir nicht, wenn es dir nicht gut geht?“

      „Geht schon wieder.“

      „Sie sagte, du hast geschrien. Hast du Schmerzen?“

      Rolo war es unangenehm, wenn sein Vater sich nach seinem Wohlergehen erkundigte.

      „Patze hat mich mit seinem Bleistift gepikt“, log er, in der Hoffnung, das Gespräch wäre damit erledigt.

      „Wenn dir wieder schlecht ist, sagst du es mir dann?“

      „Klaro.“

      Sein Vater nickte, stand auf, und ging zur Anrichte, wo er sich einen Kaffee einschenkte. Rolo entspannte sich und betrachtete das Buch. Der Titel war in einer fremden Sprache geschrieben, die er nicht kannte. Auf den alten, brüchigen Ledereinband war ein seltsames Symbol gezeichnet. Es sah aus wie eine Hand auf einem Herzen. Allerdings hatte sie nur vier Finger. Neugierig schlug Rolo den schweren Einband auf. Erst kam nur unverständlicher Text in einer geschwungenen Handschrift. Doch dann fand er ein Bild. Es zeigte eine Frau an einem See. Sie war nackt und hatte langes, wallendes Haar. Inmitten von Bäumen und Büschen streckte sie beschwörend die Arme zum Himmel. Um sie herum standen Geschöpfe mit schwarzem und weißem Fell. Sie kamen Rolo bekannt vor. Gerade bis zur Hüfte reichten ihr die kleinen Kerle. Ihre langen Arme hatten sie wie die Frau nach oben gereckt. Ihre Blicke jedoch ruhten auf ihr. Der Zeichner hatte einige Blätter und Gehölze so geschickt angeordnet, dass sie auf den zweiten Blick Gesichter formten. Manche freundlich, andere grimmig, mit offenen und geschlossenen Mündern. Rolo staunte über die Details. Eine der affenähnlichen Kreaturen schaute ihn an.

      „Nanu!“

      „Was ist los?“, fragte sein Vater, der an die Spüle gelehnt seinen Kaffee trank.

      „Ach nichts. Ich hätte nur schwören können, dass dieser kleine Kerl hier …“.

      In diesem Moment pochte es laut an der Haustür. Igel sprang auf und versteckte sich unter der Anrichte. Paps Kaffeetasse fiel zu Boden und zersprang.

      „Jetzt hab ich mich aber erschrocken. Wenn das wieder die Gottlieb ist.“ Und mit mürrischer Entschlossenheit eilte er aus der Küche.

      Rolo schaute ihm, halb verborgen hinter dem Türrahmen, hinterher.

      Paps öffnete die Haustür zögerlich. Eine Brise fuhr ihm durchs Haar. Auf der Fußmatte lag ein Brief. Er hob ihn auf. „An die Familie Blutgut“, las er und reichte ihn Rolo.

      Der braune Umschlag war umrahmt mit zarten, stilisierten Efeuranken in grüner Farbe. Der Buchstabe B in Blutgut war mit allerlei Schnörkelei verziert, wie man es sonst nur in alten Büchern und Schriften sah. Rolo staunte. Sein Vater ging den Weg bis zum Gartentor. Es stand offen. Aber auf der Straße sah er nur drei kleine Mädchen mit Springseilen. Er warf das Tor ins Schloss und ging zurück zum Haus.

      Einen Moment mussten sie suchen, bis sich ein sauberes Messer fand, mit dem sie den Umschlag öffnen konnten. Paps zog ein vergilbtes Blatt Papier aus dem Umschlag. Wie Pergament sah es aus. Er entfaltete es und begann leise zu lesen. Rolo sah ihn erwartungsvoll an. „Nun lies doch vor!“

      „Lieber Grellon, lieber Roland,

      Viele Winter sind durch das Land gezogen, seit sich unsere Wege ein letztes Mal kreuzten. Und es waren Zeiten des Kummers, da ich zuletzt die Gelegenheit hatte, das Wort an Euch zu richten. Ich erinnere mich gut, dass die Geschehnisse dieser düsteren Tage Dich, lieber Grellon, mit Kummer und Trauer erfüllten. Und auch erinnere ich mich gut an Dich, lieber Roland, ein kleiner Hoffnungsschimmer in den Armen Deines Vaters. Oft wart Ihr in meinen Gedanken, und ich bin mir sicher, dass Ihr gemeinsam den Weg zurück ins Licht gefunden habt. Doch nun, wo alte Wunden verheilt und das Dunkel verzogen, regt sich die Vergangenheit. Es gibt Neuigkeiten über Vivianne, meine Nichte, Eure Frau und Mutter. Nachrichten, die uns ermöglichen, die tragischen Ereignisse der Vergangenheit im neuen Licht zu betrachten. Es würde den Rahmen dieses Briefes sprengen, und ich würde ein Gespräch Auge in Auge begrüßen. Zumal es wundervoll wäre, Euch wiederzusehen. Ich hoffe für uns alle, und besonders für Dich, lieber Roland, dass sich alles zum Guten wenden wird. Ich möchte Euch beide bitten, mich alsbald als möglich in meinem Haus aufzusuchen. Ihr seid mir jederzeit willkommen.

      Gute Reise.

      Kinsella Farrah, Neunseen“

      Paps legte den Brief auf den Tisch.

      „Wer ist Kinsella Farrah“, fragte Rolo.

      Paps seufzte. „Kinsella Farrah ist die Tante deiner Mutter. Ich habe sie zuletzt gesehen“, er grübelte, „kurz nach dem Tod deiner Mutter.“

      Rolo nickte. Paps strich sich mit dem Handrücken durch den Bart. „Was denkst du, mein Sohn?“

      Rolo setzte eine entschlossene Miene auf. „Ich denke, wir sollten packen!“

      Kapitel 2

      Der Helle

      In einem schattigen Teil des Waldes umkreiste eine dunkle Gestalt eiligen Schrittes einen dampfenden Krater. Sie gestikulierte wild mit den Armen und plapperte vor sich hin, wie in ein Gespräch vertieft. Doch außer ihr war niemand zu sehen. Plötzlich blieb sie stehen, warf den Kopf in den Nacken und rief: „Meister, ich bitte dich! Er ist so ein Spielverderber!“

      Die Antwort folgte prompt. Sie kam aus dem welken Laub, aus den hohen Baumwipfeln, vielleicht sogar aus der frostigen Erde selbst. Und eine Stimme, so tief, dass die Vögel ehrfürchtig das Singen vergaßen, hallte durch den Wald. „Das besprachen wir bereits, Driftwood. Ihr wart Gefährten, und ihr werdet es wieder sein.“

      Driftwood zuckte unmerklich zusammen. Wie alle Nachtalben war er nicht sehr groß. So um die 1,30 Meter. Sein Körper war mit dem schwärzesten aller Felle bedeckt. Das war, stets gut gepflegt, nur am Bauch etwas weniger dunkel. Seine dünnen Arme baumelten an ihm herab wie gekochte Spaghetti. Bis zu den Waden hingen sie, und dabei waren seine Beine nicht weniger lang. Das Gesicht, eine vorstehende Schnauze, war

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