Wenn Luftschlösser flügge werden. Marie Lu Pera
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Ich bin immer noch dabei, meinen Frust in mich hinein zu murmeln, da ertönt plötzlich ein abartig lautes Reifenquietschen gefolgt von einem Crash, der mir durch Mark und Bein geht.
Einige Sekunden brauche ich, um zu realisieren, was hier gerade passiert ist, weil mein Herz so schnell klopft, aber im nächsten Moment funktioniert mein Gehirn wieder so einigermaßen und setzt erste Impulse, die mich dazu bringen, mein Rad fallenzulassen und loszulaufen.
Wie eine Irre sprinte ich die kurvenreiche Bergstraße hinauf. Es fühlt sich so an, als würde mich ein fremder Körper den Asphalt, der sich in Form einer Schlange ins steile Gelände gefressen hat, entlang tragen, ohne dass ich dabei einen einzigen klaren Gedanken fassen kann.
Das ändert sich auch nicht, als ich mich der Unfallstelle nähere und das Motorrad sehe – korrigiere: Die qualmenden Überreste dessen, was mal ein Motorrad war – das richtig schlimm aussieht. Eigentlich erkennt man die ursprüngliche Form gar nicht mehr – es hat eher Ähnlichkeit mit einer zerdrückten und achtlos weggeworfenen Blechbüchse.
Und da ist gerade nur ein Gedanke, der sich durch meine Hirnwindungen schlängelt: Jetzt weiß ich, wieso sie die Dinger „Höllenmaschine“ nennen. Ich schüttle den Kopf, um mich von dem Bild der lodernden Flammen, das mich gefangen nimmt, zu befreien.
„ADAM!“, brülle ich in der Hoffnung, er wäre vor dem Crash mit der steilen Felswand, die in einer Haarnadelkurve liegt, abgesprungen.
Stille.
Nein. Das ist jetzt nicht wahr. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht so.
Mein Atem geht stoßweise. Panisch suche ich die Umgebung nach allem, das Ähnlichkeit mit einem Menschen haben könnte, ab, finde aber nur Schrottteile vor. Ich versuche, mich an die Farbe seiner Motorradkluft zu erinnern, schaffe es aber nicht, mich darauf zu konzentrieren. Die Dämmerung hat bereits eingesetzt. Wenn sein Anzug schwarz ist, mindert jede Minute, in der ich hier tatenlos rumstehe, die Wahrscheinlichkeit, dass ich ihn finden kann, wenn die Dunkelheit hereinbricht.
Ich raufe mir die Haare und zwinge mich dazu, ruhig zu bleiben. Zuerst suche ich hinter den großen, losen Felsbrocken, die sich im Laufe der Zeit von der steilen Felswand gelöst haben und am Straßenrand liegengeblieben sind.
Nichts.
Als ich an die Leitplanke herantrete, trifft mich fast der Schlag. Dort unten liegt ein lebloser Körper in der Böschung.
„ADAM!“ Er bewegt sich nicht – wurde wohl vom Motorrad geschleudert und ist hier runtergefallen. Auf einem kleinen Plateau ist er dann zu liegen gekommen. Ein paar Meter weiter und er wär den Abgrund hinuntergestürzt.
Mir schwant Schlimmes.
Wie in Trance trete ich über die Absperrung und rutsche das steile Gelände hinab. Immer wieder verliere ich im losen Geröll Halt und schlittere auf dem Po abwärts. Dabei zerkratze ich mir die Arme an den messerscharfen Felsbrocken, die sich unter meinem Körper lösen und in die Schlucht fallen. Ich schlucke schwer und versuche, mich an den herausragenden Wurzeln der Sträucher, die hier wachsen, festzuhalten.
Bloß nicht runtersehen.
Im Nu habe ich ihn erreicht. Er liegt auf dem Rücken – regungslos. Würde er nicht der Einzige sein, der in der Gegend so ein Motorrad fährt, würde man ihn gar nicht erkennen – in dem schwarzen Lederanzug und dem abgedunkelten Helm. Es wär einfach nur ein Fremder, dem etwas Schreckliches zugestoßen ist. Das wär so schon schrecklich genug gewesen.
Bedauerlicherweise sind wir uns nicht fremd.
„Adam!“, flüstere ich eingeschüchtert.
Stille.
Okay, Hilfe! Ich muss Hilfe holen – bringt mein Gehirn einen halbwegs brauchbaren Gedanken zustande.
Mit zitternden Fingern taste ich ihn nach seinem Handy ab, das ich ihm aus der Brusttasche ziehe und den Notruf wähle.
Irgendwie stammle ich nur zusammenhangloses Zeug, als sich jemand am anderen Ende der Leitung meldet. Es würde mich wundern, wenn die Frau kapiert hätte, was ich von ihr will, aber mehr ist gerade nicht drin.
Als sie mich fragt, wie schlimm der Verunglückte verletzt ist, lasse ich das Telefon einfach fallen und knie mich neben Adam.
Woher soll ich das wissen? „Bin ich Arzt, oder was?“, schimpfe ich in Gedanken.
„Adam“, versuche ich es erneut mit kratziger Stimme, die kaum mir zu gehören scheint, doch er gibt kein Lebenszeichen von sich.
Durch das schwarze Visier seines Helmes kann ich sein Gesicht nicht erkennen. Sein Körper ist nicht unnatürlich verdreht und er scheint nirgends zu bluten, aber er könnte innere Verletzungen haben. Immerhin ist er tief hinuntergestürzt.
Okay, keine Panik – beweg dich endlich, tadle ich mich selbst. Du weißt, wie so etwas funktioniert. Ich taste nach seinem Hals, schiebe das Leder weg und fühle seinen Puls. Nichts. Verdammt.
Ein gequälter Laut entweicht mir. Ich presse die Augen zusammen und wiederhole „Du kannst das“ wie ein Mantra, während ich den Erste-Hilfe-Kurs gedanklich abspule, den Verschluss seines Helms öffne und ihn vorsichtig vom Kopf ziehe. Dabei passe ich auf, seinen Kopf so wenig wie möglich zu bewegen.
Er sieht aus, als würde er schlafen, was mich grad noch mehr mitnimmt. Seinen einst rosigen Wangen ist eine fahle Blässe gewichen. Es ist so, als wäre das Leben aus ihm zurückgewichen. Kunststück: Er hat ja keinen Puls. Obwohl ich das eben kontrolliert habe, lässt mich die Erkenntnis zusammenzucken.
Er ist tot. In diesem Moment.
Bei mir hat Schnappatmung eingesetzt. Meine Hände zittern so stark, dass ich sie zu Fäusten ballen muss.
„JETZT REISS DICH ZUSAMMEN!“, brülle ich mich selbst an.
Mein Kopf ist total leer, als ich beginne, ihn zu reanimieren. Ich zähle nicht mal mit – auch dafür bin ich zu verängstigt, weil sich seine Lippen so kalt anfühlen. Das bringt mich grad dermaßen aus dem Konzept. Außerdem weiß ich beim besten Willen nicht mehr, wie oft man einen Patienten beatmen muss, bevor man die Herzmassage macht. Ich bin sicher, hätte mich vorhin jemand gefragt, hätte ich es noch gewusst – und das ohne großartig überlegen zu müssen. Aber jetzt – jetzt ist alles anders.
Wie ein Roboter versuche ich einfach, Luft in seine Lunge zu bekommen und mich fest auf seine Brust zu stemmen.
Ich habe Angst, ihm die Rippen zu brechen oder so fest zu pusten, dass das seine Lungenflügel nicht aushalten könnten. Gerade weiß ich nicht mal mehr, ob das überhaupt die richtige Stelle ist, an der ich drücke.
Ich hätte besser aufpassen sollen, als uns die Schulkrankenschwester alles erklärt hat. Obwohl ich sicher war, alles kapiert zu haben, zweifle ich gerade an meinem Erinnerungsvermögen, das nur vage und total verschwommen die Szene der Schüler, die um die Übungspuppe herumstehen, preisgibt.
Plötzlich habe ich Angst, dass sein Herz womöglich schon schlagen könnte und ich mit meinen laienhaften Beatmungsversuchen alles nur noch schlimmer mache. Daher halte