Wenn Luftschlösser flügge werden. Marie Lu Pera

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Wenn Luftschlösser flügge werden - Marie Lu Pera

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aussieht, während Doof hinter mir durch die Tür schlüpft und sie mit seinem Körper verbarrikadiert, da Adams Mum versucht, hier reinzukommen. Dabei hört man sie von draußen aus schimpfen und die Türklinke scheppern.

      Ich lasse es wehrlos geschehen, da ich mich kaum im Griff habe und wohl auf Führung von außen angewiesen bin.

      Ich bin immer noch voll am Zittern und grad so durcheinander, dass sich mein Kopf komisch anfühlt, als wär darin nichts als ein Vakuum. So gesehen, macht mein Spiegelbild, das ich im Vorbeigehen in einem kleinen, an der Wand hängenden Rahmenspiegel erhasche, die Sache auch nicht gerade besser. Salzige Krusten von getrockneten Tränen ziehen sich über meine Wangen, die bleicher nicht sein könnten. Meine grauen Augen wirken fahl und leblos. Die schmalen Lippen sind aufgerissen und lechzen nach Feuchtigkeit. Braune Strähnen haben sich aus meinem Pferdeschwanz gelöst und hängen mir ins Gesicht. Ich hab nicht mal mehr die Kraft, meine Hand zu heben und sie mir aus der schweißnassen Stirn zu streichen.

      „Laut den Sanitätern warst du – ich darf doch du sagen – die Erste an der Unglücksstelle, als der Notarztwagen eingetroffen ist“, beginnt Dick und erlöst mich von meinem Anblick. Wird das jetzt so etwas wie eine Vernehmung fürs Unfallprotokoll, oder so?

      Mehr als ein Nicken ist nicht drin.

      „Hast du den Unfall gesehen?“, will sein Kollege von der Tür aus wissen.

      Ich schüttle den Kopf.

      „Erzähl uns genau, was passiert ist“, fordert Dick.

      „Ähm.“ Ich reibe mir den pochenden Schädel und versuche, mir einen Satz zurechtzulegen, der Sinn ergibt. „Keine Ahnung, er ist den Abhang runtergestürzt.“

      Mehr ist wieder nicht drin.

      „War der junge Mann mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs?“, will Dick wissen.

      Das ist eine dieser Fangfragen, mit der sie Adam alles in die Schuhe schieben wollen. Die nehmen ihm sicher auch Blut ab, um festzustellen, ob er angetrunken war oder unter Drogeneinfluss stand. Ob es wahr ist, was alle sagen? Dass er in Clubs weißes Zeug schnupft. Ist sicher nur dummes Gerede.

      Dick schnippt mir ins Gesicht, was mich schlagartig aus meinen Gedanken reißt. „Ist er schnell gefahren?“, formuliert er die Frage um, so als würde er vermuten, ich hätte sie beim ersten Mal nicht kapiert.

      War er zu schnell? Ich weiß nicht. Schon irgendwie. Kann man mit dem Ding überhaupt langsam fahren? Kippt man da nicht zur Seite? Ist das nicht der Sinn an solchen Höllenmaschinen? Ans Limit zu gehen, meine ich.

      Höllenmaschine … ob Adam es schaffen wird? Was, wenn nicht? Was, wenn das mit dem Elektroschocker-Ding zu spät gekommen ist.

      Erneut schnippt er mit den Fingern. „Hallo? Krieg ich heute noch eine Antwort?“, verlangt er gelangweilt.

      „Ich weiß es nicht. Ich hatte kein Messgerät, wenn Sie das meinen“, motze ich erschöpft. Wieso lüge ich? Oder sage ich die Wahrheit? Naja, er war schon schnell unterwegs. Aber war das zu schnell? Wie schnell darf man dort überhaupt fahren? Wenn er tot ist, ist das doch egal, oder? Und wenn er lebt doch auch. Was rede ich hier eigentlich?

      „Aber du hast doch einen subjektiven Eindruck. Ist er an dir vorbeigebraust?“, hakt Doof nach, der gerade ein winziges Stück vorwärtsgetaumelt ist, weil Adams Mum so stark gegen die Tür drückt. Sogleich stemmt er sich wieder dagegen.

      Ich hebe ratlos die Schultern hoch. „Ich war mit dem Fahrrad unterwegs. Da ging es bergauf. Da ‚braust‘ sogar ein vollbeladener Truck an einem vorbei“, raune ich. Sie senden sich Blicke zu, die irgendwie stark ins Genervte übergehen.

      „Kennst du den Unfalllenker?“, ist Dicks nächste Frage.

      „Ja. Adam Laurren. Wir gehen in dieselbe Klasse“, antworte ich.

      „Seid ihr befreundet?“, will einer von ihnen wissen.

      Ich schüttle den Kopf und verdränge die Bilder, als ich Adam den Helm vom Kopf gezogen habe wieder ins hinterste Hinterstübchen zurück. Ich streiche mir über die Lippen, da ich die Kälte, die von ihm ausging, immer noch darauf spüren kann.

      Er sah so friedlich aus – ha, wie soll man denn sonst bitteschön aussehen, wenn man tot ist – werfe ich mir in Gedanken vor. Aber sogar seine braunen, lockigen Strubbelhaare, die ihm immer überall abstehen, sodass er sie ständig aus der Stirn streichen muss, hatten ihren Glanz verloren. So als wär er eine Blume, die langsam verwelkt.

      Tränen fluten sogleich meine Augen. Sie haben ihn gleich in den OP gefahren. Was gerade mit ihm passiert, weiß ich nicht.

      Ein weiteres Schnippen reißt mich aus dem Fixieren eines toten Punktes im Raum. Das nervt schön langsam.

      „Du siehst etwas durcheinander aus“, stellt Dick fest. „Sollen wir deine Eltern anrufen, damit sie dich abholen kommen?“ Lass dein Mitleid stecken.

      „Nein, ich komm schon klar“, winke ich ab. Wieder eine Lüge. Vom Klarkommen bin ich grad so weit entfernt wie ein armer Schlucker von einem Lottosechser.

      „Wir fahren lieber zur Unfallstelle – hier kommen wir nicht weiter“, flüstert Dick Doof zu. Allerdings so laut, dass ich alles verstehen konnte.

      „Deine Personalien haben wir ja von den Sanitätern“, stellt Doof fest. Echt? Wow, dass ich meinen Namen und Adresse richtig von mir geben konnte, wundert mich selbst grad am meisten. Muss wohl noch im Krankenwagen passiert sein. Das geschah wohl instinktiv automatisch, denn ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern. Die waren das dann wohl auch, die meine Schuhbänder mit den doppelten Maschen zugebunden haben. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern, dass ich das war. Da hatte wohl jemand Humor – oder Kinder zu Hause.

      „Wir melden uns, wenn wir noch Fragen haben. Sollte dir noch etwas Brauchbares einfallen, ruf im Büro des Sheriffs an.“ Mit den Worten sind sie auch schon zur Tür raus.

      Die Art und Weise wie er die Worte „etwas Brauchbares“ betont hat, lässt mir Schauer über den Rücken gleiten. Es ist ihm egal, was hier passiert ist. Es ist für ihn reine Routine. Ein weiterer Fall für die Akten, der ihn vom Feierabendmachen abhält.

      Ich ziehe die Knie hoch und presse sie an meinen Körper. Und was jetzt? Geht das Leben einfach so wieder seinen gewohnten Lauf? So als hätte man bei einer DVD kurz die Pause-Taste gedrückt, um aufs Klo zu gehen. Sollte ich mir einreden, das wär bloß alles ein Film gewesen, bei dem ich nur Zuschauer war? So viel Vorstellungskraft hab nicht mal ich – und ich bin eigentlich Meister im Luftschlösserbau.

      Als ich ein paar Minuten später nach draußen trete, erwische ich Adams Eltern, die in eine lautstarke Diskussion mit den Bullen verwickelt sind.

      „Mein Sohn nimmt keine Drogen oder trinkt Alkohol“, ruft Adams Dad aufgebracht, während seine Mum nur noch mit in die Hüften gestemmten Armen dasteht, als könnte sie die Beamten mit der puren Kraft ihrer Gedanken eins über die Rübe ziehen.

      Naja, also da hab ich was anderes gehört. Immerhin sollen die Partys bei den Laurrens legendär sein. Naja, zumindest wenn Mum und Dad nicht zu Hause waren. Nicht, dass ich da jemals eingeladen gewesen wäre. Man hört geflüsterte Geschichten am nächsten Schultag und diejenigen, die mit der Bowle über die Stränge geschlagen haben, stechen deutlich hervor. Natürlich wussten sie nicht, dass da

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