Wenn Luftschlösser flügge werden. Marie Lu Pera
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Schon bald hat ein neuer Rebell, der ebenso alle Klischees erfüllt, Adams Platz eingenommen und kaum jemand spricht noch von dem einst so umschwärmten Basketballstar, der plötzlich von der Bildfläche verschwunden ist.
Bei dem Gedanken innerlich tief seufzend, will ich mich gerade wieder aufs Rad schwingen, da ruft jemand von Weitem meinen Namen. Der Geruch nach Sandelholz mit diesem Schuss Zitrone erreicht mich, bevor es sein Träger schafft.
Es ist Adams Mum, die mich wohl in einer ihrer Überwachungskameras am Tor erspäht hat. Verdammt, jetzt kann ich nicht mehr so tun, als hätte ich sie nicht gehört, da ich so richtig schön in ihre Richtung gekuckt habe. Normalerweise ist das Tor ihrer Villa mit hohen Efeuranken verwachsen, die es unmöglich machen, hindurch zu spähen und einen Blick auf das Leben zu erhaschen, das die meisten nur aus Realityshows kennen, doch der nahende Winter nagt schon an dem Blätterteppich und lässt ihn schütter werden.
„Rose, warte doch einen Moment“, ruft sie mir winkend zu, während sie die Auffahrt entlangstöckelt. Na toll.
„Du bist das also, der Adam die Hausaufgaben bringt“, stellt sie um einiges versöhnlicher fest, als bei unserer letzten Begegnung im Krankenhaus, nachdem sie bei mir angekommen ist.
Sie sieht toll aus. Mit ihren blonden, hochgesteckten Haaren und diesen noblen Klamotten könnte sie auch glatt einem dieser 50iger Jahre Hausfrauenmagazine entsprungen sein. Ich stell mir gerade vor, wie sie in den hohen Haken mit dem Staubsauger posiert, während sie den Staubwedel aus Straußenfedern schwingt und ein „Schatz, ich hab Rollbraten gemacht“ trällert.
Schnell vertreibe ich die Bilder aus meinen Gedanken. „Ich gestehe alles, immerhin haben Sie mich auf frischer Tat ertappt“, spotte ich.
„Wieso bist du denn um diese Zeit nicht zu Hause bei deiner Familie?“, fragt sie durch die massiven Gitterstäbe hindurch, die ihren Schotter drin und Leute wie mich draußen halten sollen.
„Wollte sowieso noch eine Spritztour machen“, antworte ich schulterzuckend.
Sie lächelt gekünstelt. „Komm doch rein. Wir essen gerade“, bietet sie an. Nein danke. Kein Bedarf an Verlegenheitseinladungen, weil ich – Wohltäter wie ich bin (schön wärs) – ihrem Sohn die Hausaufgaben bringe.
„Das ist sehr freundlich, aber ich kann die Einladung nicht annehmen, Misses Laurren. Schönen Tag noch“, spule ich meinen Text ab und will mich schon vom Acker machen, da hält sie mich mit den Worten: „Adam würde sich freuen, wieder einmal jemanden aus der Schule zu sehen“ zurück.
Ich werde hellhörig. Okay, also stimmt das Gerücht, er wäre auf das geistige Niveau eines Säuglings zurückgefallen und würde erneut ein Leben mit Lätzchen und Schnabeltasse fristen schon mal nicht. Zumindest hoffe ich das. Immerhin war ihre Wortwahl irreführend. Er würde sich „freuen“, wieder einmal jemanden aus der Schule zu „sehen“ heißt ja nicht automatisch, dass er mich wiedererkennt oder mit mir sprechen kann. Womöglich freut er sich nicht mal.
Ich weiß außerdem nicht, ob ihr klar ist, dass Adam und ich nie befreundet waren – obwohl, wenn sie meine Klamotten ansieht und ihre, liegt der Verdacht wohl nahe. Mit Leuten wie mir hätte er sich nie abgegeben.
Meine Jeans hat ihre besten Momente schon hinter sich und das T-Shirt ist mir drei Nummern zu groß – ja, okay – vier Nummern. Die Weste mit den löchrigen Maschen wird dem Used-Look wohl auch schon gerecht. Zu meiner Verteidigung – wer rechnet denn damit, dass ich heute noch auf zivilisierte Menschen treffe. Sollten die nicht alle in Feiertagslaune ihre Truthähne beschneiden?
Obwohl, neugierig wär ich schon zu erfahren, wies Adam wirklich geht. Aber bin ich dafür bereit? Womöglich kommt dann alles wieder hoch, was an dem Abend passiert ist.
Gerade in dem Moment komm ich mir unsagbar fehl am Platz vor, wie ich hier stehe und schon viel zu lange Pro und Kontra abwäge.
„Ich muss jetzt wirklich los“, winke ich halbherzig ab.
„Ach Papperlapapp. Ich bestehe darauf. Es ist doch Thanksgiving“, lässt sie nicht locker. Sie ist aber auch die Einzige, die den Feiertag wörtlich nimmt.
„Ich akzeptiere kein Nein“, droht sie förmlich. Ha, dann weiß ich jetzt, dass Adam ganz nach seiner Mum kommen muss.
Ihr Angebot ist ganz schön verlockend. Mein Magen knurrt schon, da brauch ich bloß an den knusprigen Truthahn zu denken, den es bei uns nicht jedes Jahr gibt. Das war so abartig laut, dass sie sogar die Augenbrauen hochzieht. Wie peinlich ist das denn?
„Okay“, stimme ich dem Drängen meines Magens zu und breche alle meine selbst aufgestellten Regeln Almosen betreffend. Jeder weiß, dass meine Familie nicht so viel Geld hat wie die meisten, die hier leben, obwohl wir zur Mittelklasse gehören. Damit werde ich ständig aufgezogen.
Und ich vermute mal, dass die Laurrens wegen der Szene im Krankenhaus ein schlechtes Gewissen haben und nur nett sind, um sich selbst auf die Schulter zu klopfen, dass sie eine gute Tat vollbracht und den Streuner aus den, verglichen mit ihrem Lebensstil, ärmlichen Verhältnissen gefüttert haben. Andererseits hat der Streuner aus den ärmlichen Verhältnissen echt Kohldampf.
Das Tor öffnet sich im nächsten Augenblick und gibt den ungetrübten Blick auf das Anwesen frei. So wohnen also Vertreter der oberen Zehntausend. Also ein Vertreter der unteren Hunderttausend ist schon mal beeindruckt.
Ich folge ihr die lange Auffahrt entlang und schiebe das Fahrrad neben mir her. Das unangenehme Schweigen, das zwischen uns herrscht, wird nur vom melodiösen Quietschen meines Rades unterbrochen.
Sie schwebt förmlich die Stufen der Villa empor, nachdem ich mein Rad – mangels Fahrradständer – an eine Statue gelehnt habe. Kurz habe ich Angst, sie könnte eine dieser Roboter-Stepford-Frauen sein, verwerfe den Gedanken aber sogleich, da ich die Laufmasche in ihrer Strumpfhose erspähe, die mir Halt gibt. Bin ich froh.
Sie öffnet die Haustür und bittet mich mit liebevoller Geste herein. Schlagartig komme ich mir wieder wie ein Fremdkörper vor, der ganz und gar nicht in diese schöne Umgebung passen will. Zumindest wenn dann nur als Putzfrau – nicht als Gast.
Wow, jetzt weiß ich, wie es aussieht, wenn Geld keine Rolle spielt. Der Marmorboden ist so auf Hochglanz poliert, als bestünde er aus purem Eis. Und ich hab meine Schlittschuhe nicht dabei.
Eine riesige, geschwungene Holztreppe mit zwei Treppenaufgängen führt in den obersten Stock, der mit Sicherheit keine Wünsche offen lässt.
Blitzschnell trete ich mir die Schuhe von den Fersen, um hier bloß nichts dreckig zu machen. Dabei atme ich flach, weil ich befürchte, meine bloße Anwesenheit würde dem Raum seinen Glanz nehmen.
„Oh, die Schuhe hättest du anlassen können. Hier entlang“, reißt sie mich aus dem Anschmachten ihres Zuhauses. Das sagt sie nur, weil sie hinterher nicht selbst saubermachen muss. Bestimmt hat sie dafür Personal. Ich zieh sie trotzdem nicht wieder an.
Sie führt mich in ein riesiges Speisezimmer, in dem Adams Dad, sein älterer Bruder, der früher auch an der Schule war, bevor er seinen Abschluss gemacht hat, und eine wunderhübsche, junge Frau – vermutlich die Freundin von Adams Bruder, die mir soeben einen Wer-hat-den-Streuner-reingelassen-Blick zuwirft – bei Tisch sitzen.
„Noch ein Gedeck“, verlangt Adams Mum von einem