Der alte Mann und das Haus. Roland Exner

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Der alte Mann und das Haus - Roland Exner

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weiße Haare, wahrscheinlich weiße Bartstoppeln, blasses, faltiges Gesicht, graublaue Augen, graue Steppjacke, graue Hose... es passte offenbar alles, wenn sie auch nicht die Augenfarbe und die Farbe der Kleidung hatte erkennen können. Obendrein hatte man auch noch erklärt, dass der Gesuchte sich vermutlich im Raum Lichtenfels-Trieb aufhalte... Wer Hinweise über den Verbleib des Gesuchten geben könne, möge sich bitte an die Klinik oder die nächste Polizeidienststelle wenden.

      Elke war erleichtert. Damit war alles klar; sie musste nur noch die Treppe hinuntergehen und die Polizei anrufen. Sie warf den Bademantel über, blieb dann aber vor ihrer Wohnungstür stehen. War ein geisteskranker Mann nicht genauso gefährlich wie ein Gespenst? Na ja, durch Wände konnte er wohl nicht gehen, und sehr kräftig konnte er auch nicht mehr sein, aber sicherlich unberechenbar. Man kann nicht wissen, wozu ein Irrer fähig ist. Nein, jetzt verließ sie ihre Wohnung lieber nicht, da wartete sie lieber noch, vielleicht bis acht, wenn es hell ist, das war wohl sicherer… auch wenn die Tiere unruhig wurden.

      Etwa zwei Stunden später wurde dieselbe Suchmeldung nochmals durchgegeben. Nun gesellte sich zu der Angst etwas Neugierde… dass man einem solchen alten Mann so ein hilfreiches Interesse entgegenbrachte…

      Draußen wurde es hell, und es schneite nicht mehr; sie beobachtete die Scheune - und mochte nicht glauben, was sie da sah. Der Schnee war weg, ja, es schien sogar Sommer zu sein. In der Werkstatt stand das Tor weit offen, und zwei junge Korbmacher saßen bei der Arbeit. Aber es wirkte alles seltsam starr, wie eine Fotografie, nicht ganz klar, wie ein altes, vergilbtes Foto. Sie presste die Hände vor die Augen, und als sie dann wieder hinaussah, war alles so wie zuvor: Die Werkstatt war verschlossen, dicker nasser Schnee lag im Hof und auf den Dächern, und dort, wo die Klübers am Morgen mit dem Auto gefahren waren, sah man die nassen, von den Reifen gepressten Spuren im Schnee. Hatte sie eben mit offenen Augen geträumt? War der graue Mann gestern Abend womöglich auch so eine Erscheinung gewesen? Also doch so etwas wie ein Gespenst? Oder sollte dieses Bild mit den zwei Korbmachern sie aus der Wohnung locken? Sie spürte ein grusliges Prickeln am Rücken. Nein, sie würde jetzt auf keinen Fall hinausgehen.

      Nun hätte sie es sich etwas gemütlich machen können, aber das gelang ihr nicht. Sie fand keine Ruhe, lief ständig hin und her, dabei knarrten die Dielen so laut (sonst war ihr das nie so aufgefallen), dass sie fürchtete, man könne ihre Schritte noch im Hof oder gar in der Scheune hören. Hin und wieder blieb sie hinter dem Vorhang stehen und schaute nach draußen.

      Sie sah nichts Besonderes, aber kurz darauf hörte sie etwas, das sie erstarren ließ. Es klopfte an der Eingangstür unten… Dann wurde ihr klar, das war nicht ihr Hausgespenst. Sie schaute vorsichtig aus dem Fenster… ein Polizist! Sie lief langsam die Treppe hinab. Es klopfte wieder. „Herr Klüber! Sind Sie da?“ schallte es von draußen.

      Sie kannte den Polizisten vom Sehen: Schwarze, glatte Haare, etwas korpulent, wahrscheinlich über 50. „Herr und Frau Klüber sind verreist, die kommen Montag früh zurück… Was ist denn los?“ "Wir suchen einen alten Mann, der aus der Nervenklinik ausgerissen ist. Wissen Sie, vor ungefähr 40 Jahren hat der hier gewohnt, das war sein Hof... Es könnte sein, dass er hier auftaucht..."

      Elke stolperte ein paar Schritt zurück. "Was, der hat hier gewohnt?" rief sie. Der Polizist nestelte an seiner Brieftasche herum. "Haben Sie etwas Auffälliges bemerkt?" fragte er. Sie schüttelte heftig den Kopf. Er streckte Elke die Hand mit seinem Kärtchen entgegen. "Rufen Sie mich bitte sofort an, wenn er hier auftaucht oder wenn Ihnen etwas Verdächtiges auffällt!" Dann verschwand er mit einem Grüß Gott.

      Elke zog die Arbeitsjacke an, nahm einen Brief aus dem Kasten, warf ihn auf die Treppe, und lief schnell in den Stall, um die Hühner und die Ziege zu füttern. Das Polizeiauto startete draußen, hinter dem Tor. Jetzt war es zu spät... hätte sie nur eine Andeutung über den unheimlichen Besucher gemacht - sie wäre das Problem los. Aber als der Uniformierte vor ihr stand, mochte sie ihn einfach nicht, und zugleich tat ihr plötzlich der Alte leid; in dem Moment war sie nicht in der Lage gewesen, ihn zu verraten – so kam es ihr jedenfalls vor. Als sie eine Viertelstunde später zurückeilte, kam die Angst zurück; sie bemerkte mit Entsetzen, dass sie die Haustür nicht abgeschlossen hatte, und nun fiel ihr ein, dass auch die Tür zu ihrer Wohnung nicht abgesperrt war. Sie verschloss die Haustür, wieselte nach oben - doch als sie schwer atmend wieder ihre Wohnung erreichte, fand sie ihr Verhalten plötzlich wieder übertrieben. Ein alter Mann, der hier einmal gewohnt hatte… Sie fragte sich, wie er sich wohl fühlen mochte, den Gedanken hatte sie bisher gar nicht. Nichts zu essen, nichts zu trinken, keine Heizung, kein Bett. Wahrscheinlich hatte er auch nasse Füße. War es da nicht unsinnig, sich vor ihm zu fürchten? Sie überlegte, wo sich so ein Mensch, der das Anwesen kannte, verstecken würde. In den Kammern hinter den Stallungen? Oder in der Scheune im Stroh? Oder etwa hier im Haus?

      Sie entschloss sich, einfach ihre Arbeit zu tun. Zuerst musste Schnee geschippt werden. Danach würde sie weitersehen. Ach so, der Brief, von diesem Jörg; sie wusste, was drin stand, es war immer dasselbe. Er kündigte an, zu welcher Uhrzeit er sie am Samstagabend zur Disco abholen würde. Alle 14 Tage dasselbe: Ein Disco Abend, anschließend - so zwischen zwei und vier Uhr morgens - ins Bett, immerhin, aber das war's dann auch schon, wenn man von dem gemeinsamen Frühstück am nächsten Morgen absah. Und die nächsten 14 Tage war er dann wieder verschwunden. Nur in der Disco passten sie zusammen; sie sahen beide schmuck aus, tanzten zusammen, und bei sanfter Musik zeigte er sich, eng umschlungen mit seinem Mädchen, als romantischer Liebhaber.

       Die Begegnung

      Elke verrichtete ihre Arbeit so wie sonst immer, vielleicht etwas langsamer, weil sie ständig die ganze Umgebung beobachtete, auch nach Spuren suchte. Sie entdeckte aber nichts Verdächtiges.

      Mittags kochte sie einen großen Topf pürierte Kartoffelsuppe, den konnte sie leicht aufwärmen, falls die Klübers nach ihrer Rückkehr noch etwas essen wollten. Als die Suppe fertig war, hatte sie eine Idee. Sie stieg die Treppe hoch und rief: "Herr Reuß, haben Sie keine Angst, ich bin allein im Haus, kommen Sie in die Küche, ich habe Suppe für Sie!" Auf den Dachboden wagte sie sich allerdings nicht, da war es an manchen Stellen so eng und so dunkel. Und in den Keller stieg sie auch lieber nicht hinab.

      Nachdem sie das Suchen im Haus ohne Schaden überstanden hatte, ging sie in die alte Werkstatt, in die Scheune und in die Stallungen und rief nach dem alten Mann. Es rührte sich nichts. Sie ging in die Küche zurück und begann, die Suppe zu essen. Es vergingen etwa zehn Minuten, da hörte sie etwas vom oberen Stockwerk herabtapsen. Da ganz oben war er also gewesen! Sie legte den gerade mit Suppe gefüllten Löffel auf den Teller zurück, presste die Hände vor die Brust und saß regungslos auf dem Stuhl. Sie stand langsam auf, schaute sich hastig um, zog einen eisenbeschlagenen Stiel aus dem Papierkorb, es war der Griff eines ehemaligen, zusammenklappbaren Spatens - schlich bis an die geöffnete Küchentür. Das Knarren kam von ziemlich weit oben, er war nun schon mindestens eine Treppe tiefer, wahrscheinlich kam er aus einer der beiden Dachkammern. Nein, die waren ja mit dicken, alten Schlössern verriegelt. Die Klübers hatten die nie geöffnet… Es schien endlos lange zu dauern. Dann sah sie ihn. Beide schienen wie erstarrt und standen sich wie versteinerte Figuren gegenüber. Der Alte sah entsetzlich aus: Die weißen Haare zerzaust, Backen, Kinn und Hals voller weißer Bartstoppeln, die Augen gerötet. Er trug einen dunklen, stark verschmutzten Mantel, also keine Steppjacke, wie in der Suchmeldung angegeben - und in der linken Hand einen Leinenbeutel, in dem Bücher zu sein schienen.

      "Kommen Sie, essen Sie eine warme Suppe!" rief Elke mit bebender Stimme. "Sie brauchen keine Angst zu haben."

      "O danke, danke", stammelte der Alte leise und kam ächzend die Stufen hinab. Elke ließ den Spatenstiel fallen, ging dem Alten entgegen und stützte ihn unter dem Arm; er stank fürchterlich. "Danke, ich danke Ihnen", wiederholte er mit brüchiger Stimme. "Das ist mein Haus, verstehen Sie. Ich will nicht in dieser Klinik sterben, ich will hier sterben..."

      "Sie

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