Der alte Mann und das Haus. Roland Exner
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Читать онлайн книгу Der alte Mann und das Haus - Roland Exner страница 5
Es war gar nichts passiert, außer, dass der Alte plötzlich glaubte, Elke sei weggegangen, um die Polizei zu rufen, und nun musste sie wieder einige Male erklären, dass sie das nicht tun würde und dass er da bleiben könne. „Ich hab die Dachkammer wieder verschlossen“, sagte sie. „Wenn es draußen wärmer wird, kann ich Sie da gut verstecken. Aber woher hatten Sie denn den Schlüssel?“ Er lächelte. „Mein altes Versteck, ein kleiner Hohlraum in den Dielen…“
Elke sah dem Alten in die wässrigen Augen, nahm mit ihrer Rechten seine Hand, die Linke legte sie auf seine Schulter. „Machen Sie sich keine Sorgen“, sagte sie sanft, „Sie sind hier zu Hause, ich helfe Ihnen, dass Sie hier zu Hause sein können.“
Seine Hand zuckte und wackelte heftig, sie umarmte ihn kurz und wandte sie sich ab, weil ihr ein paar Tränen aus den Augen kullerten.
Dann tat sie einfach, was notwendig war. Schneeschippen, abwaschen, und zwischendrin immer wieder nachschauen, was der Alte machte. Er schlief, und als die Abenddämmerung begann, schlief er immer noch. Aber sehr unruhig. Er drehte sich von einer Seite auf die andere, gleichzeitig sah es so aus, würde er festgehalten werden – und als würde er schreien, aber er röchelte nur, dies allerdings ganz entsetzlich. Elke versuchte ihn zu wecken, was aber nicht gleich gelang. Sie schüttelte seine Schultern, er schien sich zu wehren, öffnete hin und wieder die Augen, aber er wurde nicht wach. Erst als sie seinen Namen in sein Ohr trompetete und ihn mit strenger Stimme aufforderte, wach zu werden, hatte sie Erfolg. Er rang nun allerdings so entsetzlich nach Luft, dass sie glaubte, sie habe eine Herzattacke bei ihm ausgelöst. Nach einigen Minuten hatte er sich aber beruhigt; er sah sie nur noch maßlos erstaunt an. "Sophie?" ächzte er, "wo kommst du denn her?" Seine Blicke jagten durchs Zimmer. "Und wie komm' ich hierher?"
War er vielleicht doch verrückt? "Ich bin keine Sophie!" erwiderte sie hastig. "Ich bin Elke Meusel! Ich bin die Haushälterin bei Familie Klüber. Gestern abend habe ich mit der Taschenlampe in die alte Werkstatt geleuchtet und Sie plötzlich gesehen. Ich hab' mich wahnsinnig erschrocken…“
Sie hielt inne, als müsse sie den Schrecken noch einmal verdauen.
Der Alte starrte sie noch immer an. "Sie sehen aber aus wie Sophie. Meine Güte, Sie sehen aus wie Sophie!" "Ihre Fantasie geht mit Ihnen durch", sagte Elke. "Ich bin keine Sophie, sondern Elke Meusel, verstehen Sie?"
Er schien etwas sagen zu wollen, aber sie sprudelte weiter – dass die Klübers am frühen Morgen nach Nürnberg gefahren seien, die Meldung im Radio, dann der Polizist. Wie sie im Hause nach ihm gerufen habe, dann sei er die Treppe herunter gekommen. Ob er sich nun erinnere, fragte sie eindringlich.
Der Alte stützte sich mit großer Mühe auf die Ellenbogen. "Ich bin zu Hause", stammelte er, "ich bin zu Hause."
Seine Stimme war leise und brüchig. "Das Zimmer... die Möbel... Ich bin zu Hause… Und du hast dich auch nicht verändert, du siehst genauso aus wie damals!"
"Aber du siehst nicht aus wie damals!" schrie Elke, um fast im selben Moment ihre Hände vor den Mund zu schlagen.
Er richtete sich ächzend auf. "Ich träume doch wohl", sagte er, "das ist doch wohl ein böser Traum, die quälen mich mit diesen Spritzen... und diesen Elektroschocks…“
„Elektroschocks...“ flüsterte sie. „Das machen die heute noch?“ „Das weiß ich nicht“, erwiderte er, „bei mir ist es lange her...“ Seine tief liegenden Augen glühten, sie brannten auf Elkes Haut, und sie bekam wieder Angst. Sie stand unwillkürlich auf und wich ein paar Schritte zurück… Er meinte wohl, hier stimme etwas nicht, und die Schuldige sei sie, Elke, die, wie er anscheinend glaubte, seine Sophie war.
"Sie träumen nicht", sagte sie gefasst, "versuchen Sie sich doch einfach zu erinnern. Sie waren in der Klinik, und von dort sind Sie abgehauen, das war sicher nicht ganz einfach, hierher zu kommen, und Sie haben sicherlich entsetzlich gehungert und gefroren… Sie müssen sich hier in dem Haus sehr gut auskennen, Sie sind unbemerkt in eine der Dachkammern eingedrungen und haben dort übernachtet. Unglaublich, was Sie da alles geschafft haben, und das haben Sie alles nicht geträumt. Wie haben Sie es überhaupt von Bayreuth aus hierher geschafft, und das im Winter!"
Er sagte nur: „Man hat mir etwas geholfen... hinten im LKW, mit dem Müll. Dann ein Stück mit dem Zug... nachts... in einem Laderaum...“
Elke bemerkte erleichtert, dass die Augen des Alten nicht mehr so unheimlich glühten und er ganz matt dreinschaute. Unten im Haus klingelte das Telefon. "Einen Moment", sagte sie hastig, "das sind bestimmt die Klübers“. Sie eilte zur Tür, schaute noch einmal zurück. Der Alte hob einen Arm, als wolle er etwas sagen, was ihm aber offensichtlich nicht gelang. O Gott, er sah elendig aus, den Mund halb offen, wie ein erstickter Hilfeschrei, der aus dem weißen Bartgestrüpp nicht herauskam. "Keine Angst", tröstete sie, auch ihre eigene Angst war nun ganz verschwunden.
"Ich sage niemandem, dass Sie hier sind, auch den Klübers nicht." Sie rannte die Treppen hinab und riss den Telefonhörer von der Gabel. Es war tatsächlich Karl Klüber; er kündigte die Rückkehr erst weit nach Mitternacht an. Sie solle bitte das Frühstück erst für neun Uhr vorbereiten. Ob etwas Besonders passiert sei? Sie erwiderte, etwas zu hastig, nein, nein, nichts sei passiert, es sei alles in bester Ordnung. Er bestellte noch einen Gruß von seiner Frau und legte auf.
... Etwas Besonderes passiert... sie hielt die Hand auf ihr Herz, weil es gar zu arg pochte. Die Klübers hatten bestimmt von der Suchmeldung im Radio gehört... Plötzlich fiel ihr der Polizist ein, den hätte sie erwähnen müssen! Einen Moment dachte sie daran, in Nürnberg anzurufen, aber das wäre wohl auch verdächtig. Jetzt würde alles, was sie dazu sagte, nur mehr schlafende Hunde wecken. Das Beste war wohl, dem Klüber nach seiner Rückkehr beiläufig von dem Polizisten zu erzählen. Der konnte ja auch nach dem Anruf vorbei gekommen sein.
Die Standuhr in der Klüberschen Wohnstube schlug Fünf, draußen war es schon dunkel. Elke stieg langsam die Treppen hoch. Nun hatte sie wieder Angst, als wäre der Alte ihr in harmloser Verkleidung erschienen … und nun vielleicht hinter der Tür lauern... Aber er lag noch immer im Bett; schnarchte und schlief offenbar sehr tief.
Sie setzte sich in die Ecke, wo sie sonst immer Bücher las, und überlegte. Sie würde ihn einfach pflegen so gut und so lange es ging, das musste einfach klappen, denn die Klübers kamen nie in ihre Wohnung. Oder schnüffelten sie doch mal rein, wenn sie nicht zu Hause war? Sie wusste nicht, ob das Ehepaar noch Schlüssel für diese Wohnung hatte... Aber sie kamen sicher nicht… nicht gleich auf die Idee, dass dieser Johann Reuß bei ihr in der Wohnung war. Nein, auf diesen Gedanken würde keiner so schnell kommen, sie selber glaubte es ja kaum. Aber wie lange würde sie das Versteckspiel durchhalten? Ein paar Wochen? Monate?
Oder gar Jahre? Was sollte sie tun, wenn der Alte erkrankte? Ihn etwa sterben lassen? Ihn an die Nervenklinik ausliefern?
Jetzt kam erst einmal eine Nacht mit diesem Greis, dann der nächste Tag. Und wenn die Klübers doch herumschüffelten? Ah, so ein kleines Sicherheitsschloss für ihre Wohnung, das war sicher eine gute Idee, und wenn die Klübers das merkten, konnte sie das ja mit diesem "grauen Mann" in der Scheune begründen, mit der Angst vor einem ungebetenen Gast. Als sie ihr Nachtlager bereiten wollte, fiel ihr ein, dass sie ein paar dieser Decken aus der Dachkammer holen könnte, und plötzlich hatte sie die Idee, auch den Schaukelstuhl in ihre Wohnung zu stellen. Sie zögerte, sie hatte Angst, noch einmal in diese Dachkammer zu gehen, und die Treppen waren schmal und steil, aber schließlich wagte sie es doch.
Der Wecker klingelte um halbsechs. Elke drehte sich auf die andere Seite, dabei merkte sie, dass sie nicht in ihrem Bett lag.