Der alte Mann und das Haus. Roland Exner

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Der alte Mann und das Haus - Roland Exner

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      Sie führte ihn zum Tisch und gab ihm einen Teller Suppe.

      Der Alte tat ihr leid, und er tat ihr noch mehr leid, weil sie sich vor ihm ekelte; dieser beißende Gestank, und nun bekleckerte er auch noch seinen Bart. Sie legte ein paar Servietten auf den Tisch, das verstand er Gott sei Dank: Er wischte sich den Bart ab und schob den nur halb geleerten Teller von sich. Elke war gekränkt. "Schmeckt die Suppe nicht?" fragte sie. Der Alte schien sich zu erschrecken. "Nein! Nein! Die schmeckt gut!“ Seine zuvor etwas zittrige Stimme klang nun fast normal, „Ich kann nicht mehr essen. Ich esse immer sehr wenig..."

      Elke nickte höflich, glaubte ihm aber nicht so recht.

      Sie beobachtete sich etwas im Spiegel, ja, sie wirkte ganz ruhig, obwohl sich ihre Gedanken in einer wilden Hetzjagd verhedderten. Was um Himmels Willen sollte sie jetzt mit diesem Menschen machen? Er wollte hier bleiben und sterben. Wie sollte das denn gehen? Wenn der Polizist nicht da gewesen wäre, würde sie den Alten nun ganz bestimmt für irre halten; nie hätte sie ihm geglaubt, dass dies einmal sein Haus gewesen war.

      Sollte sie den Klübers alles erzählen? Das wäre wohl zu riskant. Klüber war in der NSDAP gewesen, und seit 1965 war er Stadtrat, und als solcher hatte er immer wieder betont, dass er stolz sei, deutscher Soldat gewesen zu sein. Elke war es immer peinlich, wenn er davon erzählte. Und die Polizisten vom benachbarten Staffelstein waren seine Freunde, der Chef der Polizeiinspektion war auch Stadtrat... O, nein, das arme alte graue Gespenst wäre verloren, wenn Klüber etwas erführe. Und dann kam ja noch hinzu, dass die Klübers in seinem ehemaligen Haus wohnten… Irgendetwas stimmte da nicht.

      All dies dachte sie nicht in klarer Folge; die Gedanken brodelten in einem Gemisch aus gedachten Sätzen, Ahnungen und Ängsten, dann doch wieder vermischt mit der Frage, ob sie nicht doch verpflichtet sei, den Klübers alles zu erzählen, doch wenn dieser Gedanke aufblitzte, fuhr ihr zugleich der Schrecken in die Glieder. Im Grunde wurde ihr damit erst klar, wie sie von den Klübers dachte, obwohl sie eigentlich gut behandelt wurde, und auch über die Bezahlung und die Wohnung konnte sie nicht klagen.

      Während also dieser Johann Reuß nun doch noch ein paar Löffel von der Suppe schlürfte, begann sie sich damit abzufinden, dass sie diesen Mann in diesem Haus verstecken musste, es war eigentlich Wahnsinn... Der nun so eindeutige Gedanke verstopfte ihre Kehle, einen zweiten Teller Suppe – wie sonst immer – mochte sie nun auch nicht... Gab es wirklich keine andere Möglichkeit? „Wo waren Sie denn in der Nacht?“ platzte sie heraus.

      „In der einen Dachkammer…“ Seine Stimme war nun wieder ganz leise und zittrig. Sie fühlte sich seltsam klamm… als würden ihre Gliedmaßen kalt und steif werden. Die Kammern waren seit Jahrzehnten verschlossen… mit großen schweren Vorhängeschlössern…

      Der Alte hatte seine Suppe nun doch ganz aufgegessen und wischte sich mit zittrigen Händen den Bart ab. Die roten, entzündeten Augen wässerten ständig, ein trauriger, müder Quell, der in unzähligen Runzeln versickerte.

      "Danke", sagte er leise, "danke... ich hab' schon lange nicht so gut gegessen." Sie freute sich, dass er seinen Teller ausgelöffelt hatte, tätschelte seine großen, knöchernen Hände und forderte ihn auf mitzukommen.

      "Ja, ja," stammelte er. "Wohin denn? Wohin denn?"

      Er kam allein nur langsam die Treppe hoch; sie stützte ihn. „Ich will hier nur sterben“, stammelte er, „bringen Sie mich nicht in die Klinik zurück.“ Sie versprach, dass er bleiben könne.

      „Wie sind Sie denn hier gestern unbemerkt hochgegangen?“ fragte sie. Er habe sich einfach langsam vorbeigeschlichen, erwiderte er; Sie waren alle in der Küche.“ Sie lachte etwas gequält… Vielleicht war er doch ein Gespenst?

      Sie brachte ihn in ihr Zimmer; er bewegte sich sehr langsam und ziemlich wacklig, aber er konnte sich fast ohne Hilfe ausziehen und duschen. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie keine Angst mehr hatte. Es war einiges sehr rätselhaft, aber es war nicht mehr unheimlich. Nicht mehr ganz so unheimlich. Und sie ekelte sich nicht mehr, es schien alles ganz selbstverständlich oder notwendig zu sein. Sie zog ihm ein Nachthemd über, half ihm in ihren Bademantel und führte ihn zu ihrem Bett. Der Alte hatte bisher alles mitgemacht, was blieb ihm auch anderes übrig. Nun aber sträubte er sich zum ersten Male.

      "Ich... ich… ich kann doch nicht in Ihr Bett!" stotterte er.

      "Meinen Sie, ich lasse Sie hier auf dem Fußboden schlafen? Kommen Sie, keine Widerrede. Ich finde hier im Haus genug Decken für ein Nachtlager.“

      „Da oben in der Kammer ist eine Pritsche“, sagte er. „Da will ich wieder hin… Ich will hier doch nur sterben.“

      „Jetzt gehen Sie bitte in das Bett hier“, bestimmte sie. „In die Dachkammer gehen Sie nicht zurück, da ist es zu kalt!“

      Der Alte murmelte einige unverständliche Worte, ließ sich aufs Bett sinken und schlief sofort ein. Sie lockerte den Gürtel seines Bademantels, rollte ihn etwas zur Seite, zog vorsichtig die Bettdecke unter ihm hervor und deckte ihn zu. Der Alte wurde wach, blinzelte durch die tiefen Runzeln, stammelte noch einmal danke ; Sekunden später schien er wieder zu schlafen. Wahrscheinlich verstellt er sich und schläft noch gar nicht, dachte Elke. Oder doch, er schlief, sein Gesicht sah aus wie eine Totenmaske, der Mund halboffen, die Backenknochen überdeutlich unter der dünnen, gespannten Haut, und dann die Blässe. Sie starrte ihn an, nur wenn sie genau hinsah, bemerkte sie die fast unmerklichen Atemzüge. Er war immer noch so etwas wie ein Gespenst; sie sah ihn, er war hier in ihrem Zimmer, in ihrem Bett, aber sie konnte es eigentlich nicht glauben. Und was würde erst sein, wenn die Klübers das alles wüssten!

      Sie raffte die verdreckten Kleidungsstücke zusammen, brachte sie in den Keller und stopfte sie in die Waschmaschine. In der Wohnung der Klübers klaute sie einfach etwas Wäsche, das war sehr kühn, aber, so dachte sie, notwendig. Sie hatte eigentlich nur Zugang zur Küche, Bad und Wohnzimmer, wusste aber, wo der Schlüssel fürs Schlafzimmer versteckt war. Sie achtete darauf, keinerlei Spuren zu hinterlassen, weil dann das Risiko nicht allzu groß war. Die beiden stritten sich oft, wer was vom anderen verlegt hatte; auch Elke wurde hin und wieder beschuldigt. Bisher hatte man meist alles irgendwann wieder gefunden, das würde auch diesmal so sein, wenn vielleicht auch etwas später als sonst.

      Dann ging sie ganz nach oben.

      Am Ende der Treppe war eine Tür, dahinter Dämmerlicht, ein Korridor mit einem winzigen Dachfenster, auf der rechten Seite die zwei Dachkammern; sie knipste das Licht an… In dem Schloss, das die Tür zur ersten Dachkammer versperrte, steckte ein Schlüssel - und das Schloss war geöffnet…

       Also wenigstens war der Alte nicht als Geist durch die verschlossene Tür gegangen…

      Sie war erstaunt, wie groß die Kammer war, eigentlich schon – infolge der Gaubenkonstruktion - ein kleines, lichtdurchflutetes Zimmer, etwa vier Meter lang, drei Meter breit, ein kleiner Tisch, ein Stuhl, ein geflochtener Schaukelstuhl, trotz Spinnweben und Staub als Prachtstück zu erkennen. Wahrscheinlich war er damals hier in der Werkstatt gefertigt worden… ein schöner alter Bauernschrank, eine Pritsche, daneben ein Nachttisch, etwas Geschirr, eine große Schüssel und ein großer Krug, darüber ein Spiegel, alles scheinbar uralt und verstaubt. Auf dem Boden dicker Staub, in dem der Alte Spuren hinterlassen hatte.

      Er hatte die Pritsche tatsächlich benutzt. Hinter der Pritsche lag eine völlig verstaubte Decke; er hatte sie offenbar von der Pritsche entfernt und saubere, gut erhaltene Decken aus dem Schrank genommen. Sie legte die Decken sorgfältig zusammen und stapelte sie wieder in den Schrank.

      Sie verriegelte die Tür, versperrte den Riegel

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