Oskar trifft die Todesgöttin. Jörgen Dingler

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Oskar trifft die Todesgöttin - Jörgen Dingler

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hatte sich nach Absetzen des Helms seine Baseballkappe aufgesetzt, obwohl es ihm als eine überflüssige Maßnahme erschien. Es deutete einiges darauf hin, hierher gelockt worden zu sein. Aber sicher ist sicher. Er bewegte sich zielstrebig und selbstsicher. Der vordere Teil des Containerhafens wirkte wie ausgestorben – Feierabend. Der auch abends geschäftige Bereich befand sich gut einen Kilometer weiter, wo große Verladekräne die Container stapelten und Schiffe be- und entluden. Dennoch sollten seine Bewegungen etwaige Beobachter darauf schließen lassen, dass er wusste, wo er war und was er tat. Wer sich unsicher verhielt, verriet damit, dass er eigentlich nicht daher gehörte, wo er sich befand. Verhaltensregeln für Killer und andere Menschen mit unheiligen Absichten.

      Nun stand er vor der metallenen Eingangstür des Lagerhauses und besah sich den Türknauf. Ein Türknauf ist keine Klinke, daher war die Tür nicht nur geschlossen, sondern auch verschlossen. Wie sich das gehört, wenn sich hinter dieser Tür – wie bei Lagerhäusern üblich – größere Mengen an teuren Waren befinden. Er erblickte ein Klingelschild, auf dem ‚TIMBRE‘ geschrieben stand – Klingel. Sehr aufschlussreich. Unterhalb der Klingel befand sich ein handlicher Kasten neueren Baujahres und weitaus komplexerer Technologie. Ein Gerät mit Schlitz zum Durchziehen von Magnetkarten und zusätzlicher Nummerntastatur zur Codeeingabe. Klingeln würde er schon mal nicht, das war klar. Aber sonst war nichts klar. Er sah sich um, niemand war in Sichtweite.

       Nicht gut. Alles nicht so gut, das hier.

      Das bezog sich weniger auf das Codeeingabegerät als auf den Umstand, hier zu stehen und sich auch noch Gedanken darüber zu machen, wie die Maus in die für sie vorbereitete Falle tappen konnte. Denn alles sah genau danach aus. Wobei: Wenn alles geradezu verdächtig nach einer Falle aussieht, dann könnte es andererseits auch keine Falle sein. Zu Offensichtliches verheißt oft das Gegenteil. Und falls es doch Falle eine war? Würde man ihn dann hierher locken, um ihn vor der Banalität einer geschlossenen Tür scheitern zu lassen? Wohl kaum.

       Logik beantwortet Fragen.

      Nicht alle, aber vielleicht diese. Zahlencodes sind üblicherweise vierstellig. Falls man ihn wirklich hierher gelockt hatte, dürfte dieser Code für ihn also nachvollziehbar sein. Es wäre andererseits auch nicht das Allernaheliegendste, was Langfingern den Eintritt gewähren könnte, da sieben von zehn selbst gewählten Codes genau das waren: das eigene Geburtsdatum. Oskar würde also sicher nicht 0802 für Christines Geburtstag am 8. Februar eingeben. Ihren Geburtstag konnte jeder Sonderschüler aus dem Internet abrufen – Wikipedia sei Dank. Und doch tippte er 0802 ein. Das Blödeste ist oft genau das Richtige, eben weil es zumindest halbwegs intelligente Menschen für das Blödeste und damit Undenkbarste halten. Schwarze LCD-Zeichen erschienen blinkend.

      ‚no admittance‘

      Dann das zweitdümmste, aber zweifelsohne erneut eine Zahlenkombination mit Charme. Wieder ihr Geburtstag, aber mit Geburtsjahr und ohne Nuller bei Tag und Monat. Er tippte 8282. Da Christine keine Amerikanerin war, hätte sie auch nicht die amerikanische Reihenfolge gewählt – Jahr, Monat, Tag. Demnach 8228, ebenfalls ein schöner, sogar noch symmetrischerer Code. Trotzdem:

      ‚no admittance‘

      Das waren zwei Fehlversuche. Das kleine Gerät sah wie gesagt nach neuerem Datum aus, wäre also unerbittlich und würde beim dritten Fehlversuch einen stummen Alarm schlagen. Wie ein Geldautomat dann deine Bankkarte einzieht, dein Handy sich in den Dauerruhestand versetzt, bis es wieder mit der Reserve-PIN (die man sich erst recht nicht merkt und garantiert verlegt hat) zum Leben erweckt werden kann. Und genauso, wie Oskar damals in Irland von einem dritten Versuch abgesehen hatte, auf den Computer seines verstorbenen Chefs zuzugreifen. Aller guten Dinge sind drei, aller schlechten Dinge drei Fehlversuche.

       Jetzt muss die richtige Kombination her!

      Sein Handy klingelte. Verflucht! Er hatte vergessen, es auf stumm zu schalten und klickte Greg sofort weg. Dann schaltete er es auf stumm. Glücklicherweise war Oskar ein Freund dezenter Klingeltöne wie -lautstärken. Gerade als er sein Handy wieder einstecken wollte und noch kurz auf das Display sah, das Gregs Anrufversuch anzeigte, hielt er in der Bewegung inne. Er nahm es erneut vor die Augen und besah sich die Tastatur. Im Gegensatz zu modernen Smartphones besaß sein in die Jahre gekommenes Nokia E70 (er liebte es wegen seiner versteckten, vollwertigen Buchstabentastatur) noch richtige Hardwaretasten. Und diese Tasten zeigten nach guter alter Sitte die zusätzliche Belegung mit drei bis vier Buchstaben (die man – wie gesagt – nicht brauchte, wenn man die Zahlentastatur des E70 hochklappte und dann von der vollwertigen Tastatur darunter Gebrauch machte). Amerikanische Unternehmen gaben ihre Telefonnummern seit Jahrzehnten mit dem geschriebenen Firmennamen an, indem die Kunden einfach die Zahlentaste drückten, die dem jeweiligen Buchstaben entsprach. Und zwar nur einmal, nicht wie beim SMS tippen auf einer Zahlentastatur, wo man für das häufig gebrauchte S viermal die 7 drücken musste. Bei 1-800-SAMSONITE drückte man demnach nur einmal die 7 für das S. Christine stellte zwar keine Plastikkoffer, sondern Lederklamotten her, aber sehr wahrscheinlich lag hier das selbe Prinzip zugrunde. Allerdings handelte es sich hier ebenso wahrscheinlich um einen vierstelligen Code, wie bei anderen Tür-Einlasscodes, PINs und ähnlichem. Obwohl es sich um eins ihrer Warenlager handelte, sprach alles in Oskars Innerem gegen einen Bezug des Türcodes zu Christines offiziellen Gewerbe. Aber auf was bezog er sich dann?

      Fangen wir doch mal so an: Weswegen war er denn hier?

      KALI

      war vierstellig! Er sah auf die Tasten seines Handys und bewegte den Zeigefinger zum Codeeingabegerät. Der dritte und letzte Versuch. Falls es klappen sollte: Hoffentlich war der Türsummer nicht zu laut. Denn in diesem Fall hätte es trotz Erfolgs keinen Alarm mehr gebraucht. Er nahm sich vor, erst alle Buchstaben mit den Zahlen abzugleichen und dann zu tippen. Es musste weniger als eine Sekunde zwischen dem Tippen der Tasten vergehen, weil es ansonsten als weiterer Fehlversuch gedeutet würde. Das kannte er von anderen Codeeingabegeräten. Und ganz banal von der heimischen TV-Fernbedienung, die beim Tippen mehrstelliger Programmnummern nur die erste Ziffer berücksichtigte, wenn er zu lange zum Tippen der zweiten brauchte. Also

      K ist auf welcher Zahlentaste dann A L liegt auf derselben wie K

       Tipp, tipp, tipp, tipp

       5 2 5 4

      ‚access granted‘

      Das Schloss der Metalltür entriegelte sich mit einem dezenten Klack.

      Puh! Oskar war es mittlerweile sehr warm unter seiner Motorradlederjacke. Er zog die Tür auf und betrat vorsichtig das Lagerhaus. Das Pförtnerhäuschen gleich nach dem Eintreten links war leer. Klar, Feierabend. Auch in Spanien gab es Gewerkschaften, die Pförtner nicht bis zum späten Abend arbeiten ließen. Außerdem, wie hatte Christine selbst doch so schön gesagt:

      ‚Ich will, dass meine Leute ihren geregelten Feierabend haben.‘

      Das betraf eher nicht sie selbst. Und schon gar nicht Kali.

      Vor Oskar tat sich ein Raum von sicher gut dreißig mal sechzig Metern mit etlichen Reihen von Hochregalen und einer weiter hinten befindlichen zweiten Ebene auf. Dort, wo die Hochregalreihen endeten, befand sich eine Empore. Oskar konnte kein künstliches Licht erkennen. Gelbes Licht glimmte trübe durch ein Gitterwerk von kleinen quadratischen Fenstern, die Längsseiten und Frontseite des Lagerhauses dominierten. Das Licht der abendlich tiefstehenden Sonne schuf eine gespenstische Kulisse, modelliert aus den Schatten der Fenstergitter und gut gefüllten Regalen. Es war halb acht Uhr abends. Vielleicht eine Stunde noch, dann war es mit dem Tageslicht vorbei. In südlichen Gefilden geht die Sonne sommers ebenso früher unter, wie sie winters länger am Himmel bleibt. Er ließ seine Blicke

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