Oskar trifft die Todesgöttin. Jörgen Dingler
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Читать онлайн книгу Oskar trifft die Todesgöttin - Jörgen Dingler страница 7
Sie stand im Gegenlicht, etwa zehn Meter hinter ihm, nunmehr vor ihm, weiter vorn in Richtung Eingang als er. Er stand inmitten eines Ganges zwischen zwei Hochregalen, sie stand vor diesem Gang, vor der ganzen Reihe von Hochregalen. Ihre Waffe hatte sie lässig an sich herunterbaumeln und grinste ihn an. Oskar hörte sie noch ein ironisches ‚schicke Mütze‘ murmeln, war für Sekundenbruchteile paralysiert, fixierte sie, es kam ihm viel zu lange vor, riss dann endlich seine Walther hoch und schoss.
Plopp! Nicht einmal ein Augenzwinkern zuvor hatte sie sich radschlagend an die Seite begeben.
»Fuck! Sie kann sogar Kugeln ausweichen. Wie im Film. Und ich bin im falschen Film«, flüsterte er. »Ein Phantom, sie ist ein Phantom!« Er schluckte und wischte sich Schweiß von der Stirn. »Ein verdammt heißes Phantom.«
Als er nur ansetzte, auf sie zu schießen, war sie verschwunden. Weg! Und er war weißgott nicht langsam. Er schmiss seine ‚schicke Mütze‘ nach vorn, Richtung Eingang, in den schutzlosen Bereich vor den Regalen. Wie erwartet, wurde sie im selben Moment von einem Projektil perforiert. So schick fand Kali seine Baseballkappe dann wohl doch nicht. Er auch nicht.
Oskar rief das Bild ab, das sich innerhalb einer Sekunde in sein Hirn gebrannt hatte. Die schwarze Lederlady trug einen hautengen Dress, hatte selbst im Gegenlicht erkennbar schwarze Lippen. Die schwarze Pagenkopffrisur stand ihr unheimlich gut. Oskar hätte vor der Begegnung auf Maryfuego nicht gedacht, dass jemand mit einer Mireille Mathieu-Frisur dermaßen sexy aussehen konnte. Vor einem Moment war sie nur ein paar Meter vor ihm, hatte den Kopf gefährlich gesenkt, fixierte ihn, schmunzelte. Sie trug entweder eine schwarze Maske oder hatte eine geschwärzte Augenpartie. So genau war das nun nicht zu erkennen, erst recht nicht so schnell. Bei einem Einsatz im Dämmerlicht wäre eine dunkle Sonnenbrille eher kontraproduktiv. Insofern hieß es diesmal Maske statt cooler Trinity-Brille, mit der er sie neben Christine auf Maryfuego erblickt hatte. Den hauchdünnen, federleichten Mikrofonbügel vor ihren schwarzen Lippen konnte er im Gegenlicht nicht sehen.
Schon wieder hätte sie ihn töten können! Der Unwille, sie zu töten, wurde noch stärker, obwohl er vor Augenblicken auf sie gezielt und abgedrückt hatte. Wer radschlagend einem Schuss ausweichen kann, kann einen auch abknallen, noch bevor man überhaupt ans Schießen denkt.
»Du bist zu langsam, kleiner Mann!«, erschallte es aus den Lautsprechern. Die Stimme klang eiskalt, gnadenlos. Bislang war sie gnädig. Er spürte, dass die Gnade vorbei war. Beim nächsten Mal würde sie ernst machen.
»Ja, wer ist das nicht… verglichen mit dir«, brabbelte er leise zu sich selbst.
»Du solltessst lieber verschwinnndennn… dennn… dennn…«, echote es.
Bingo! Jetzt würde sie ernst machen, sollte er ihrem Rat nicht Folge leisten. Er würde diesen Rat so gern befolgen. Nichts lieber als das! Aber er konnte nicht. Lieber hier draufgehen, als irgendwie irgendwann mitbekommen zu müssen, dass Christine draufgehen würde. Wie es die Welt ohne ihn dann aus der Zeitung oder früher noch aus dem Fernsehen erfahren würde: ‚Berühmte Designerin tot. Sie wurde ermordet‘. Oder auch nicht. Vielleicht wäre sein Tod eine Warnung wie klares Signal für Viktor, dass es keinen Sinn hatte, weitere Killer auf Christine anzusetzen. Weil Christine eine Kali an ihrer Seite hatte. Noch lieber aber sollte genau diese Kali statt ihm draufgehen und Viktor damit Satisfaktion verschaffen. Obwohl Oskar auch nicht wollte, dass Kali stirbt. Eigentlich. Die vermeintlich kleineren Übel bestimmten in der Tat sein Leben.
Ich funktioniere, ich funktioniere bestens!
Kein Zittern, kein Verkrampfen – nichts. Wie bei jedem Tötungsjob funktionierte er auch in diesem fehlerfrei. Das sollte reichen! Wenn die Gegnerin nur nicht so verdammt gut wäre – die Beste von allen. Die Beste und die Bestie. Er schlich an den Regalen entlang, bückte sich immer wieder, um nach unten zu sehen, unter den Regalen hindurch. Nirgendwo sah er ihre Füße. Also weiter! Er drehte sich um, erschrak, erblickte das, was er sich erhofft hatte, weswegen er nach vorn strebte: der lange Schatten einer nicht gerade großen Person. Er ging in die Hocke. Kali war also noch im vorderen Teil, pirschte sich wieder an ihn heran. Sie war im benachbarten Gang, ihr Schatten verwischte auf einmal.
Verflucht, ist die schnell!
Sie musste zu einem Sprung oder einem weiteren Turnkunststück angesetzt haben. Er blickte gebannt den Gang zwischen den Regalen hinunter, lauerte, zielte. Er musste antizipieren, für ein Reagieren war sie zu schnell. Sobald er sie sehen würde, wäre es zu spät. Und er tot. Soviel war inzwischen klar. Also schoss er dreimal den Gang hinunter, obwohl er noch nichts sah, noch niemand da war. Aller guten Dinge sind drei! Und aller schlechten drei Fehlversuche. Falls die Rechnung nicht aufging, wäre es sein Tod. Er schoss blitzschnell hintereinander, nicht so schnell wie Kali, natürlich nicht. Rund dreißig Meter Entfernung. Flic Flacs schlagend wischte im selben Moment ein schwarzes schnelles Etwas vor den Regalen vorbei – begleitet von einem Stöhnen, gefolgt von einem gar nicht katzengleichen Platsch! Sie musste hinter dem nächsten Regal zu Boden gegangen sein. Und zwar
Getroffen!
Oskar war paralysiert. Er hatte Kali erwischt! Die Größte von allen. Die beste, geschickteste, schnellste, kälteste, gerissenste Killerin der Neuzeit, wahrscheinlich aller Zeiten. Hatte er sie erwischt? Er war nicht nur aufgrund des noch nicht sicheren Erfolges paralysiert. Es war ein Schock, Kali erwischt zu haben. Er hatte vielleicht die Frau getötet, die ihn dreimal am Leben gelassen hatte, obwohl sie ihn mit Leichtigkeit hätte töten können. Sie ließ ihm die Chance zu verschwinden, weiterzuleben – gleich dreimal. Aller guten Dinge sind drei.
Er fühlte sich mit ihr verbunden. Mit ihr, mit Kali. Ihm war klar, dass sich hier und jetzt realisierte, was er sich im Falle eines eher unwahrscheinlichen Erfolges ausgemalt hatte: er konnte Christine wirklich nie mehr unter die Augen treten. Und zwar auch aus eigenem Antrieb. Er hatte getan, was er tun musste und fühlte sich dennoch absolut mies. Wie gesagt, nicht nur wegen Christine. Vielleicht hätte er wirklich gut in diese ‚Familie‘ gepasst. Und vielleicht hätten sich die beiden sogar gemocht – Kali und er. Christines Freundin, die Freundin der Frau, die er liebte. Und wieder mal:
Worüber denke ich Volltrottel da überhaupt nach?
Es galt die Lage zu peilen. Am besten erstmal verbal.
»Was ist mit dir, große Kollegin? Spielst du nicht mehr mit?«
Keine Antwort, wie erhofft. Wie erhofft? Er schluckte, wartete. Nächste Frage.
»Oder bist du nur beleidigt und sprichst jetzt nicht mehr mit mir?«
Er ging wieder in die Hocke und spähte unter den Regalen hindurch. Nichts. Er musste sich hinlegen, um alles einsehen zu können. Ausgerechnet dort, wo Kali liegen musste, standen flache Kartons unterhalb der Regale auf dem Boden, versperrten ihm die Sicht nach ganz vorn. Er erhob sich wieder und pustete durch. Also musste er nach vorn gehen.
Das Sonnenlicht wurde immer orangener. Draußen könnte man einem bilderbuchmäßigem Sonnenuntergang beiwohnen. Wieviel Zeit war seit dem ‚Fangschuss‘ vergangen? Wahrscheinlich ein paar Minuten. Immer noch nicht das geringste Lebenszeichen von Kali. Er musste sie erwischt haben, hatte einer Legende ein Ende gesetzt. Nein, ein Triumph war etwas anderes. Hier war nichts, worauf er stolz sein konnte. Absolut nichts. Und doch war es gut, überlebt zu haben. Es war