Drei Wünsche. Ted McRied
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Drei Wünsche - Ted McRied страница 3
Ein langer gelber Wagen schließt so dicht zu seinem Vordermann auf, dass er fast den Kofferraum berührt. Im letzten Moment kommt er zum Stehen. Olivia lächelt und inhaliert eine weitere Dosis Nikotin. Fehlt nur die Lichtanzeige auf dem Dach, dann könnte die Karre glatt als New Yorker Taxi durchgehen. Während des Auslandsjahres in Amerika hat ihr all der Trubel nichts ausgemacht. Weit weg von den Geistern der Vergangenheit bekam sie eine Ahnung davon, dass alles anders sein könnte, dass sie anders sein könnte. Sie hätte niemals nach London zurückkehren dürfen, egal wie verlockend das Jobangebot der Vinina-Holding auch war. Jetzt ist es zu spät. Sie ist nun hier und wird durchziehen, was sie angefangen hat. Aufgeben ist niemals eine Option! Zwar hat sie bei den endlosen «Predigten» ihres Vaters die Ohren oft auf Durchzug gestellt, aber das ist etwas, was hängen geblieben ist.
Ein schrilles Klingeln lässt Olivia zusammenfahren. Sie schnippt die Kippe ins Freie und kehrt zurück an ihren Schreibtisch.
»Davis«, bellt sie lauter als beabsichtigt in die Freisprechanlage. Wie gerne wäre sie diesen Nachnamen los! Jedes Mal, wenn sie ihn laut ausspricht, schwappt eine weitere Welle unliebsamer Kindheitserinnerungen an die Oberfläche. Vielleicht könnte sie ihn ändern lassen. Aber für die Mitarbeiter im Amt stellt er mit Sicherheit keinen Härtefall dar, auch wenn ihr eigenes Empfinden eine andere Sprache spricht. Lächerlich machen will sie sich schließlich nicht, und einer schlichten Sachbearbeiterin die Macht über solch eine einschneidende Entscheidung verleihen ebenso wenig.
»Hallo? Wer ist denn da?«
Es knistert in der Leitung. Gerade als Olivia die Verbindung beenden will, räuspert sich jemand. »Ich bin's, Ben.«
Ben? Der Ben, der ihr monatelang den gigantischsten Sex ihres Lebens beschert hat? Der sie glauben ließ, es gäbe tatsächlich so etwas wie Seelenverwandtschaft auf der Welt, und sie dann völlig unvorbereitet ausmusterte wie eine löchrige Socke? Und das nur, weil er meinte, für die nächste Sprosse auf der Karriereleiter müsse ein neues Image her. Eines, das Kinder beinhaltet und mit ihr nicht zu haben war. Olivias Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen. »Was willst du? Ich bin in Eile, der Vorstand wartet auf mich.«
»Der Vorstand?« Ein tiefes Seufzen dringt aus dem Lautsprecher, das unbestreitbar anregende Gefühle wachruft. »Ich habe immer bewundert, wie ehrgeizig du deine Ziele verfolgst, Liv. Ich … ich vermisse dich, weißt du?«
»Du vermisst mich?« Sie rückt so nah an die Freisprechanlage heran, dass ihre Lippen beinahe den anthrazitfarbenen Kunststoff berühren. Angewidert verzieht sie das Gesicht, als ihr ein stechender Reinigungsmittelgeruch entgegenweht. »Und das fällt dir nach fast zwei Jahren einfach so beim Frühstück ein?«
»Natürlich nicht, Honey. Du fehlst mir, seit wir uns das letzte Mal gegenübergestanden haben, jeden Tag und jede Nacht aufs Neue. Können wir uns sehen?«
Olivias Nägel graben sich schmerzhaft in ihre Handflächen.
»Liv? Bist du noch dran?«
»Du hast mich damals einfach abserviert, da werde ich wohl ein paar Sekunden nachdenken dürfen, oder?«
»Ja, klar. Ich … ich kann auch später anrufen, wenn es dir besser passt.«
»Nein. Komm morgen Mittag um eins ins Café Chérie.« Mit diesen Worten drückt Olivia das Gespräch weg und nimmt ihrem ehemaligen Lover damit jede Chance, etwas darauf zu entgegnen. Nachdenklich lässt sie sich zurück in die hohe Lehne ihres Bürostuhls fallen und fixiert die Düsen der Klimaanlage an der Decke. Noch einmal wird sie sich nicht von ihm vorführen lassen. Er will sie zurück? Gut, dann aber nur zu ihren Spielregeln!
2
Anique Dubois schaut die Fassade des reich verzierten Altbaus in der Londoner Innenstadt empor. Ein Blickfang, der diesen unrühmlichen Platz im Hinterhof ebenso wenig verdient hat wie den anrüchigen Geschäftsbetrieb in seinem Inneren. Anzusehen ist dem Gebäude nicht, welch lasterhafte Gesellschaft es beherbergt. Nur das kleine selbstgebastelte Schild neben dem Klingelknopf verrät, dass es sich keineswegs um ein normales Wohnhaus handelt. »Abigail's« steht dort in geschwungener Handschrift geschrieben. Anique muss unwillkürlich lächeln. Auch wenn es auf der Hand liegen mag, ist Abigail nicht der richtige Name der Dame, die diesen »Massage-Salon« betreibt. Sie hat ihn gewählt, da er im Gegensatz zu ihrem eigenen Vornamen mit »A« beginnt und somit in allen Verzeichnissen direkt am Anfang aufgeführt wird. Wahrscheinlich ist eine pragmatische Herangehensweise das Erfolgsrezept in diesem Business. Gefühlsduselei ist nirgendwo unangebrachter als hier.
Anique legt ihren Kopf in den Nacken. Alles sieht so friedlich aus im gleißenden Tageslicht. Ganz anders als in den Abendstunden, wenn sie normalerweise ihren Dienst antritt. Die Sonne spiegelt sich in den geteilten Fensterscheiben und verleiht dem Gebäude eine Romantik, die sonst ausschließlich alten Burgen und Schlössern vorbehalten ist. Auf dem Hof ist es ruhig. Die hohen Häuser ringsherum fangen den Großteil des Lärms der nahe gelegenen Hauptstraße ab, bis ein schepperndes Geräusch die vermeintliche Idylle zerreißt. Anique wirbelt herum. Am Rande der Einfahrt liegt eine der drei Mülltonnen mit geöffnetem Deckel am Boden und hat ihren stinkenden Inhalt auf dem Kiesbett verteilt. Das ist auch den zwei Nachbarskatzen nicht entgangen, die wie aus dem Nichts auftauchen und das unverhoffte Mahl fauchend für sich beanspruchen. Ihre aufgestellten, gesträubten Schwänze erinnern Anique an die Kakteen im Wintergarten ihrer Großmutter – wie lang diese sorgenfreie Zeit schon vorbei ist! Sie klatscht in die Hände und geht ein paar Schritte auf die Tiere zu, doch die lassen sich nicht aus ihrem Essensparadies vertreiben. Seufzend gibt Anique den Kampf schließlich auf und kehrt zum Eingang zurück. Seit einem guten halben Jahr kommt sie zweimal in der Woche her, neben ihrem Hauptjob in einem angesehenen französischen Restaurant. Kaum hat sie den Klingelknopf berührt, überkommt sie ein vertrauter Fluchtreflex, obwohl die Rahmenbedingungen dieser Anstellung eigentlich stimmen: nette Kollegen, eine verständnisvolle Chefin, saubere Zimmer, klare Hygiene- und Verhaltensregeln für die Kundschaft und nicht zuletzt die stattliche Bezahlung – der Hauptgrund dafür, diese Tortur wieder und wieder über sich ergehen zu lassen.
Anique betritt den kühlen Flur. An der kleinen Rezeption zu ihrer Linken betätigt sie die silberne Glocke auf dem Tresen. Ein helles Läuten schallt durch die hohe Halle und ruft trotz des lieblichen Tons unschöne Erinnerungen in ihr wach. Erinnerungen, die sie am liebsten in die hinterste Schublade packen und für immer vergessen würde. Die ganze Zeit über haben ihre Kunden sie durchweg gut behandelt, einige respektvoller als andere, aber nie hat es einen Anlass zur Beschwerde gegeben. Bis zu dem Zwischenfall in der letzten Woche. Er war ein gutaussehender Mann – eine gepflegte Erscheinung. Doch schon auf dem Weg ins Arbeitszimmer machte sich ein ungutes Gefühl in Anique breit. Irgendetwas an ihm war ihr suspekt und dieses Gespür sollte sich nur allzu schnell bestätigen. Unter der glatten Oberfläche lauerten derart niedere Triebe und eine alles unterdrückende Gewaltbereitschaft, die sie sich in dem Ausmaß vorher niemals hätte vorstellen können. Ausgeliefert, hilflos am Bettgestell fixiert, haben diese Minuten ihr Leben verändert und einen Teil von ihr für immer mit sich genommen.
»Anique! Wie schön, dass du da bist.« Eine Frau mit raspelkurzem grauen Haar kommt um die Theke herum und drückt Anique an ihren ausladenden Busen. »Dein Umschlag ist fertig. Kommst du eben mit nach hinten?«
»Gern. Vielen Dank für den Vorschuss, Vic. Ich hätte dich wirklich nicht darum gebeten, wenn es nicht so dringend wäre.«
»Das weiß ich. Du musst dich vor mir nicht rechtfertigen.« Mit dem Zeigefinger schiebt Victoria ihre Brille ein Stück weiter die Nase hinauf und dirigiert Anique vor sich her ins Hinterzimmer.