Drei Wünsche. Ted McRied

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Drei Wünsche - Ted McRied

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      Die antike Uhr auf dem Kaminsims schlägt neunmal, als der Schlüssel sich im Türschloss dreht. Lucy schreckt hoch. Er ist da! Schnell klappt sie das Buch zusammen und schiebt es unters Sofa. Ihr Mann mag es nicht, wenn sie liest. Für ihn ist das Abtauchen in einen Roman die größte Zeitverschwendung der Menschheitsgeschichte. Er meint, sie solle sich mit ihrem eigenen Leben auseinandersetzen und nicht mit fiktiven Figuren aus einer anderen Welt. Aber ist Realitätsflucht nicht manchmal der einzige Weg, das Dasein erträglich zu machen? Für ihn haben seine ehelichen Bedürfnisse oberste Priorität, dicht gefolgt von der Haushaltsführung und der Kinderversorgung. Aus seiner Sicht eine perfekte Familienfassade, die jedoch seit Monaten starke Risse aufweist – tiefe Schrammen, die sich unwiderruflich in Lucys Herz gegraben haben. Alltägliche Aufgaben werden zu unlösbaren Herausforderungen und drücken schwer aufs Gemüt. Selbst der tägliche Spaziergang mit ihren Kindern im nahegelegenen St. James's Park hat seine Leichtigkeit längst verloren.

      Für einen letzten Check läuft sie ins Esszimmer hinüber. Alles sieht aus, wie es sollte: Bens Teller steht ordentlich an seinem Platz, umrahmt von einer weißen Stoffserviette und dem Silberbesteck seiner Großmutter. Das bauchige Rotweinglas und die entkorkte Flasche stehen ebenfalls bereit. Fehlt nur noch der Gemüseeintopf, dessen Duft aus der Küche strömt und in Lucys Magen ein leises Rumoren auslöst. Jeden Tag kommt er später nach Hause, jeden Tag verschiebt das Essen sich ein Stück weiter nach hinten. Böse ist Lucy darüber nicht, denn jede Minute ohne ihn ist ein Gewinn.

      Im Flur hängt Ben seine Strickjacke an einen der Garderobenhaken. Draußen ist es trotz der Abendstunde immer noch unsäglich warm, die zusätzliche Kleidung hätte er sich sparen können. Als er den Arm hebt, umschmeichelt ein Hauch von Olivias Parfüm seine Nase. Er schaudert – was für eine Frau! Wie hat er es nur so lange ohne sie aushalten können? Ohne die Schmerzen, die ihre Nägel auf seiner Haut hinterlassen, wenn sie ihn in die Kissen presst und sich nimmt, was sie will. Er schließt die Augen und lässt ihre gemeinsame Zeit im Hotelzimmer Revue passieren, bis die klappernden Töpfe nebenan ihn zurück zu Lucy bringen, seiner Ehefrau. Diese Tatsache verschafft schlagartig Ernüchterung. In keinster Weise reicht sie an Olivias Qualitäten heran. Ben seufzt. Eine Teilschuld daran hat er sich selbst zuzuschreiben, schließlich ist er es gewesen, der sie überredet hat, ihren Job an den Nagel zu hängen. Und die letzten Reste ihres selbstbestimmten Lebens haben die Kinder auf dem Gewissen. Einerseits hat er dadurch jeglichen Respekt vor ihr verloren, andererseits erregt ihn die entstandene Abhängigkeit und schickt umgehend ein wohlbekanntes Kribbeln durch seine Leistengegend. Ein Grinsen huscht über sein Gesicht, während das Gefühl von Macht sich wie ein unsichtbarer Schleier über ihm ausbreitet. Lucy wird nicht nein sagen, egal was er von ihr verlangt. Ob sein Vater früher die gleichen Empfindungen gehabt hat, als er sich an ihm verging? Als er in seinem Hobbyraum Dinge mit ihm getan hat, über die niemand auch nur ungestraft nachdenken dürfte? Nie hätte er damals für möglich gehalten, dass er ihn eines Tages verstehen würde.

      Ben knöpft sein Hemd auf, um es zu entsorgen. In der Wäsche würde Olivias Duft seine Affäre auf der Stelle auffliegen lassen. Man kann Lucy vieles absprechen, aber feine Antennen für seine Fehltritte, die hat sie definitiv. Ben zögert. Was wäre, wenn er es einfach anbehält? Wenn er ihr den Geruch der fremden Frau aufzwingt, beobachtet, wie ihre Verzweiflung wächst, während die Erkenntnis, dass sie ihm hilflos ausgeliefert ist, ihre Seele Stück für Stück sterben lässt. Langsam schließt er die Hemdknöpfe wieder und schlendert pfeifend ins Esszimmer hinüber. Da steht sie am Herd, weicht seinem Blick aus und hat keine Ahnung, was ihr heute noch bevorsteht.

      Ben setzt sich an seinen Platz und betrachtet die zerstampfte Kartoffel-Möhren-Masse. Dann schiebt er den Teller mitsamt der Tischdecke von sich, wobei das gefüllte Weinglas gefährlich ins Wanken gerät. »Was soll das?«, herrscht er seine Frau an.

      »Das … das hast du doch immer gemocht«, stammelt Lucy. Instinktiv weicht sie einen Schritt zurück.

      »Nicht mitten im Sommer«, presst Ben zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er sieht sie an. Das Braun seiner Iris verdunkelt sich – ein sicherer Fingerzeig, dass seine Stimmung in die falsche Richtung kippt.

      »Ich kann dir schnell etwas anderes machen«, schlägt Lucy vor. Aber Ben ist bereits aufgestanden und fährt sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Er kann ihre Angst förmlich riechen.

      »Bitte nicht«, flüstert sie. »Denk an die Kinder.«

      »Nein«, flüstert Ben zurück. Beinahe zärtlich streicht er eine ihrer widerspenstigen Haarsträhnen aus der Stirn. »Daran denke ich gerade ganz sicher nicht.«

      Lucy weiß nicht, welchen der weinenden Zwillinge sie zuerst auf den Arm nehmen soll. Sie wendet sich Julian zu und legt ihn in die Wiege neben dem Sessel, den sie zum Stillen ins Kinderzimmer gestellt hat. Dann holt sie Levi aus seinem Gitterbett, dessen verzerrtes Gesicht mittlerweile eine bedenklich purpurne Farbe angenommen hat. Stöhnend sinkt Lucy mit ihm in die weichen Polster. Als ihre intimste Stelle mit der Sitzfläche in Berührung kommt, durchzuckt ein stechender Schmerz ihren Unterleib. Die Binde, die sie sich notdürftig in den Slip geschoben hat, um den Blutfluss aufzufangen, reibt über gerissene Haut. Mit der freien Hand streicht sie über Julians Wange und es dauert nicht lange, bis das Schreien nachlässt. Lucy betrachtet ihren Sohn in der Wiege und trotz der unerträglichen Lebensumstände muss sie lächeln. Julian ist der Stärkere von beiden, ein wenig Kontakt reicht ihm oft aus, um sich zu beruhigen. Ein Verhalten, das bei Levi undenkbar ist – der kuschelt sich zufrieden an den warmen Körper seiner Mutter, ohne dessen Nähe er die Nacht vermutlich durchschreien würde. Sein gleichmäßiger Herzschlag pegelt auch Lucys Puls nach und nach auf ein erträgliches Maß herunter. Sie bettet ihre Wange an sein Köpfchen und schließt die Augen. Kurz bevor sie einnickt, nimmt sie die Feuchtigkeit wahr, die sich in dem weichen Kopfflaum ihres Sohnes angesammelt hat. Mit einem Ruck ist Lucy hellwach und starrt das Rinnsal an, das ihm seitlich die Schläfe hinunterläuft. Im Dämmerlicht der Nachttischlampe ist die Farbe der Flüssigkeit schwer definierbar, die langsam in das Gewebe des hellen Stramplers sickert. Die dunklen Ringe schließen einen Schwall ausgespuckter Milch jedoch aus. Lucy nimmt mit der Fingerkuppe eine Probe und hält sie direkt unter den Lampenschirm. Blut! Wo kommt das her? In ihr wummert ein dumpfer Schmerz, hämmert von innen gegen die Schädeldecke, als wolle er sie mit Gewalt durchbrechen. Ihr Kopf schnellt in Richtung Tür. Sie hat sie abgeschlossen! Ganz sicher hat sie die Tür vorhin abgeschlossen! Doch das Licht, das durch den schmalen Spalt ins Kinderzimmer dringt, straft diese Überzeugung Lügen. Kalter Schweiß bildet sich auf Lucys Stirn, als ihr die Bedrohlichkeit der Situation vollends bewusst wird. Nahezu bewegungsunfähig im Sessel, mit Levi auf der Brust und Schmerzen in jeder Faser ihres Körpers – einen schöner angerichteten Präsentierteller könnte sie ihrem Ehemann kaum liefern. Vorsichtig tastet sie erst den Kopf ihres Sohnes, dann ihren eigenen ab. Der Kleine scheint unversehrt, sein Atem geht ruhig und gleichmäßig. Ihre eigenen Berührungen dagegen fühlen sich fremd an. Das, was sie dort ertastet, stimmt mit der Erinnerung an ihr Spiegelbild vom Morgen nicht überein. Die linke Gesichtshälfte ist angeschwollen und der Ursprung des Blutstroms schnell ausgemacht: Wo normalerweise eine fein geschwungene Augenbraue platziert ist, fährt ihre Hand über auseinanderklaffendes Gewebe. Levis kleine Faust krallt sich in ihre zerrissene Bluse, als wolle er seine Mutter nie wieder gehen lassen. Stöhnend steht Lucy auf und legt ihn zurück in sein Gitterbettchen. Beim Anblick der blutverklebten Babyhaut kann sie die unterdrückten Tränen kaum zurückhalten. So schnell ihr Zustand es zulässt, verschließt sie die Tür und schiebt den Sessel davor. Nichts und niemand wird sie in dieser Nacht mehr aus dem Zimmer bewegen. Als Toilette wird das Töpfchen herhalten müssen, das sie für die Kinder besorgt hat. Zugegeben, etwas verfrüht für Babys im Alter von wenigen Monaten, aber das Bedürfnis nach rechtzeitiger Vorsorge liegt nun einmal in ihren Genen. Sie ist immer überzeugt davon gewesen, dass sich jeder mit strukturierter Planung auf alle Eventualitäten vorbereiten kann. Erst die Ehe mit Ben hat ihr gezeigt, dass dies nichts als reine Illusion war. Ein rosaroter Wunschtraum – ein Netz aus Sicherheit, das nie wirklich existiert hat. Zurück im Sessel lehnt

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