Drei Wünsche. Ted McRied
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Lucy schaut zur Wanduhr. Bunte Teddybären toben über das Zifferblatt und lassen die düstere Realität unwirklich erscheinen. Es ist kurz nach sechs. Um diese Zeit liegt Ben normalerweise noch im Bett. Zwar kommt er abends erst spät nach Hause, aber in der Früh ist er nicht vor neun im Büro. Lucy stößt einen erstickten Seufzer aus. Es hilft alles nichts: Sie muss etwas unternehmen. Der Sessel, der ihr die Nachtstunden über als Schutzschild gedient hat, bewegt sich nur schwer von der Stelle und ihre Kräfte sind am Ende. Vorsichtig streckt sie den Kopf zum Flur hinaus. Die Tür ihres Schlafzimmers liegt genau gegenüber, doch trotz der unüberhörbaren Alarmstimmung ist diese geschlossen. Schnell zieht sie die Kinderzimmertür ebenfalls hinter sich zu und verschließt sie sorgfältig. Bloß kein Risiko eingehen! Es ist nicht absehbar, wie weit Bens dunkles Potential reicht. Wer seine Ehefrau in diesem Ausmaß misshandelt, macht irgendwann auch vor dem Nachwuchs keinen Halt mehr. Und die Sicherheit ihrer Söhne steht für Lucy an höchster Stelle. »Ich bin gleich wieder da, ihr Süßen«, flüstert sie, wohl wissend, dass weder Levi noch Julian ihre Stimme von hier aus hören können. Sie schleicht zum Treppenabgang, der ins Erdgeschoss führt. Die Stufen knarren leicht unter ihren Füßen, was vom gedämpften Weinen der Kinder bizarr untermalt wird. Das Haus ist alt, aber aufwendig saniert worden, bevor sie es im letzten Jahr gekauft haben. Ein Traum im modernen Landhausstil, genau so, wie Lucy es sich immer gewünscht hat. Hätte sie nur im Entferntesten geahnt, wie hoch der Preis dafür am Ende sein würde – niemals wäre sie bereit gewesen, ihn zu zahlen. Auch wenn sie die Zwillinge über alles liebt und sie um nichts in der Welt hergeben würde, verflucht sie den Tag, an dem sie Ben begegnet ist. Den Tag, der ihr sorgenfreies Leben für immer beendet hat. Wie sehr sehnt Lucy sich nach ihrer kleinen Gartenwohnung zurück, die sie sich mit Kitty geteilt hat. Kurz nachdem ihre Schwangerschaft offiziell bestätigt war, wurde die Katzendame überfahren. Ihre Nachbarin fand sie zwei Straßen weiter im Rinnstein, weggeworfen wie ein ausgedienter Putzlappen. Damals glaubte Lucy an einen tragischen Unfall, heute nicht mehr. Dafür kennt sie Ben inzwischen zu gut. Vor dem Vorfall hat er sich sehr angeregt mit ihrem Gynäkologen über das Thema Toxoplasmose unterhalten. Eine Infektionskrankheit, die von Katzen übertragen und dem Ungeborenen gefährlich werden kann. Er hat Tiere schon immer gehasst und Kitty insbesondere. Die Kinder dagegen wollte er unbedingt. Als sie dann aber auf der Welt waren, war es vorbei mit seinem Interesse am Familienleben. Wie hat sie sich nur so in ihm täuschen können?
Zwischen Lucys Beinen wird es nass. Bevor das Blut sich auf den hellen Holzdielen verteilen kann, biegt sie ins Bad ab. Das Weinen ist leiser geworden, begleitet sie aber immer noch wie eine Hintergrundmusik. Sie reißt einen Stapel Binden aus dem Regal und öffnet den Reißverschluss ihre Hose. Allein das Gefühl, wie der Stoff die Beine hinabgleitet und ihren Unterleib freilegt, zerrt alle Erinnerungen an die vergangene Nacht brutal zurück ans Tageslicht. Die Übelkeit wird übermächtig. Lucy klappt den Toilettendeckel hoch, fällt auf ihre Knie und lässt der Natur freien Lauf. Die Anstrengung treibt ihr Tränen in die Augen und ihre Zunge ertastet einen stumpfen Belag auf den ebenmäßigen Zähnen – der bittere Nachgeschmack wird sie noch eine Weile begleiten. Mühsam rappelt Lucy sich auf. Der Weg vom Bad bis in die Küche erscheint unüberwindbar, aus ein paar Yards wird eine schier endlose Strecke. Ihre Beine zittern, als wäre sie einen Marathon gelaufen, trotzdem erfüllen sie wider Erwarten ihren Zweck und bringen sie ans gewünschte Ziel. Vor dem Fenster bleibt Lucy stehen. Helle Streifen ziehen sich über den Horizont, die Morgendämmerung verspricht einen weiteren perfekten Spätsommertag.
Sie schenkt sich ein großes Glas Wasser ein, aber auch die kühle Flüssigkeit kann ihrer geschundenen Speiseröhre keine Linderung verschaffen. Gerade als sie das Milchpulver aus dem Schrank holt, knallt es im ersten Stock. Einmal, zweimal. Das dritte Mal erweckt den Eindruck, jemand wolle eine Wand zum Einsturz bringen. Lucy schreckt zusammen, wobei sie das Wasserglas mit dem Ärmel streift und von der Ablage wischt. Es schlägt auf den Boden, Scherben spritzen rund um ihre Füße. Die transparenten Splitter gehen konturlos in die Holzmaserung der Dielen über wie ein Chamäleon, das sich umgehend an seine neue Umgebung anpasst. Wie gerne würde Lucy diese Fähigkeit übernehmen und einfach von der Bildfläche verschwinden, das wäre die optimale Lösung für all ihre Probleme. Sie horcht auf. Etwas hat sich verändert. Es dauert ein paar Sekunden, bis die Antwort in ihrem Bewusstsein ankommt: Im Haus ist es still. Der Kühlschrank brummt für Lucys Empfinden lauter als ein Presslufthammer und stellt die einzig verbliebene Geräuschquelle dar. Die plötzliche Ruhe ist … nicht gut. Levi und Julian haben Hunger. Warum pochen sie nicht weiterhin lautstark auf ihr Recht? Wie in Trance stellt sie den Wasserkocher an. Während dessen Inhalt sich langsam erhitzt, geht sie die Stufen zurück nach oben. Ihr Herz treibt sie zum Rennen, aber der dazugehörige Körper bremst jeden weiteren Schritt gegen ihren Willen ab. Immer wenn Ben sich an ihr vergreift, hat sie Angst. Doch das ist rein gar nichts gegen das Gefühl, das sie nun überkommt. Das an ihren Grundfesten zerrt wie ein Sturm an einem fest verwurzelten Baum. Eine Vorahnung, die nicht Wirklichkeit werden darf, flackert vor Lucys innerem Auge auf. Sie wird schneller, hastet zwei Stufen auf einmal nehmend hinauf, ohne Rücksicht auf ihre physischen Beeinträchtigungen. Zum Ausruhen ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Das Schreien setzt wieder ein. Levi! Dem Himmel sei Dank! Nur er ist in der Lage, von null auf hundert solche hohen Töne anzustimmen. Noch nie hat sein Gebrüll in Lucys Ohren so wunderschön und melodiös geklungen.
Die Kinderzimmertür weist schwere Dellen auf und ein langer Riss zieht sich quer über den weißen Lack. Lucy schiebt den Stuhl beiseite, der Ben offensichtlich als Rammbock gedient hat. Eines der Metallbeine ist grotesk verbogen, doch das könnte sie in diesem Moment nicht weniger interessieren. Ihr Fokus ist ganz auf die hilflosen Wesen gerichtet, die verzweifelt nach ihrer Anwesenheit verlangen. Langsam drückt sie die Klinke herunter. Abgeschlossen! Lucy atmet auf. Dann hat Ben keinen Zweitschlüssel zu dem Raum gehabt, sonst hätte er jetzt nicht versucht, die Tür aufzubrechen. Aber wie kann sie dann in der Nacht plötzlich offen gestanden haben? Ist Lucys Erleichterung darüber, ihre Kinder unversehrt zu sehen, so groß gewesen, dass sie die Tür selbst nicht richtig zugesperrt hat? Niemals wieder darf sie so nachlässig sein!
Haben die Bodendielen hinter ihr geknarrt? Ohne sich herumzudrehen, hält Lucy inne. Ihre Hand krallt sich so fest um den Schlüssel in ihrer Hosentasche, dass die Fingernägel sich gnadenlos in ihre Handfläche graben. Ein weiterer Knall lässt sie aufschreien. Dieses Mal ist es von unten gekommen. Sie läuft zum Treppenabgang und schaut über das Geländer in den Eingangsbereich hinab. Durch das milchige Glasfenster im oberen Teil der Haustür kann sie den von außen angebrachten Blütenkranz erkennen. Er schwingt gleichmäßig hin und her. Kein Zweifel: Diese Tür ist eben ins Schloss gefallen. Ben ist weg.
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