Briefe an Lisa. Björn Haid
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Ich stellte diese Ausdrücke jedoch nie wirklich in Frage.
Nun ja, vielleicht doch, wenn ich mich recht erinnere, hatte ich im Laufe meiner Jugendjahre immer mehr versucht den Vorstellungen meines Vaters zu entsprechen.
Davon jedoch später mehr.
Es war der 2. April 1923 als mein Großvater aufgebracht nach Hause kam und berichtete, dass sein guter Freund, Herr Rosental heute nicht in seinen Laden kam um, so wie jeden Montag eine Lieferung seines selbstgebrauten Bieres zu bringen, welches die Kunden meines Großvaters so schätzten.
Er konnte es nicht verstehen, dass ein so zuverlässiger Mann, wie der Rosental auf einmal nicht mehr gekommen war um seine Ware zu bringen.
Dies könne nur mit einer plötzlichen Krankheit Rosentals einhergehen, anders sei dies nicht zu erklären.
Großvater meinte er würde für die Gesundheit des treuen Rosentals beten und hoffte am folgenden Tage irgendein Lebenszeichen von ihm zu bekommen. Eine ganze Weile irrte Großvater im Haus einher und verfluchte die Zeit in der wir lebten.
Nun, da es nun endlich wieder einen Aufschwung seit dem letzten Krieg geben würde, gehe ihm das Bier aus und der Rosental wird Krank ohne seine Erlaubnis oder zumindest ohne vorherige Information an seine Abnehmer.
Das ginge so auf keinen Fall.
Was wenn jeder so eigennützig wäre, das System wäre gefährdet.
Höchst gefährdet.
Dann wieder drehte sich Großvater im Kreise und jammerte, dass Herrn Rosental auf Gottesgeheiß doch wohl nichts zugestoßen sei.
Großmutter beruhigte ihn.
„Morgen wird er wieder da sein, du wirst schon sehen. Morgen ist alles wieder gut.“
Etwas beruhigt setzte sich Großvater auf sein Kanape, lagerte die Füße hoch und begann, wie jeden Abend, nach langer Arbeit, seine große Zeitung aufzuschlagen. Dies tat er jedes Mal mit demselben Ritual, mit geschlossenen Augen und dem Kopf nach oben gestreckt und dem Anruf beim Herrgott persönlich, dass nichts Schlimmes wieder passiert sein möge.
Großvater hatte noch nicht einmal die ersten Zeilen gelesen, da sprang plötzlich die Türe auf.
Mein Vater stand im Rahmen, erhob seinen rechten Arm und rief irgendein Gewäsch, zumindest nannte es Großvater so, als er auf ihn zusprang, die Türe hinter Vater zu riss und ihn einen Taugenichts nannte, der jeder kleinen Kummerfliege nachrennen würde, sollte die ihm irgendeinen Gewinn versprechen für sein Nichtstun.
„Endlich wagt es einer die Wahrheit zu sagen!“, rief er, mit noch immer erhobener, doch sichtlich von Großvaters Tat auf seinen Überfall erschrockener Mine. „Endlich!“
Er hielt ein Flugblatt in der Hand, welches ihm Großvater sofort aus der Hand riss um es zu lesen.
„Bist du des Wahnsinns?“ schrie Großvater, während er wütend mit dem Papier in seiner Hand herumfuchtelte, „solche Parolen, solche Hetzschriften kenne ich nur zu gut“!
Mit gekonntem Schwung warf er das Blatt ins Feuer.
Glutrot flackerte es im Ofen.
„Du wirst eine solche Bewegung nicht aufhalten können! Du und dein kleinkariertes Krämertum, du nicht und auch deine Judenfreunde nicht!“
Dann drehte sich Vater im Schritt, öffnete die Eingangstüre mit einem kräftigen Ruck, so dass ein Windstoß das letzte Stückchen des Flugblattes aus dem Feuer fegte, welches sanft auf dem Holzboden landete, schritt hinaus und schmiss die Türe wieder hinter sich zu.
„Kauft nicht vom Jud...“ der Rest war Opfer der Flammen geworden.
Großvater nahm das Blatt, setzte sich wieder, als Großmutter, des lauten Lärmes wegen aufgebracht ins Zimmer kam.
„Woher hat der Junge nur diese Dummheiten?“
Murmelte Großvater und ich könnte schwören ich konnte eine Träne in seinen Augen sehen. Großmutter lächelte ihn an, setzte sich neben ihn, streichelte über seinen Rücken und sagte dabei kein Wort.
Wie Großvater berichtete war Rosental am darauffolgenden Tage auch nicht erschienen und auch nicht die Woche darauf.
Rosental war verschwunden und das blieb er auch weiterhin.
Kein Lebenszeichen, keine Nachricht, nichts.
Die Tage vergingen und Vater pflegte nun immer sehr lange außer Haus zu bleiben und erst spät nachts, meist begleitet von einer Fahne billigen Alkohols, wieder nach Hause zu kommen.
In den kommenden Wochen brachte Vater, während sich Großvater um seinen Laden kümmerte, immer wieder verschiedene Männer mit nach Hause. Diese diskutierten dann den ganzen Tag, oft bis spät in die Nacht hinein.
Das zog sich eine ganze Weile so.
Während sich die Männer unterhielten blieben Mutter und Großmutter der Stube fern und bereiteten das Essen zu. Oftmals so ausgedehnt, dass sie es ja kein einziges Mal wagen mussten in die Stube zu kommen.
Meinem Großvater wurde hiervon nichts berichtet.
Das Essen wurde, wie immer um achtzehn Uhr dreißig serviert, eben dann, wenn Großvater sein Geschäft geschlossen hatte und seinen Weg nach Hause getan hatte.
Es war ein Freitag im Mai, als angekündigt wurde, dass eine Versammlung vor der Nepumukkapelle stattfinden würde, welcher Vater unbedingt beizuwohnen gedachte.
Er wünschte sich auch die Teilnahme seiner Frau und seines Sohnes, denn nur dort würde die freie Welt endlich die absolute Wahrheit sprechen und auch wir würden diese erkennen.
Großvater war strikt dagegen, dass Mutter und ich auch mitkommen würden. Er, mein Vater, habe sein Leben ja eh schon verschrieben und somit weggeworfen, das müsse er nun nicht auch noch seinem Kinde antun, und damit der ganzen Familie.
Es entbrannte ein lauter Streit, bei dem Vater Großvater als Judenfreund, Miesepeter und Hetzetreiber beschimpfte.
Dann wurde ich auf mein Zimmer geschickt ohne zu wissen was an einem Judenfreund so schlimm sein sollte.
Nur an Vaters Stimme konnte ich den Unterton der Beleidung erkennen.
Wir nahmen alle an der Versammlung teil.
Großvater nicht.
Heute kann ich mich nicht mehr an die Worte, der dort lautstark schimpfenden Sprecher erinnern, wahrscheinlich möchte ich das auch gar nicht.
Ich weiß nur mehr so viel: Mein Vater war begeistert.
Er strahlte über das ganze Gesicht.
„Ja genau!“ und „Richtig!“ waren die Worte die an jenem Nachmittag ständig über seine Lippen kamen. Seine Worte bekräftigte er mit einer wütenden Faust, die er über seinen Kopf