Briefe an Lisa. Björn Haid

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Briefe an Lisa - Björn Haid

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schließlich war es doch das, was ein heranwachsender Jugendlicher wollte, seinem Vater gefallen.

      Ich muss zugeben, dass mich seine Begeisterung auch irgendwann ansteckte.

      Wir hatten das Haus am Fuße des Pfänders verlassen.

      Meine Großeltern waren jedoch dortgeblieben. Meine Eltern meinten, dass es im Sinne der Partei sei, wenn wir uns auf den Anschluss vorbereiten würden.

      Eben genau das, was auch die Schreihälse bei den Veranstaltungen immer sagten.

      Und ich zum damaligen Zeitpunkt nicht verstanden hatte, und Großvater, wie Vater meinte, wohl nie verstehen würde.

      Manchmal hatte ich das Gefühl, dass meine Eltern gar keine eigene Meinung mehr hatten, falls sie diese je hatten, nun war sie vollends verfolgen.

      Und zunehmend merkte auch ich bei mir selbst, dass dies mit mir geschah.

      Oft dachte ich an meine Großeltern, doch diese wurden von uns nur sehr selten besucht. Auch Großvaters Krämerladen mieden wir und kauften nur mehr in einem Laden eines gewissen Herrn Braun ein, welcher auch immer über die neuesten Nachrichten verfügte und alle nur wünschenswerten Zeitungen druckfrisch aufgelegt hatte.

      Im Herbst, ich weiß heute den Monat oder gar den Tag nicht mehr, beschlossen meine Eltern nach München umzuziehen. Die Distanz sei nicht weit, man könne immer wieder zurück, und man könne ja die Großeltern besuchen, wenn es die Zeit zuließe, und man sei doch der Partei verpflichtet. Zumindest wäre man so näher beim Führer und könne den Wandel der Zeit wahrhaftig mitverfolgen.

      Weihnachten 1934 feierten wir in einer kleinen, angemieteten Wohnung in Unterhaching bei München.

      Der Vermieter war ein mürrischer Mann.

      Nicht groß gewachsen und wirkte, zumindest auf mich, recht unsympathisch.

      Vater fuhr täglich mit der Tram nach München Stadt. Er wüsste, so sagte er fast täglich, dass es viel zu tun gäbe für die Partei, und dass Menschen wie wir es sind hier nur allzu gerne gesehen werden.

      Großvater geriet immer mehr in Vergessenheit.

      Auch Großmutter und das Haus am Pfänder.

      Meine Erinnerungen an die großen Erzählungen, welche ich als Kind so geliebt hatte, und mich in Gesundheit und Krankheit begleiteten und nie alleine ließen, verblassten immer mehr, bis ich mich schließlich gar nicht mehr an meine Helden aus meinen Kindheitstagen, in meinen geliebten Büchern erinnern konnte, und diese nur mehr verblassende Schatten meiner Vergangenheit waren.

      Auf Wunsch meines Vaters schloss ich mich der Hitlerjugend an.

      Mein Vater drängte darauf, da es sich für einen anständigen Deutschen gehöre.

      Zudem sei dies ja Parteipflicht.

      Und Parteipflicht war Gesetz!

      So tat ich wie mir geheißen.

      Neben der Schule und der HJ hatte ich kaum noch irgendwo zu Zeit. Ich verbrachte meine Tage mit der Lehre der Rassen und weltanschaulichen Schulungen, vor allem an Heimnachmittagen, meist mittwochs und mit Sport, welcher sich vor allem daran ausrichtete richtig mit einem Gewehr umzugehen.

      Dies vor allem samstags.

      Zunehmend bemerkte ich den Stolz meines Vaters, da ich kein kleiner kränklicher und schwächlicher kleiner Junge mehr war, sondern zu einem Manne heranwuchs.

      Dies sei, so meinte Vater, einzig und allein der Partei zu verdanken. Denn ohne jene hätte ich nie im Leben selbst Sport betrieben und mich entsprechend den Lehren der NSDAP weitergebildet.

      Es sei eine Schande, und dafür gebe er sich selbst die meiste Schuld, dass er mich so lange bei seinen liberalen Eltern hatte aufwachsen lassen, welche mich verweichlicht hätten und zu sehr mit befremdlichen Gedanken – damit meinte er meine geliebten Bücher, welche ich von den Großeltern geschenkt bekam – gefüttert hätten.

      So hätte ja nie ein Mann aus mir werden können.

      Zum Glück, oder eher Gott- oder noch mehr Partei-sei-Dank habe er mich aus ihren über-liberalen Fesseln durch eigene Kraft befreien können.

      Nur Gott allein (oder die Partei) wüsste sonst was aus mir geworden wäre, sicherlich aber kein guter Mensch.

      Und schon gar kein richtiger Mann!

      Meinen 15. Geburtstag feierten wir – auf meinen ausdrücklichen Wunsch – und auf Vaters ausdrücklichen Widerwillen – bei meinen Großeltern.

      Beinahe ein ganzes Jahr hatte ich die Beiden nun nicht mehr gesehen, und mir wurde richtig warm ums Herz, als mich meine Großmutter in den Arm nahm.

      Großvater kam sehr spät nach Hause.

      Er begrüßte mich überschwänglich, und ich war so unbeschreiblich glücklich ihn wieder zu sehen.

      Vater und Großvater nickten sich nur zu, wie zwei Fremde, kein Lächeln auf den Lippen.

      Sie sprachen auch während unseres gesamten Aufenthaltes nicht miteinander.

      Großmutter erklärte mir, dass es nur damit zu tun habe, dass sie sich nicht streiten wollten, und dieses Schweigen von Beiden nur gut für uns alle sei.

      Zu meinem Erstaunen hatte sich Großvater sehr verändert.

      Er hatte sich einen Bart wachsen lassen.

      Sein Gesicht war über uns über mit Haaren bedeckt.

      Man könnte beinahe meinen der Nikolaus höchstpersönlich stünde vor einem.

      Und abgenommen hatte er auch.

      Stark sogar.

      Wenn ich heute darüber nachdenke, wäre ich sogar geneigt zu sagen, er bestand nur mehr aus Haut und Knochen. Aus dem einstigen, mir so vertrauten Wirbelwind war ein leises Lüftchen geworden.

      Die Sorgen stünden ihm ins Gesicht geschrieben meinte Mutter zu meinem Vater und ob dieser sich nicht nun endlich wieder aussöhnen wolle, mit seinem eigenem Vater.

      „Nur, wenn dieser alte Idiot endlich zur Wahrheit steht!“ hatte er gemeint, und glaubte dabei meiner Mutter zuzuflüstern, ich bin mir aber sicher, dass jeder im Raum ihn gehört hatte.

      Großvater sagte nichts.

      Er lächelte nur gequält in meine Richtung.

      In seinen Augen konnte ich erkennen, dass er Schmerzen empfand.

      Ich erzählte ihm von der Hitlerjugend, vom Sport den ich nun machte, von meinen Erfolgen, davon, dass mein Vater mich immer mitnahm, und mich mit Stolz seinen Kameraden, oder wie er sie nannte, seinen Volksgenossen, vorstelle.

      Doch ich hatte nicht den Anschein, als würde ihn das erheitern, vielmehr plagte mich das Gefühl, dass ich ihn damit belasten würde, sobald ich es ausgesprochen hatte, denn er lächelte nur gezwungen, nickte mit dem Kopf und sagte kein Wort dazu. Der Glanz

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