Schlussakt. Joana Goede
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Madeleine parkte vor einem großen Haus, in dem wohl mehrere Ärzte ihre Praxen hatten, denn die Wand neben der Tür war voll von Schildern, die auf verschiedene Gebiete der Medizin verwiesen. Der Doktor, den ich aufsuchen sollte, war im dritten Stock. „Ich komme mit und warte im Wartezimmer“, sagte Madeleine und hatte das Gebäude schon betreten, bevor ich ihr widersprechen konnte. Na schön, dachte ich, wenn sie gerne möchte.
Wir waren eine Viertelstunde zu früh da, und mussten noch eine Weile warten, bis ich ins Sprechzimmer gerufen wurde. In dieser langen Zeit fühlte ich mich in der Annahme bestätigt, dass in Wartezimmern hauptsächlich Zeitschriften über Pferde, Autos und den neusten Klatsch über irgendwelche Prominente auslagen. Ich konnte mit keinem dieser Themen auch nur im Mindesten etwas anfangen. So war ich fast schon erleichtert, als ich im Sprechzimmer auf einem gemütlichen Stuhl, wider Erwarten keinem Sofa, Platz nehmen konnte, und mich einem älteren Mann mit weißem Bart und weißen Haaren gegenübersah, der mich musterte, wie eine Elster einen goldenen Ohrring. Er erinnerte mich etwas an den Tierarzt, der die Kätzchen untersucht hatte und ich fühlte mich gleich herausgefordert. Auf diese Art und Weise wollte ich mich nicht behandeln lassen.
Zu Beginn befragte er mich nur zu unwichtigen Dingen wie Name, Adresse und ähnlichem. Ich bemühte mich beim Antworten möglichst normal zu wirken.
Dann wurde ich aufgefordert, etwas über mich selbst zu erzählen und ich schwieg eine Weile, bevor ich begann über meine Kätzchen zu erzählen und meine Vorliebe für Bücher.
„Würdest du dich selbst als verschlossen bezeichnen?“, fragte der Mann und beobachtete meine Reaktion. Madeleine hatte also schon berichtet, was das Problem war. „Ich rede nur nicht sehr gern. Ich war schon immer sehr ruhig“, antwortete ich und beobachtete nun seine Reaktion. Aus seiner Miene sprach die berufliche Gleichgültigkeit eines Menschen, der tagtäglich Fälle wie mich behandelte. Fälle, die eigentlich keine sein wollten.
„Du hast einen sehr ausgefallenen Namen“, stellte der Psychologe fest. Ich nickte. „Wie bist du denn dazu gekommen?“, erkundigte er sich mit geheucheltem Interesse und ich starrte ihn düster an, weil ich es natürlich nicht wusste, nicht wissen konnte. Es war immer einer meiner größten Wünsche gewesen, endlich zu erfahren, warum man mir einen solchen Namen gegeben hatte und warum er so gut zu mir passte. Wie gesagt, ich liebte Shakespeare. Er war für mich der beste Schriftsteller, der je gelebt hatte und leben würde.
„Würdest du sagen, dass der Name zu dir passt?“, ging es mit der Fragerei weiter. Ich überlegte einen Moment und erzählte schließlich von meinem berühmten Namensvetter aus Shakespeares „Romeo und Julia“, der sich immer um die Schlichtung des Streits bemühte und sehr ruhig und ausgeglichen wirkte. Ich meinte, dass ich mich vielleicht ein wenig bemühte, mich so zu verhalten wie er. Allerdings verschwieg ich, was ich wirklich dachte, nämlich, dass dieser andere Benvolio in seiner Funktion versagte. Wie das Stück ausgeht, wissen wir alle.
Danach starrte ich aus dem Fenster und betrachtete die Hauswand gegenüber, deren Weiß schmutzig und an mehreren Stellen abgebröckelt war. Jetzt hatte ich schon mehr erzählt, als ich es bei jedem anderen getan hätte. Nun war es gut.
Der Psychologe bekam nun nichts mehr aus seinem Patienten heraus. Ich hatte abgeschaltet, antwortete nur noch einsilbig und vermied es den Arzt direkt anzusehen. Ich hatte genug davon, ausgefragt zu werden. Von da an begann ich mir häufiger die Nase zu putzen und entschuldigte mich damit, dass ich mich erkältet hätte. In Wirklichkeit war es eher mein Arm, der mich störte. Wahrscheinlich bildete ich mir nur ein, dass er wieder mehr angeschwollen war, aber ich wollte nun nach Hause zurück. Ich fühlte sich nicht wohl, wenn alle Aufmerksamkeit auf mich gerichtet war. Außerdem fürchtete ich ein Kreuzverhör dieses Mannes. Er schien mir ein guter Inquisitor sein zu können. Vermutlich war das seine eigentliche Berufung, er hatte sie nur noch nicht erkannt.
Als die fünfundvierzig Minuten um waren und ich endlich das Zimmer verlassen konnte, sagte der freundliche ältere Mann: „Bis zum nächsten Mal.“
Ich wurde böse. Schließlich hatte ich hier nichts zu suchen, ich war nicht verrückt. Ich brauchte niemanden, der mich aushorchte und versuchte, mir meine tiefsten Geheimnisse zu entlocken. Eine tickende Zeitbombe war ich auch nicht. Ich wollte schließlich nur meine Ruhe, doch das schien absolut unnormal zu sein. Ohne ein weiteres Wort verließ ich die Praxis und stürmte die Treppen hinunter. Unten wartete ich neben dem Auto und lehnte mich an die Beifahrertür. Ich war bereit für einen Kampf.
Madeleine folgte einige Minuten später und stellte sich mir gegenüber auf den Bürgersteig. „Was sollte das?“, fragte sie und bemühte sich, ruhig zu bleiben. „Du bist kein kleines Kind mehr, Ben, ich dachte du wüsstest das!“ Ich starrte sie nur beleidigt an.
„Dein nächster Termin ist am Dienstagnachmittag, ich möchte, dass du da hin gehst!“
Ich schüttelte stumm den Kopf. „Kannst du mir nicht einmal vernünftig antworten? Ich weiß doch, dass du sprechen kannst, warum sprichst du nie mit mir?“, rief sie und durchbohrte mich mit bitteren und enttäuschten Blicken. Ich schwieg beharrlich, obwohl ich wusste, dass ich sie dadurch noch mehr verletzte. Aber ich wollte ihr nicht antworten. Ich wollte nicht immer zum Sprechen gezwungen werden, sondern es dann tun, wenn ich es wollte. Außerdem hätte sie die Antwort nicht verstanden.
Die Ohrfeige knallte. Ich steckte sie weg, ohne ein Wort zu sagen. Madeleine weinte, stand eine Weile steif vor mir und stieg dann ins Auto. Ich setzte mich neben sie, vermied aber sie anzusehen.
Schuldgefühle stiegen in mir auf. Ich hatte sie nicht traurig machen wollen, ich war auch eigentlich nie richtig böse auf sie gewesen, nur auf die Situation, auf mein ganzes Leben und auf all mein Pech, das seine Tentakeln in mich geschlagen hatte wie eine Seewespe. Es war nicht richtig, das an anderen Leuten auszulassen und schon gar nicht an Madeleine, die es wohl mit Abstand am wenigsten verdient hatte. Sie fuhr immer noch nicht los. „Es tut mir leid“, sagte ich leise und es dauerte eine Weile bis sie nickte. „Mir auch.“
Dann fuhr sie los.
Das war der schlimmste Streit, den wie je gehabt hatten, und ich war schuld gewesen, nicht sie. Sie konnte nichts dafür. Sie war nur verzweifelt. Doch ich konnte ihr einfach nicht sagen, was mich bedrückte, es ging einfach nicht. Und sicherlich würde es sie noch trauriger machen.
„Ich werde den Termin für Dienstag absagen“, sagte sie, als wir vor unserem Haus hielten. „Danke“, erwiderte ich, sonst nichts. Ich sprach den ganzen Tag nicht mehr, kein einziges Wort. Und sie fragte mich nicht.
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