Schlussakt. Joana Goede

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Schlussakt - Joana Goede

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angenehm, nach der chronisch sauerstoffarmen Luft in Räumen, wo sich viele Menschen tummeln. Immerhin hatte es aufgehört zu regnen, und so ging ich mit gesenktem Blick, um den kolossalen Pfützen auch rechtzeitig ausweichen zu können. Der Weg zum Auto erschien mir unnatürlich lang. Ich stolperte ungeschickt hinter meiner Schwester her, die einige Male stehen bleiben und auf mich warten musste. „Du musst unbedingt schlafen“, sagte sie und musterte mich misstrauisch, als ich mich ins Auto zwängte. „Du siehst nicht so aus, als könntest du ohne Hilfe stehen.“

      Ich nickte bedrückt. Da hatte sie ausnahmsweise einmal Recht. Eigentlich hatte ich gehofft, dass man mir meine Schwäche nicht so sehr ansehen würde, doch das war natürlich nur ein Wunsch ohne realistische Basis gewesen. Ein Gefühl, das einem praktisch die Beine unter dem Körper wegriss und eine Schwäche, die einem das Gehirn lahm legte, musste sichtbar sein, so etwas konnte ich nicht verstecken, so sehr ich mich auch bemühen mochte. Während der Fahrt sprachen wie wieder kein Wort. Ich fror vor mich hin und observierte den Straßenrand mit akribischer Genauigkeit, als wenn ich erwartete, etwas zu sehen, das mir die Lösung zu meinem Problem auf einem Silbertablett präsentierte. Es waren nur sehr wenige Autos unterwegs und natürlich überhaupt keine Fußgänger, aber vielleicht war es auch gut. Vielleicht hatte ich die Einsamkeit ja nötig, um wieder die Kraft zu sammeln, die ich benötigte, um mich in wenigen Monaten auf die Suche zu begeben. Wahrscheinlich würde sich alles in Luft auflösen, wen ich mein richtiges Leben fand und in es hineinschlüpfte, denn im Stillen hatte ich mich entschieden, den schwereren Weg zu wählen, von den beiden, die möglich waren, denn eines wusste ich sicher. Ein richtiger Fehler konnte es nicht sein, denn falsch waren schließlich beide Wege. Ich hatte also eine Chance von hundert Prozent das Falsche zu tun. Wann hat man schon einmal so ein Glück?

      Der verfluchte Zaun

      In dieser Nacht schlief ich wie ein Stein. Ohne Gefühle, ohne Gedanken, ohne Träume. Die Erinnerung an die Nacht war im Nachhinein nicht vorhanden. Ich legte mich hin, schloss die Augen, öffnete sie und da war er, der neue Morgen, einfach so. Und noch erstaunlicher war die Tatsache, dass ich mit einem Schlag hellwach war und mich überhaupt nicht erschöpft oder geschwächt fühlte. Als wäre ich aus einem Tagelangen Alptraum endlich erwacht, der mich solange terrorisiert hatte, bis ich sogar an meiner Vernunft zweifelte und an meiner geistigen Zurechnungsfähigkeit. Nun hing das alles wie ein schwarzer Schatten in der Vergangenheit, abgespeichert, als ein Hauch von böser Erinnerung, doch ohne den Wunsch, näher darauf einzugehen. Ich blieb eine Weile liegen, starrte an die Decke und ordnete meine Gedanken neu. Mein Entschluss stand noch immer Felsenfest, doch die Art und Weise, auf die man mir zu dieser Erkenntnis verholfen hatte, war mehr als fragwürdig und unangenehm. Diese Folter der Sinne, so hoffte ich, sollte möglichst nicht fortgesetzt werden, auch wenn sie mir wenigstens die Richtung gezeigt hatte, in die ich mich bewegen musste.

      Meine Bettdecke von mir werfend sprang ich auf und stellte erleichtert fest, dass mich weder Schwindel noch Migräne überfiel, nur der Hunger warf mich fast um. Meine Vergesslichkeit musste zugenommen haben. In einem Moment am vergangenen Abend hatte mich der Hunger noch gequält und ich hatte gedacht, dass es unaushaltbar sei, noch längere Zeit ohne Essen zu verbringen und im nächsten Moment war der Hunger einfach weg gewesen.

      Nun war er zurück und hatte mit ungebändigter Macht zugeschlagen, so dass ich schnellen Schrittes aus dem Zimmer stürzte und mir erst auf der Treppe auffiel, dass ich noch immer vollständig bekleidet war. Sogar meine Schuhe hatte ich noch an, nur die Jacke und den Schal musste ich gestern Abend abgelegt haben. Kurz blieb ich verwundert stehen, feststellend, dass in meinem Gedächtnis eine Lücke klaffte, die ich selbst durch intensives Nachdenken nicht würde schließen können, setzte meinen Weg dann dennoch fort und landete in der Küche. Die Uhr dort zeigte kurz vor Mittag. Madeleine war vermutlich arbeiten und wo Constanze war, interessierte mich im Augenblick nicht. Ich nahm mir soviel wie ich tragen konnte aus dem Kühlschrank und setzte mich mit Teller, Brot und allem, was sonst noch zu einem ordentlichen Frühstück gehörte, an den Küchentisch, faszinierend auf den unverhofften Reichtum an Nahrung blickend, die mir nun plötzlich zur Verfügung stand.

      Nachdem ich erfolgreich die Ereignisse der letzten Tage aus meiner Erinnerung verdrängt hatte, konnte ich mich auch endlich ganz meiner Speisenvielfalt widmen, wobei ich das weiße Hemd mit reichlich Marmelade und die schwarze Hose mit erstaunlich viel Milch bekleckerte, doch das verbesserte meine ohnehin schon erstaunlich gute Laune noch. Schließlich bot mir das einen Anlass, wieder in meine eigenen Sachen zu schlüpfen und die mir von meiner Schwester in einem Moment der alles überragenden Schwäche aufgezwungenen endlich abzulegen. Ich nahm mir vor, in der nächsten halben Stunde eine Verwandlung zu durchlaufen, die mich wieder zu meinem alten Ich zurückbringen sollte, dass nicht so sehr an sich selbst zweifelte, sondern eher an seinem Umfeld. Lange hatte ich mich nicht so erleichtert gefühlt, wie an diesem Morgen, denn alle Last der letzten Tage, schien von mir abgefallen zu sein, wie ein Tuch von meinen Augen, dass mir die Klarsicht verwehrt hatte. Das alles machte mich so glücklich, dass ich darüber einige Geschehnisse völlig vergaß, die sich allerdings als wichtig hätten erweisen können. Dieses Vergessen sollte den weiteren Verlauf meiner Geschichte noch bestimmen, doch so etwas lässt sich selbstverständlich immer erst im Nachhinein sagen. In diesem Augenblick war wirklich alles für mich in Ordnung, wäre da nur nicht dieser leichte, eiskalte Hauch von Ahnung gewesen, der sich nicht abschütteln, sondern nur auf unbestimmte Zeit verdrängen ließ. Es war noch nicht vorbei mit meinem Fluch.

      Die Kirche suchte ich an diesem Tage tatsächlich auf, und zwar unmittelbar nach dem Frühstück, und nachdem ich mich umgezogen hatte. Das Duschen schob ich auf, denn wenn ich aus der warmen Dusche in die winterliche Kälte getreten wäre, hätte ich vermutlich auf der Stelle alle Körperfunktionen eingestellt und wäre erfroren. Ich fühlte mich zwar unwohl, ungewaschen wie ich nun einmal war, doch daran ließ sich nun einmal im Augenblick nichts ändern.

      Eingehüllt in Mantel, Schal und Mütze trat ich schließlich aus dem Haus, nachdem ich mich eingehend mit den drei kleinen Kätzchen beschäftigt hatte. Die drei entwickelten sich großartig und ich war stolz wie ein Vater auf die Kleinen, die wie Kletten an mir klebten, sobald ich in ihrem Blickfeld auftauchte.

      Die Sonne war kaum zu sehen, denn der Himmel war fast vollständig mit grauen Wolken bedeckt, die unglaublich ungemütliche Nässe ausstrahlten und schon nach wenigen Metern wusste ich, dass es ein Fehler gewesen war, keinen Regenschirm mitzunehmen. Eigentlich wäre Schnee passender gewesen, denn er hätte meiner Umgebung, ergänzend zu der sibirischen Kälte, einen winterlichen Schimmer gegeben. Im Augenblick wirkten die dreckigen Matschhaufen an den Straßenrändern und die schwarzen Pfützen daneben eher wie der traurige Rest eines nicht zufrieden stellenden Weihnachtsfestes, und dieser Rest schmolz nun bekümmert vor sich hin, um auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Ich blieb vor einer besonders großen und hässlichen Pfütze stehen. Pfützen faszinierten mich seit einem bestimmten Moment im Biologieunterricht, in dem mir meine Biolehrerin einiges über die Bewohner von Pfützen berichtet hatte. Bis dahin hatte ich Pfützen immer für abgestandenes, totes Wasser gehalten, das sinnlos vor sich hin verdunstete und dann irgendwo wieder hinunter regnete. Doch mittlerweile wusste ich von faszinierendem Leben in den Pfützen. Denn dort lebten Geschöpfe, die zwar unheimlich klein, aber irgendwie auch unglaublich interessant waren, nämlich Pantoffeltierchen. Diese Pantoffeltierchen begleiten einen Schüler oft bis zum Abitur, denn sie werden immer wieder einmal als Beispiel für irgendetwas im Unterricht herangezogen. Das Interessante an Pantoffeltierchen war für mich, das mehrere Arten von ihnen in derselben Pfütze leben konnten, ohne sich gegenseitig auszulöschen. Das funktionierte, weil die eine Pantoffeltierchenart das Wasser an der Oberfläche bevorzugte und eine andere beispielsweise das Wasser weiter unten. Deshalb kamen sie sich nicht in die Quere. Ich stellte mir vor, dass es sich so auch mit meinem wirklichen Leben verhalten musste. Es war zwar ganz nah an meinem jetzigen dran, aber ich erkannte es nicht, weil ich es nicht sah. Und wie einem Pantoffeltierchen war es auch mir im Augenblick unmöglich, meinen Lebensraum zu verlassen und in einen anderen hineinzuschnuppern, da ich von meinem jetzigen abhängig war. Es bestanden also einige Parallelen zwischen

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