Schlussakt. Joana Goede

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Schlussakt - Joana Goede

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einem großen, kantigen Felsen, der wie aus dem Nichts direkt vor dem Schiff auftauchte, den Metall-Bug des Schiffes meterweit aufriss und alles zerschmetterte, als wäre es Glas. Es war nicht so, dass ich diese Szene besonders beunruhigend fand, denn im Gegenteil gehörte sie wohl zu den Harmlosesten im ganzen Film, doch das Unvorhersehbare und Erschreckende für mich, das mich hatte erschauern lassen, war, dass ich mit dieser Situation mitfühlte, als wäre ich dabei. Ich sah nicht nur das gerammte Schiff, nein, ich spürte die Erschütterung im ganzen Körper.

      Auf meiner Stirn brach der Schweiß aus. Was erlaubte sich meine Fantasie? War ich so übermüdet, dass sich die Fiktion mit der Realität vermischte? Auf dem Schiff setzte lautes Geschrei ein und alles rannte wild durcheinander, es entstand ein rücksichtsloser Kampf um die Rettungsboote, und ich schluckte bei diesem Anblick und hielt den Atem an. In diesem Moment, der nur einen winzigen Teil einer Sekunde dauerte, war ich mir sicher, dass ich genau diesen Augenblick miterlebte, nur der Zusammenhang war mir nicht klar. Selbstverständlich verschwand dieser Gedanke gleich wieder im Nichts, denn es war absolut utopisch, dass ich mich zugleich im Kino und bei einem so verheerenden Schiffsunglück befinden könnte, doch diesen Bruchteil der Sekunde war ich davon überzeugt, ich wäre es, wie und wo auch immer. Denn in dieser Zeit befand ich mich mitten in dem Geschehen auf der Leinwand, als hätte sie mich eingesogen und mir eine Rolle in dieser Geschichte gegeben, ohne mir die Möglichkeit zu lassen, abzulehnen.

      Zwar befand ich mich nicht wirklich körperlich in diesem Horrorszenario, doch mein Verstand schwitzte Blut und Wasser vor Angst, Todesangst. Ich spürte, wie ich von anderen flüchtenden Passagieren, die ihrem unglücklichen Tod entgegen rannten und sich verzweifelt in die Fluten stürzten, zur Seite gestoßen wurde und auf die harten Planken des Schiffes niederkrachte, was mir die Besinnung zu rauben drohte. Erstaunlich lange hielt ich mich zwischen Realität und Fiktion hängend in einem äußerst verwirrten Zustand, bis ich aus diesem Trauma erwachte und wieder in dem Kinosessel saß, einen Film anschauend, der mich nicht interessierte und den ich für ein Verbrechen an der Menschlichkeit hielt. Unwillkürlich tastete ich mit den Fingern meine Stirn nach einer Beule ab, von der ich überzeugt war, dass es sie geben müsse. Natürlich war sie nicht da. Wie sollte sie auch? Ich atmete schnell, wie nach schwerer, körperlicher Anstrengung und hätte meinen Kopf am liebsten auf die Sitzlehne vor mir fallen lassen. Müdigkeit ergriff von mir Besitz.

      Conclusio: Hier hatte meine Fantasie mir tatsächlich einen so mächtigen Streich gespielt, dessen Auswirkung auf meinen Körper ich mir nur durch den Schlafmangel erklären konnte. Ich konnte meiner Wahrnehmung folglich kein Vertrauen mehr schenken. Ohne meine Zustimmung war ich mit einer fiktionalen Welt kollidiert und ich hatte mich gerade noch aus ihr herausretten können, bevor sie mich verschluckte. Eine beängstigende Erfahrung, deren Erinnerung mich noch Wochen später in Alpträumen verfolgte.

      Die nächste Szene war um einiges grotesker, denn während ich mich dem Schiffsunglück unheilvoll und bedrohlich nahe gefühlt hatte, war der Angriff ganzer Armeen von skurrilen Seemonstern auf die verbliebenen Menschen auf dem Schiffswrack, die in abertausend Teile zerfetzt und zerrissen wurden, nur noch unglaubwürdig und in höchstem Maße abscheulich, so dass ich angewidert den Blick abwendete und stattdessen die Kinobesucher vor mir fixierte, oder besser gesagt, die Umrisse der Kinobesucher. Alle hatten ihren Blick auf die blutrünstigen Monster geheftet und schienen wie verzaubert von dem Anblick der zerfleischten Menschenmassen.

      Das war der Augenblick, in dem ich begann innerlich vor Wut und Unverständnis zu kochen. Diese absurde Aneinanderreihung von Ekel und Horror, die Mark und Bein erschütterte, verdiente nicht mehr meine Aufmerksamkeit. Dafür war ich mir zu fein. Constanze hin oder her, das konnte sie nicht von mir verlangen. Der Film war es weder wert, dass ich ihn anschaute, noch, dass ich auch nur einen Gedanken an ihn verschwendete. Ich warf einen Blick auf die Uhr und sah, der der Film in etwa einer dreiviertel Stunde enden würde. Eine Minute lang ging ich tief in sich, um festzustellen, ob ich genug Kraft geschöpft hatte, mir den Weg hinaus zuzutrauen. Dort konnte ich mich ja wieder hinsetzten und auf das Ende des Films warten. Constanze wirkte nicht so, als ob es sie stören würde, wenn ich den Saal verließe. Ich bezweifelte sogar stark, dass sie es bemerken würde, da sie gerade mit aufgeregtem Blick den Hauptdarsteller verfolgte, der, erstaunlicherweise, bislang ohne Verletzung davon gekommen war. Das hielt ich, angesichts der vielen verrückten Mörder, Monster und des untergegangenen Schiffes, für eine wahre Höchstleistung. Der Mann war ohne Zweifel unglaublich zäh und widerstandsfähig. So sah also der moderne Held aus. Nie stieß er an seine Grenzen. Ich wandte mich gelangweilt ab. So etwas Unglaubwürdiges! Sollte Constanze mich doch für verweichlicht halten, ich hielt schließlich auch nichts von ihrer Vorliebe für diesen grausamen Schund. Das wollte ich nicht mehr länger über mich ergehen lassen.

      Es dauerte eine Weile bis ich genug Vertrauen zu meinem Gefühl entwickelte, dass mir von Stärke und Kraft erzählte, die angeblich in meinen Körper zurückgeflossen war. Da ich mich also nicht mehr an dem Leid anderer weiden wollte, flüsterte ich Constanze zu, ich wolle draußen auf sie warten, und erhob mich leicht schwankend. Sie hatte nur durch ein leichtes Nicken auf meine Bekundung reagiert und schenkte mir keinen weiteren Blick, als ich mich durch die vollbesetzte Reihe in Richtung Ausgang schob. Soviel also zur Schwesterliebe.

      Es ging besser, als ich gedacht hatte, denn meine Beine hielten mich ohne übermäßig zu zittern und mir wurde auch nicht wieder so schwindelig.

      Nachdem ich mich die Treppe hinauf gekämpft und die Tür geöffnet hatte, erschien mir die Welt des Lichtes nicht mehr wie der Alptraum aus greller Künstlichkeit und geistiger Leere, den ich vorhin mit Mühe und Not verlassen hatte, sondern wie der rettende Ausweg aus der traumatischen Erfahrung Horrorfilm, die mich lehren sollte, mich nicht noch einmal auf etwas einzulassen, von dem ich schon vorher wusste, dass ich mich davor fürchtete, und dass es mir eine Reihe schlafloser Nächte bescheren würde, aber gewiss kein Vergnügen.

      In der Lichterwelt, die ich mit einem dankbaren Lächeln begrüßte, ließ ich mich auf einer Bank am Fenster nieder und starrte auf die vor Nässe glänzende Straße. Nur wenige Autos fuhren vorbei und es zeigten sich kaum Fußgänger in dem gelblichen Licht der Straßenlaternen.

      Bekümmert dachte ich an meine kleinen Kätzchen zu Hause, die ich in den letzten Tagen etwas vernachlässigt hatte, obwohl ich es nicht hatte tun wollen. Ich war gefangen gewesen in meiner eigenen Welt des Grübelns, doch das sollte jetzt ein Ende haben. Schließlich wusste ich, was zu tun war. Ich musste mich nur für eine meiner beiden Optionen entschieden, und um das zu tun, blieben mir immerhin noch einige Monate. Wenn ich zwischen den beiden gewählt hatte, würde ich klarer sehen, doch dies war keine Entscheidung, die von heute auf Morgen getroffen werden konnte. Immerhin hatte ich mich schon dazu entschlossen, mich jemandem anzuvertrauen und zu diesem Zweck wollte ich morgen Nachmittag die Kirche aufsuchen um mit dem einzigen zu sprechen, der mich verstand und der mir zuhörte. Zu Ihm hatte ich ein unerschütterliches Vertrauen, auch wenn ich mir keine ertragreichen Ratschläge erhoffte. Auch, wenn ich es dankend angenommen hätte, hätte mir jemand diese schwere Entscheidung abgenommen, wusste ich doch, dass es eine war, die ich selbst fällen musste, da es nur mich etwas anging und sonst niemanden, in gewissem Sinne noch nicht einmal Gott. Er hatte schließlich Familie, zumindest einen Sohn. Außerdem war der ganze Himmel sicherlich bis zum Bersten gefüllt mit freundlichen Menschen, also fühlte man sich da oben gewiss nicht allein.

      Ich betrachtete die vielen kleinen Regentropfen, die gegen das Fensterglas schlugen und die Erde mit einem feuchten Schleier bedeckten, der sich auf jeden legte, der ihn durchquerte. Der Schimmer der Laternen verblasste und wurde immer undurchsichtiger, je mehr Regen fiel und je dichter die Masse der sich herunterstürzenden kleinen Wassertropfen auch wurde. Ein Rinnsal hatte sich irgendwo über mir gebildet und rann nun auf der Scheibe an mir vorbei, wie ein kleiner Fluss, der sich seinen Weg durch ein Meer suchte. Ich folgte ihm mit den Augen so weit es ging, bis er am Fenstersims verschwand und seinen Weg außerhalb des für mir einsehbaren Bereichs fortsetzte, dem kürzesten Pfad zur nächsten Pfütze folgend, wo sich viele Rinnsale sammelten und sich zu einem großen See winziger Tröpfchen vereinten.

      Nun

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