Schlussakt. Joana Goede

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Schlussakt - Joana Goede

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vorwärts. „Nimm es dir!“, forderte sie mich auf und fügte hinzu, dann solle ich nach oben verschwinden und dort bleiben. Das war wieder einmal typisch. Als wenn ich ihr größter Feind wäre, so behandelte sie mich immer. Eigentlich hatte ich keine Lust mehr, dabei mitzuspielen und immer nur der Dumme zu sein.

      Mein Blick viel auf die illustre Ansammlung verschiedener Alkoholsorten auf dem Wohnzimmertisch. Augenblicklich wünschte ich mir, ich wäre oben geblieben, doch nun war es zu spät. Ich hatte meine Schwester bei dem ertappt, was ihr eigentlich von unseren Eltern verboten worden war. Doch trotzdem fühlte ich mich ihr keinesfalls überlegen. Die inferiore Stellung war mir quasi auf den Leib geschrieben. Anstatt etwas zu sagen, griff ich nach meinem Buch, drehte mich herum und wollte gehen. Doch der Kerl hinter mir hielt mich auf. Er sah so aus, als würde er die eine Hälfte seines Tages im Sonnenstudio verbringen und die andere Hälfte in einem Fitness-Center. Und nachts ersäufte er vermutlich die wenigen seiner Gehirnzellen, die bis jetzt noch geschafft hatten zu überleben, in Bier. „Du sagst kein Wort!“, zischte er mir zu und stieß mich dann in Richtung Tür. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, etwas zu sagen. Trotz meiner Wut auf Constanze wäre es mir nie eingefallen, sie zu verraten. Das würde nur Unheil nach sich ziehen. Meine Pflegeeltern wären sehr traurig und enttäuscht, wenn sie von der üblen Trunklust ihrer Tochter erfahren hatten. Das wollte ich ihnen gern ersparen. Soviel Mensch war ich immerhin, dass mir zumindest ihr Glück am Herzen lag. Abgesehen davon hätte Bernhard seine Wut über Constanze nie im Leben an ihr selbst ausgelassen. Für diese Dinge hatte ich immer gerade stehen müssen, weil ich die ewige Rolle des Sündenbocks inne hatte. Selbstverständlich ungewollt.

      Ich machte einen Umweg in die Küche und holte mir von dort eine Flasche Wasser. Dabei musste ich gehörig aufpassen, dass ich nicht in die Scherben trat, denn auf dem Boden lagen sehr viele davon in einer Bierlache. Seufzend sammelte ich die Scherben auf und warf sie in den Mülleimer. Meine Hände klebten von dem Bier und mir wurde übel. Wie konnte man sich das nur literweise hinein kippen? Vielleicht war ich auch völlig verweichlicht.

      Nachdem ich auch das Bier aufgewischt und meine Hände intensiv mit drei verschiedenen Seifensorten gereinigt hatte, setzte ich meinen Weg nach oben fort. Ich musste schon wirklich verrückt sein, dass ich so ein Biest wie Constanze schützte. Ich sollte sie auflaufen lassen, sie und ihre dämlichen Freunde. Das würde ihnen recht geschehen. Leider war ich nicht der Typ für einen wohlorganisierten Racheakt. Ich war noch nicht einmal der Typ für einen planlosen, zum Scheitern verurteilten Racheakt. Mühsam stapfte ich die Treppe hinauf, das Buch in der einen, die Wasserflasche in der anderen Hand. Das dumpfe Klopfen aus dem Wohnzimmer verfolgte mich bis in mein Zimmer und beschallte mich von allen Seiten. So musste es sich anfühlten, wenn der Wahnsinn in einem aufstieg. Ich sprang an den Schreibtisch und brachte ein paar Zeilen guter, pessimistischer Dichtung zu Papier. Ich steckte meine ganze Wut und meine Verzweiflung in diese Verse und anschließend zerriss ich sie und warf sie in den Papierkorb. Ich fühlte mich besser, viel besser. Hätte ich alle Gedichte gesammelt, in denen ich mich schon auf künstlerische Art und Weise an Constanze gerächt hatte, wäre es jetzt sicherlich ein mindestens dreibändiges Werk der schauerlichsten Gruselliteratur. Nicht zumutbar für einen normalen Verstand, der einbahnfrei funktionierte. Ein Geniestreich.

      Der erste Tag im neuen Jahr gehörte wie immer zu den sinnlosesten des ganzen restlichen Jahres. Eigentlich hätte man diesen Tag getrost aus dem Kalender streichen können. Die meisten verbrachten ihn im Bett oder vor ihrem Fernseher und dösten regelmäßig wieder ein.

      Ich hatte schließlich doch Schlaf gefunden, als die ersten Sonnenstrahlen sich schon am Horizont zeigten, und hatte folglich fast den ganzen nächsten Tag verschlafen. Oder besser, ich hätte ihn sicherlich verschlafen, wenn die Kätzchen mich nicht gegen Mittag geweckt hätten. Ich fühlte mich alles andere als erholt, das schien ja in letzter Zeit zur Gewohnheit meines Schlafes zu werden, mich mehr zu schwächen als zu stärken. Ich fühlte mich von meinem Organismus verraten. Erst kroch ich aus dem Bett, um für die Kätzchen etwas zu essen zu besorgen, doch als ich endlich schwankend da stand und mir die Augen rieb, überfiel mich auf einmal ein fürchterlicher Kopfschmerz. Vor meinen Augen verschwamm das Zimmer zu einer klebrigen Masse nicht kontrollierbarer Bestandteile, die mir einmal ganz nah und dann wieder so weit weg erschienen, dass ich mich klein und hilflos fühlte, als hätte mich alles verlassen. Ich schloss die Augen und ließ mich nach hinten fallen, landete allerdings nicht auf dem Bett, wie ich gehofft hatte, sondern auf dem Teppich und hielt mir vor Schmerz den Kopf. Es war, als würden Stimmen mich zersprengen wollen, Stimmen, deren Sprache und Worte ich nicht verstand, die mich erschreckten und meine Ohren wegen der ungeheuren Lautstärke materten, als stände ich direkt neben einer Flugzeug Turbine. Dann prasselten Farben und Lichtblitze auf mich ein. Die einen brannten in meinen Augen, die anderen stachen hinein, als beständen sie aus unzähligen kleinen Nadeln, die nächsten schlugen mit solcher Wucht zu, dass sie mir fast die Besinnung raubten.

      Mit einem Mal fühlte ich mich an der Schulter gepackt und geschüttelt. Ich wehrte mich, wollte die Augen öffnen, doch konnte es nicht, weil das Licht so grell war. Alles um mich herum war fremd, Furcht erregend fremd, ich hörte kein Geräusch, nur die Stimmen, die sich anhörten, wie eine unheimliche Musik, unmenschlich hoher und schiefer Töne, begleitet von einer unvorstellbaren Dissonanz. Eigentlich waren es keinen Stimmen sondern Laute. Ich konnte auch diesem Schwall nicht entkommen, ich war eingeschlossen und gefangen, konnte mich nicht losreißen, wurde festgehalten und herum geschoben. Ich hielt mir die Ohren zu, doch es wurde nur noch schlimmer, lauter, immer lauter.

      Dann war alles schwarz und still. Mit einem Mal war alles fort, die Stimmen, die Musik, die Angst, einfach alles. Mit einem Mal lag ich im Bett unter meiner Decke und nahm die Hände von meinen Ohren, die ich mir immer noch zuhielt. Mein Körper war verkrampft und schwach, noch schwächer als vorher und ich fühlte mich wie ausgesaugt, mein Kopf war völlig leer. Und ich spürte Kälte in mir, als wäre ich von innen gefroren und würde nur langsam wieder auftauen. Als ich die Augen einen Spalt weit öffnete, sah ich Madeleines besorgtes Gesicht und ihre erschrockenen Augen. Sie saß neben mir auf der Bettkante, streckte eine Hand aus und streichelte meinen Kopf. „Wir dachten schon, wir hätten dich verloren.“, sagte sie leise, doch ich antwortete nicht. Meine Zunge war so schwer, dass ich kaum schlucken konnte und in meinem Kopf fand ich keine Worte. Ich hörte zwar, was Madeleine mir sagte, konnte es aber nicht verstehen, die Worte ergaben keinen Sinn. Ich wollte schlafen. Nicht nachdenken und auch nicht sprechen, ich wollte nur vergessen und schlafen, also schloss ich die Augen wieder. Ich wollte Ruhe.

      Tatsächlich musste ich wohl eingeschlafen sein, denn als ich die Augen das nächste Mal öffnete, war es draußen schon wieder dunkel. Nur meine Nachttischlampe brannte und spendete etwas Licht. Neben mir in meinem Schaukelstuhl saß Madeleine und schlief. Sie hatte wohl die ganze Zeit an meinem Bett gewacht, aus Angst, dass sich so etwas noch einmal wiederholen könnte.

      Ich betrachtete sie. Sie sah erschöpft aus und unruhig, ihre blonden Haare, die mit vielen grauen Strähnen durchzogen waren, wirkten zerzaust und ungekämmt, ihr Gesicht war bleich und grau.

      Ich sah mich suchend um, doch die Kätzchen waren nicht da. Bernhard hatte sie sicherlich nach unten gebracht, wo sie fressen und spielen konnten, ohne jemanden zu stören oder gestört zu werden. Ich richtete mich mühsam auf und griff nach der Wasserflasche auf meinem Nachttisch, die ich gestern Abend dort abgestellt hatte. Es kostete mich viel Kraft, sie zu öffnen, doch als sich der Deckel unter lautem Zischen drehte, öffnete Madeleine erschreckt die Augen. Als sie mich erblickte, schien sie allerdings erleichtert. „Ich bin wohl eingeschlafen.“, sagte sie, überflüssigerweise und lächelte, als wäre es ihr peinlich. Ich schwieg und nahm einen Schluck aus der Flasche. Das Wasser schmeckte säuerlich, als hätte es jemand mit Essig versetzt, doch ich trank es trotzdem, um meinen fürchterlichen Durst zu stillen und meinen trockenen Mund zu besänftigen. Was war das für ein Alptraum?

      „Was war denn los mit dir?“, fragte Madeleine, als ich die Flasche wieder geschlossen und zurückgestellt hatte. Ich starrte sie nur an und bekam kein Wort heraus. Einerseits hätte ich mir gern all das von der Seele geredet, um es mit

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