Schlussakt. Joana Goede

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Schlussakt - Joana Goede

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abhanden gekommen sein musste, die Sitze mit orangenem Stoff bezogen, der schon sehr verblichen und an vielen Stellen kaputt war. Da, wo einmal das Radio gewesen sein musste, ragten nur bunte Kabel aus einem schwarzen Loch. Immerhin war alles sauber. Abgesehen von seiner absoluten Hässlichkeit, war das Auto auch noch ohrenbetäubend laut, so laut, dass man hätte Schreien müssen, um sich zu unterhalten. Doch ich wollte mich natürlich nicht unterhalten. Stattdessen saß ich da, zitterte und wünschte mich zurück in mein Bett. Leider erfüllte mir niemand meinen Wunsch und so zog ich den Schal höher und konzentrierte mich auf die Fußgänger auf den Gehwegen. Die Straßen waren voll von ihnen und von Radfahrern und natürlich Autos. Wir befanden uns genau in der Zeit, in der die Haupt-Arbeitszeit des Tages vorbei war und alle nach Hause gingen. Wie gerne wäre ich mitgegangen, hätte mich neben die warme Heizung gesetzt und aus dem Fenster geschaut, die Stille und Wärme genießend. All das blieb mir verwehrt. Stattdessen tuckerte ich meinem Untergang entgegen, dem Kaufhaus.

      Constanze bog auf den Parkplatz des größten Kaufhauses ein, das unsere kleine Stadt zu bieten hatte und ich verzog unwillkürlich das Gesicht, angewidert von dem Anblick der zahlreichen Werbeplakate und der Menschenmasse, die wohl alle unnütze Weihnachtsgeschenkte umtauschen wollten, oder ihr frisch verdientes Geld für irgendwelche sinnlosen Dinge herauszuwerfen wünschten.

      Constanze parkte ein, alles andere als geschickt und sehr nah am Auto daneben, so dass ich über ihren Sitz klettern musste, um auszusteigen, weil meine Tür nicht aufging. Leider war es draußen noch kälter als im Auto, das wenigstens den eiskalten Wind abgehalten hatte, der mich nun so lange quälte, bis ich im Eingang des Kaufhauses stand. Dort war es warm. Beinahe hätte ich so etwas wie Sympathie für dieses Gebäude empfunden, doch dieses Gefühl verdrängte ich rasch, als ich die ersten Osterhasen sah, die mich mit traurigen Augen anblickten. Allerdings waren sie aus Schokolade, genauso wie die letzten Weihnachtsmänner, die direkt daneben standen und für die sich niemand mehr interessierte. Ich musterte sie traurig und schüttelte unmerklich den Kopf. Das ging doch nicht mit rechten Dingen zu.

      Constanze rauschte durch die ihr wohl bekannten Gänge und zog mich mit sich, eine Rolltreppe hinauf und noch eine und noch eine, bis wir in der Herrenabteilung standen und ich mit größtem Desinteresse die vielen Hosen und Pullover betrachtete, die meiner Meinung nach alle gleich aussahen und viel zu teuer waren. Ich fühlte mich wie ein Fisch, den man aus dem Wasser gezogen und an Land geworfen hatten, sprich: Ich war vollkommen hilflos und völlig fehl am Platze.

      Meine Schwester schubste mich in eine Umkleidekabine und dort wartete ich. Umkleidekabinen waren mir bislang fremd und während ich mich unsicher umsah stellte ich auch fest, dass sie mir äußerst unsympathisch waren. Oben in einer Ecke lebte eine Spinne, die dort ihr Netz wohl schon seit langer Zeit immer mehr verfeinerte und ihr Endprodukt gerade zur Perfektion führte, als ich sie beobachtete. Der Teppich war übersät mit Flusen und Papierschnipseln (woher auch immer) und mir gegenüber erblickte ich eine magere Gestalt in einem Ganzkörperspiegel, die ich, hätte ich sie auf der Straße getroffen, gleich nach Hause ins Bett geschickt hätte. Sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mit mir, sah aber so aus wie ich mich fühlte, denn ich fühlte mich richtig mies. Allerdings blieb mir nur so lange Zeit dazu, mich selbst zu bemitleiden und mein Dasein zu verfluchen, bis meine Schwester begann, mir ein Kleidungsstück nach dem anderen hineinzureichen, die ich alle nacheinander anprobierte und mit jedem die Kabine verließ, sie Constanze vorführte und dann zum nächsten überging. Diese Prozedur kam mir wie Stunden vor und schließlich stand ich da in einem weißen Hemd und einer schwarzen Jeans, beides so dünn, dass ich schon bei dem Gedanken daran, damit dieses Gebäude zu verlassen, beinahe eine Lungenentzündung davontrug. Das war mein Tod, soviel stand fest. Mir wurde übel.

      Constanze betrachtete mich zufrieden und hängte die anderen Sachen zurück. „Aber das ist mir zu kalt.“, murmelte ich leise, nicht fähig zu einem erfolgreichen Protest, als sie mich zur Kasse schleppte und bezahlte. Ich sollte die Sachen gleich anbehalten, sagte sie.

      Selten hatte ich mich so unwohl gefühlt wie jetzt. Ich sah so aus, als würde ich im nächsten Moment im teuersten Restaurant der Stadt die Speisekarte studieren und ich kam mir lächerlich vor, weil ich diese Kleidung für einen Siebzehn-jährigen für unangemessen hielt, und erst recht für einen Kinobesuch.

      Ich ging einige Schritte zur Seite, als Constanze bezahlte, denn ich wollte gar nicht wissen, wie viel sie wohl für das bisschen Stoff ausgab. Da stand ich wieder vor einem Spiegel und fand mich auf einmal noch magerer und bleicher, ich sah wirklich krank aus, ich gehörte ins Bett. Ich glaubte nicht, auch nur noch einen Schritt gehen zu können. Die Augen der anderen Kaufhausbesucher schienen mich mitleidig zu verfolgen. Was für eine Misere. Und keine Chance auf ein Entrinnen.

      Eigentlich hatte meine Schwester mich danach noch zum Friseur schleppen wollen, doch das ließ die Zeit nicht mehr zu, da in einer halben Stunde der Film im Kino beginnen sollte. Ich schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass wir es bitte nicht mehr rechtzeitig schaffen sollten.

      Dann wickelte ich mir meinen Schal nun fünfmal um den Hals und verließ mit meiner Schwester widerwillig das Kaufhaus, in dem ich wenigstens nicht gefroren hatte. Wir würden etwa eine Viertelstunde zum nächsten Kino brauchen. Hätte ich doch bloß eine Mütze mitgenommen.

      Der Parkplatz vor dem Kaufhaus war nun fast wie ausgestorben, keine Rede mehr von Menschenmassen, die so viel Geld wie möglich ausgeben wollten. Die saßen nun alle zufrieden zu Hause vor ihrem Fernseher. Nur ich zitterte am ganzen Körper und verwünschte den Winter, während wir in das kleine Auto einstiegen und Constanze mit Vollgas losfuhr. Es war draußen so dunkel und so still, dass es mitten in der Nacht hätte sein können, dabei war es erst kurz nach halb acht an einem Mittwochabend.

      Die Fahrt kam mir vor wie mehrere Stunden, auch wenn es nur einige Minuten waren. Ich starrte gedankenverloren aus dem Fenster und wünschte mich weit fort, in eine unbekannte Welt, in der es noch so etwas wie Abenteuer und Entdeckungen gab. In eine Welt, in der ich lange Reisen durch nicht erschlossene Landstriche unternehmen konnte, ohne einer Menschenseele zu begegnen. Das war mein Traum, das war meine ganz eigene Utopie und das war gleichzeitig das, was mich an meiner gegenwärtigen Welt ununterbrochen störte. Man wusste einfach zu viel für meinen Geschmack. Es gab zu wenige Geheimnisse und zu viele Lösungen. Es war nicht mehr möglich, einfach etwas zu glauben ohne es zu beweisen oder etwas abzulehnen ohne das zu begründen.

      Gott bildete für mich dabei die große Ausnahme. Denn ich war mir sicher, dass noch sehr viel Zeit vergehen würde, bis jemand einen stichhaltigen Beweis für oder wider die Existenz Gottes würde erbringen können. Ich wünschte mir, das nicht mehr miterleben zu müssen, denn dann, so glaubte ich, würde die Menschheit elendig zu Grunde gehen, da sie die Fähigkeit zu glauben verloren und sich allein dem Wissen verschrieben hätte. Und die Fähigkeit zu glauben erachtete ich als etwas sehr wichtiges, etwas, das für ein glückliches Leben unerlässlich wäre.

      Ich spürte einmal mehr, dass irgendetwas in meinem Leben gehörig schief lief, auch, wenn ich es immer noch nicht genau benennen konnte. Es war eben dieses Gefühl der Unzugehörigkeit und des allgegenwärtigen Fremden, das mich erschreckte, abstieß und das mich von sich weg schob. Eine gewaltige, nicht überwindbare Antipathie zwischen meinem wirklichen Leben und meiner Traumexistenz, an deren beider Rand ich nur deshalb leben konnte, weil sie sich gegenseitig akzeptierten und tolerierten, aber fürchteten sich zu überlappen und deshalb stets einen gewissen Sicherheitsabstand einhielten, um der Gefahr möglichst aus dem Weg zu gehen. Ich stand praktisch auf Messers Schneide, jeder Schritt bedeutete Gefahr.

      Als ich bei diesem Gedanken angekommen war, hatte ich zum ersten Mal den Eindruck, verflucht zu sein. Vielleicht nicht verflucht im ursprünglichen Sinne, denn an Zauberei verlor ich keinen Gedanken, sondern eher daran, verdammt viel Pech zu haben, mehr als ein normaler Mensch. Das erschien mir plausibel, denn ich war in einer Situation, in der beides falsch war, zwischen dem ich mich entscheiden musste.

      Einerseits konnte ich bei der Familie bleiben, bei der ich es relativ

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