Schlussakt. Joana Goede
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Als erstes stützte ich mich auf das Waschbecken und holte tief Luft, die Augen geschlossen haltend, um Kraft zu sammeln. Ich ging tief in mich und suchte nach Reserven, da ich fürchtete, den Weg sonst nicht mehr zurück zu schaffen und hier nach zwei Stunden von einer völlig verstörten Constanze aufgefunden zu werden, was mir sicherlich viel mehr Aufmerksamkeit eingebracht hätte, als ich an diesem Abend gebrauchen konnte. Leider fand ich keine Kraftreserven mehr in mir, die ich hätte herausholen und zur Verarbeitung frei geben können. Als ich die Augen öffnete, erkannte ich mich nicht mehr wieder. Ich starrte mir selbst ungläubig aus geröteten, geschwollenen Augen entgegen. Mein Gesicht war bleich und fahl, meine Lippen blutleer und farblos. Hätte ich mich in einen Kanal gelegt, die Ähnlichkeit mit einer Wasserleiche wäre verblüffend gewesen. Eine ganze Weile stand ich da und starrte nur, ohne zu wissen, wie ich in ein paar Tagen so krank und hilflos hatte werden können. Ich fühlte mich matt, als ich den Arm hob und den Wasserhahn aufdrehte, aus dem das kühle Nass herausströmte und gleich darauf im Abfluss verschwand. Dabei stellte ich mir vor, dass es genauso mit meiner Kraft sein müsste. Irgendwer musste einen Hahn aufgedreht und vergessen haben in zu schließen, durch den nun all meine Kraft langsam abfloss und auf Nimmerwiedersehen im Nichts verschwand, wo ich keinen Zugriff mehr auf sie hatte. Vielleicht eine Meuterei meines eigenen Körpers.
Meine Hände waren eiskalt und zitterten, als ich Wasser in ihnen auffing und es mir ins Gesicht spritzte. Ein eisiger Schauer überlief mich und zwang mich fast in die Knie, so dass ich mich an die Wand lehnen und mich sehr auf meine Muskeln konzentrieren musste, damit sie mich aufrecht hielten. Fast wäre ich wie ein Gerüst aus morschem Holz einfach zusammengekracht. Das dröhnende Rauschen des Wassers verstummte kurze Zeit später von selbst und Stille umgab mich, die allerdings durch das Summen der Elektrischen Spannungen einiges an Intensität verlor. Das künstliche Licht surrte unangenehm, so als wäre eine kleine Fliege in meinem Kopf, die immer im Kreis flog und keinen Ausweg fand, so wie ich in diesem Moment. Es fiel mir schwer zu denken. Obwohl ich mir dieser Tatsache bewusst war, war mir auch klar, dass ich das nicht ändern konnte. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich mir zutraute den Weg zurück in den Saal zu gehen und meinen Platz zu finden. Ich hoffte, dass es so hell sein würde, dass ich Constanze würde sehen können, um zu wissen, wo ich hin musste, doch ich bezweifelte, dass ich irgendetwas in diesem unsteten Licht würde erkennen können. Außerdem sah ich momentan sowieso sehr schlecht, denn die Kontraste zwischen den einzelnen Gegenständen erschienen mir so unscharf, so dass alles zu einer blubbernden Brühe verschwamm. Ich blinzelte ein paar Mal und wankte dann in Richtung Tür, die wieder ein fast unüberwindbares Hindernis bot. Es erschien mir wie eine halbe Ewigkeit, bis ich sie endlich geöffnet hatte und draußen im großen Flur stand, von dem die Türen zu den Sälen abgingen. Gerade, als ich unsicheren Schrittes meine Tür erreichte, wollte ein Mann sie schließen. Schnell schob ich mich noch vorbei und stand dann in erschlagender Finsternis da, jeglichem Orientierungssinn beraubt. Als ich meine Sehkraft Stück für Stück zurückerhielt, bis ich immerhin vage Umrisse wahrnehmen konnte, sah ich auch eine leuchtende Schrift auf der Leinwand, die wohl den Titel des Films darstellen sollte. Ich konnte zwar die meisten Buchstaben erahnen, schaffte es aber nicht, das Wort, das sich daraus ergeben hätte, zusammenzufügen. Nach mehreren Versuchen verwarf ich das Vornehmen, auf diese Art den Titel zu erfahren und wankte unentschlossen eine Treppe hinunter, mich suchend umblickend und nach einem Hinweis suchend, in welche Reihe ich mich einordnen sollte. Vermutlich war ich so müde, weil ich nachts einfach nicht richtig schlafen konnte, dass meine Wahrnehmung Schaden davon getragen hatte. Die Geräusche erschienen mir wie ein unerträgliches Getöse, die Dunkelheit war beängstigend schwarz und das Licht so beißend hell, dass ich am liebsten all meine Sinne zugesperrt hätte. Ging natürlich nicht, denn dann wäre ich die Treppe hinuntergefallen. Auch kein verlockendes Ziel.
Nach einiger Zeit fühlte ich mich am Arm gepackt und in eine Reihe gezogen, die mir gänzlich unbekannt erschien, fand mich aber schließlich auf einem Platz neben Constanze wieder, die es wohl nicht mehr hatte mit ansehen können, wie ich ziellos hin und her lief, wie ein kleines Kind auf der Suche nach seiner Mama. „Wo warst du?“, zischte sie ungehalten, doch, wie mir schien, auch ein wenig besorgt, da selbst für mich ein so anormales Verhalten untypisch war. Ich war nur froh, endlich auf meinem Platz zu sitzen und mich nicht mehr auf Bewegungen konzentrieren zu müssen, die meine Grenzen des Machbaren bei weitem überstiegen. Nun starrte ich auf die immer noch schwarze Leinwand, auf der nun wohl die Namen der Darsteller abliefen, untermalt von einer schaurigen Musik, die schon allein ausgereicht hätte, um mich zu vertreiben, wäre es mir denn möglich gewesen, den Weg von gerade zum wiederholten Male zurückzulegen.
Zwar verließ mich im Sitzen nicht das Gefühl der Schwäche, doch immerhin konnte ich den Schwindel etwas aus meinem Körper verbannen, so dass ich mich etwas gefestigt und ermutigt fühlte, den Weg zum Auto, in zwei Stunden, vielleicht doch noch zu schaffen. Ich hoffte nur, dass ich nicht wieder diese Migräne kriegen würde, denn das würde mich mit Sicherheit ganz umwerfen und dann hätte ich keine Chance mehr, unbeschadet mein Bett zu erreichen. Außerdem wollte ich Constanze nicht den Abend verderben, denn ich hätte es nicht ertragen können, wenn sie wieder angefangen hätte, mich zu hassen. Auf das Bisschen frisch gewonnene Zuneigung wollte er dann doch nicht gleich wieder verzichten. Eigentlich war es so ganz nett.
Meine Befürchtungen, was den Film betraf, wurden zu meinem Ärgernis bei weitem überboten.
Schon die erste Szene konnte ich kaum mit geöffneten Augen ertragen. Die Leinwand triefte förmlich vor Blut und Grusel, so dass ich meine Kraftlosigkeit beinahe vergaß. Constanze starrte wie gebannt auf das Geschehen, ohne einmal zusammen zu zucken oder weg zu gucken, während ich aus dem Erschrecken und Ekeln gar nicht hinaus kam. Selbst, wenn ich die Augen geschlossen hielt und ich nur die Musik und die Geräusche hörte, spielte mir meine gut ausgebildete Fantasie den bitterbösen Streich, dass sie mir Bilder in den Kopf malte, die fast noch grausiger und Furcht einflößender waren, als das Original, sofern das denn möglich war. Ich achtete erst nach etwa einer halben Stunde wieder auf meinen eigenen körperlichen Zustand und stellte fest, dass ich mich nicht nur besser fühlte, sondern auch kräftiger. Ob ich mich nun allein durch das Sitzen erholte oder auch durch die Ablenkung durch den widerlichen Film, der meine eigenen Probleme tonlos in den Schatten stellte, lassen wir mal offen, doch mir wurde klar, dass ich noch nie so viele fürchterliche Bilder auf einmal gesehen hatte. Ich konnte mir auch beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich Menschen so etwas nicht nur freiwillig, sondern auch noch gern ansahen. Das war für mich noch grotesker, als die öffentlichen Hinrichtungen, die es zum Glück bei uns nicht mehr gab. Dieser Film war auf jeden Fall darauf angelegt, möglichst authentisch und grausam zu wirken und ob das der Zweck der Unterhaltungsindustrie war, stellte ich sehr in Frage.
Nach einer weiteren halben Stunde, bemerkte ich, dass ich mich mit den Fingern am Sitz festklammerte und meine Hände sich völlig verkrampft hatten, so dass es mich Mühe und Zeit kostete, meinen Griff zu lockern. Mir wurde klar, dass ich nicht die nötige Erfahrung und die Veranlagung dazu besaß, diesen Film mit der unabdingbaren Distanz eines normalen Kinobesuchers zu betrachten, um den Abstand zu gewinnen, der es mir ermöglicht hätte, nicht jedes Mal vor Angst und Schrecken zu erstarren, wenn irgendetwas Bösartiges geschah. Die Handlung des Films war ohnehin ohne Belang, was für das Publikum zählte, waren die modernen Spezialeffekte und die Intensität der Brutalität.
Ich betrachtete Constanze, die sich genießerisch weit zurückgelehnt hatte und jede Sequenz gierig einsog, während sie die letzten Krümel aus der Popcorntüte pulte und sie sich auch noch in den Mund stopfte. Hätte ich Popcorn gemocht, wäre ich sicherlich beleidigt gewesen, aber so war es mir egal, dass sie mich nicht ein einziges Mal gefragt hatte, ob ich nicht auch etwas wolle. Sie war eben ein unverbesserlicher Egoist.
Als ich meine Aufmerksamkeit nach einem besonders Schrecken erregenden Geräusch wieder dem Film zuwandte, überlief mich ein kalter Schauer. Der Held des Films befand sich gerade auf einem verlassenen Schiff, das immer gern in neuen und alten Grusel-Filmen als Kulisse verwendet wird, und dieses Schiff bewegte sich durch tiefen Nebel, ohne dass es jemand steuerte. Einzelheiten