Schlussakt. Joana Goede

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Schlussakt - Joana Goede

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der Tür stand. Auf den ersten Blick konnte ich von seinem Inhalt nicht viel erkennen, denn der Rand war sehr hoch und außerdem quoll er beinahe vor Decken über. Vorsichtig beugten wir uns alle über den Korb, dessen Inhalt, sobald wir ihn identifiziert hatten, bei jedem Familienmitglied eine andere Reaktion auslöste. Constanze, die mit ihrem verwischten Make-up und dem zerknautschten Nachthemd aussah wie ein Gespenst, wendete sich sofort wieder ab, um sich mit gelangweiltem Blick wieder in ihr Bett zu begeben. Bernhards Gesichtsausdruck wechselte von Begeisterung zu Unentschlossenheit und Madeleine stand immer noch da und starrte einfach nur, ohne ein Wort zu sagen. Nach einiger Zeit des Stillschweigens nahm ich schließlich den Korb an mich und trug ihn mit der Bemerkung, es sei schließlich kalt draußen, in die Küche. Offenbar war ich der einzige, dessen Gehirn einigermaßen wach war und arbeitete. Es soll vorkommen, dass bei manchen das Gehirn selten bis nie arbeitet und ich glaube, bei Constanze war das meistens der Fall.

      In der Küche entfernte ich die oberste Deckenschicht und deckte somit drei kleine Kätzchen auf, die vorher nur zum Teil sichtbar gewesen waren. Meine Pflegeeltern waren mir in die Küche gefolgt. Ich muss erwähnen, dass ich kleine Tiere liebe, eigentlich Tiere generell, und dass ich die Kätzchen sofort ins Herz schloss. Meine beiden Optionen waren: mit Erlaubnis behalten oder verbotenerweise behalten.

      Vorsichtig nahm ich nun die Kätzchen einzeln heraus, sie passten genau in eine Hand, und ich betrachtete sie lange, um zu sehen, ob sie gesund waren. Dabei gaben die Drei leises, klägliches Maunzen von sich, wie es sich für kleine Katzen gehört. Sie waren so niedlich, dass ich tatsächlich lächelte, was bei mir erstens nicht gerade sehr häufig vorkommt und zweitens schon gar nicht am frühen Morgen.

      Madeleine sah Bernhard an und er nickte ihr genervt zu. „Ben“, sagte sie leise. „Wenn du sie behalten möchtest, dann ist das in Ordnung. Ich denke, unser Haus ist groß genug.“

      Ich lächelte noch mehr. Tiere hatte ich immer besonders geliebt, mit ihnen kam ich auch meistens besser aus als mit Menschen. Besonders Katzen liebte ich, weil sie einen stark ausgebildeten Charakter und stets ihren eigenen Willen hatten. Ich wandte mich an meine Pflegeeltern und bedankte mich bei ihnen, indem ich sie einmal kurz umarmte. „Ich werde nachher mal einkaufen fahren. Mal sehen, was man für kleine Katzen alles braucht.“, murmelte Bernhard, überrascht von meiner Umarmung und verließ die Küche. Eigentlich war es nicht meine Art, so einen Akt der Dankbarkeit durch Umarmungen zu unterstreichen, da ich nicht viel von überflüssigen Sentimentalitäten hielt. Ich folgte Bernhard mit dem Korb und setzte mich im Wohnzimmer auf das Sofa. Die kleinen Kätzchen begannen schon in dem Korb herum zu klettern und als das erste herauspurzelte und neben mir aufs Sofa plumpste, nahm ich sie alle drei heraus und setzte sie auf meinen Schoß. Dort kuschelten sie sich in meinen Wollpullover und dösten vor sich hin, wodurch ich Zeit hatte, sie eingehend zu betrachten. Faszinierend fand ich besonders die großen blauen Babyaugen und die im Vergleich zum winzigen Kopf riesigen Fledermausohren. Meine Ferien waren also gerettet. Und meine Einsamkeit musste ich nun auch nicht mehr allein ertragen.

      Auch wenn kleine Kätzchen schlafen, bewegen sie sich die ganze Zeit, geben unruhige Laute von sich und fahren ständig ihre Krallen aus und ein, als wenn sie sich im Schlaf im Kampf erproben würden. Ich musterte die Drei genau, um mir ihre Eigenheiten einzuprägen. Zwei waren braun und beige getigert, mit weißen Pfoten und eine hatte auch noch weiße Flecken an Schwanz und Kopf. Die andere war schwarz, bis auf eine weiße Schwanzspitze. Alle Drei waren sie unheimlich niedlich, so dass es mir sehr schwer fiel, den Blick überhaupt von ihnen abzuwenden, als Madeleine mit warmer Milch hereinkam. Die Katzen standen für die nächsten Stunden im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses, wurden verhätschelt, verwöhnt und mit allerhand Spielzeug überhäuft. Zum Schlafen kamen sie gar nicht, obwohl sie wohl noch so klein waren, dass sie es nötig gehabt hätten.

      Schon vor Mittag war Bernhard mit Babykatzenessen und zwei Katzentoiletten, sowie diversen Katzenspielsachen und mehreren Fressnäpfen aus der Stadt zurück gekommen, und zu dieser Zeit hatte ich den Kätzchen auch schon allen Namen gegeben.

      Die getigerte hatte ich Felix genannt, der typische Katzenname, der mir aber zu dieser besonders gut zu passen schien. Zwar wusste ich noch nicht, welche der Tiere weiblich oder männlich waren, aber es gab ja zu fast jedem männlichen Namen eine weibliche Komponente. Das getigerte Kätzchen mit den weißen Flecken nannte ich Balthasar, da es besonders kräftig wirkte und Balthasar wie ein starker Name für eine Katze klang. Vielleicht spielte auch das Weihnachtsgefühl noch eine Rolle bei der Namensgebung, aber ich sträubte mich gegen die Namen Kaspar, Melchior und Balthasar, obwohl Madeleine darauf bestand und erst nach einigen Diskussionen davon abzubringen war.

      Das schwarze Kätzchen war das kleinste, aber auch das verspielteste und dieses erhielt von mir den Namen Figaro. Begründen kann ich das nicht. Es passte einfach. Außerdem hörte ich damals sehr gern Opern, unter anderem auch Le Nozze Di Figaro von Mozart. Das erklärt vermutlich zumindest meine Assoziation.

      Am Nachmittag stellte sich heraus, dass es sich bei dem getigerten Kätzchen um ein Mädchen handelte, jedenfalls behauptete das der Tierarzt. Es wurde also kurzerhand in Felicitas umbenannt, aber das schien es wenig zu stören.

      Der Tierarzt war eine sehr merkwürdige Gestalt. Ich hatte alle Kätzchen in einem Korb und saß mit Bernhard im Wartezimmer in dessen Praxis. Da wimmelte es nur so von erkälteten Katzen, Hunden, die im Kampf ein halbes Ohr oder ein Auge verloren hatten, Kaninchen aller Arten und Größen und Meerschweinchen, die mir ziemlich normal erschienen und vielleicht nur ein bisschen Bauchweh hatten. Die Kätzchen interessierten sich für alle anderen Tiere und ich hatte alle Hände voll zu tun, da ich aufpassen musste, dass keines blitzschnell aus dem Korb verschwand, um den großen Hund unter dem Stuhl neben mir zu beschnuppern.

      Der Tierarzt, ein älterer Herr mit tausend Tierhaaren auf seinem Kittel und einer dicken Hornbrille, die seine Augen derart vergrößerte, dass ich es mit der Angst bekam, bat uns nach einiger Zeit in den Behandlungsraum, wo ich den Korb auf den Tisch stellte. Ohne Bernhard und mich in irgendeiner Form zu begrüßen, grabschte er sich mit hartem, rücksichtslosem Griff eines der Kleinen heraus und starrte es fachmännisch an, als wäre es irgendein wertloses Ding. Es war Felicitas, die es als erstes erwischte. Zunächst wurden wir über ihr Geschlecht informiert und dann begann der Arzt mit einem langen, ausführlichen Vortrag über die unausbleiblichen Konsequenzen, wenn man kleine Kätzchen zu früh von ihrer Mutter trennte. Dabei beäugte er erst Bernhard und dann mich äußerst kritisch und seine Augen funkelten böse. Durch die Vergrößerung der Brillengläser wirkte dieses Funkeln noch eindrucksvoller. Als er geendet hatte, klärte ihn Bernhard darüber auf, wie wir die Kätzchen erhalten hatten, um ihm klar zu machen, dass wir nicht die Bösewichte in diesem Spiel waren, und der Tierarzt runzelte betrübt die Stirn, nahm sich ein Kätzchen nach dem anderen vor und untersuchte es genau, äußerte sich allerdings nicht dazu. Meine Kleinen aber schrien natürlich wie am Spieß und fingen erst an sich zu beruhigen, als wir das Zimmer verlassen hatten und ich draußen mit ihnen beim Auto wartete, während Bernhard bezahlte. Hauptsache sie waren gesund.

      Ich hatte mir indessen mehrmals die Frage gestellt, woher die Kätzchen eigentlich kamen. Es war weder eine Karte noch ein Brief bei ihnen gewesen, der es erklärt hätte. Madeleine meinte, dass es so viele Katzen gäbe, dass gewiss jemand eine Möglichkeit gesucht hatte, seine loszuwerden.

      Damit gab ich mich zunächst zufrieden. Schließlich war ich froh darüber, dass ich die Drei hatte, denn ein bisschen einsam hatte ich mich schon gefühlt. Aber die Frage beschäftigte mich doch immer wieder.

      Fortan schliefen sie in meinem Zimmer. Mal lagen sie im Bett oder eingekuschelt in ein weiches Sofakissen, dann dösten sie auf dem Teppich oder im Kleiderschrank, aber sie waren unzertrennlich, denn ich traf nie eines allein an.

      Über diese Aufregung hatte ich meinen Plan, die Familie zu verlassen und mein wirkliches Leben zu finden, zur Seite geschoben. Außerdem hatte ich jetzt Verantwortung für die drei Katzen, die mir immer überallhin im Haus folgten und mit

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