DIE GABE. Michael Stuhr

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Krankheiten sterben sehen. In Kalkutta war das Alltag gewesen, und das Schwimmen hatte er im heiligen Ganges gelernt, dem Fluss, in dem die schlecht verschnürten Überreste verbrannter Leichen zu jeder Stunde des Tages auf das Meer hinaustrieben. Trotzdem spürte er die besondere Atmosphäre, als er in die Katakomben hinabstieg. Die Erinnerung an die Sterblichkeit war so allgegenwärtig, wie an kaum einem anderen Ort der Welt. Die Nischen voller Gebeine und die in langer Reihe an den Wänden aufgehängten, mumifizierten Körper längst verstorbener Würdenträger übten selbst auf Thakur eine niederdrückende Wirkung aus, der er sich nicht entziehen konnte.

      Schweigend ging er den Gang entlang und schaute sich gründlich um, denn hier unten gab es etwas, das er unbedingt sehen wollte: Die kleine Rosalia Lombardo, die man 1920 hier bestattet hatte, und deren Körper dem Verfall so gut widerstanden hatte, dass sie wie schlafend wirkte.

      Thakur empfand es als angenehm, dass die Katakomben für die Dauer seiner Besprechung mit dem Abgesandten gesperrt worden waren. Mitten am Tag ganz allein hier in dem Gewölbe zu sein, war ein Privileg, das nur wenige für sich in Anspruch nehmen konnten. Dass diese Ehre gerade ihm, dem Paria aus den Slums von Kalkutta zuteil wurde, machte ihn stolz. Zugleich zeigte es ihm die Macht seiner Auftraggeber. Bestimmt ließen die Kapuziner sich nicht gerne in ihre Belange reinreden, aber sie waren dem Wunsch des Heiligen Pakts nachgekommen, wie das handgemalte Schild bewies, das alle Touristen während der Mittagsstunde fernhielt.

      Ein Gebilde zog Thakurs Blick auf sich, das so ganz und gar nicht in diese Umgebung passte. Es sah aus wie eine Astronauten-Schlafkapsel aus einem Zukunftsfilm. Er trat näher heran, und da war sie: Rosalia Lombardo.

      Thakur empfand es als befremdlich, dass man den kleinen Sarg mit dem gläsernen Deckel in diesen größeren Sarkophag aus Edelstahl und Glas eingeschlossen hatte. Sicher, das war wohl nötig gewesen, um den kleinen Körper vor dem Verfall zu bewahren, aber das Ding wirkte in diesem spätmittelalterlichen Gewölbe wie ein Schlag ins Gesicht. Ein Anachronismus der übelsten Sorte.

      Rosalia Lombardo lag genauso da, wie es in allen Beschreibungen stand. Das unschuldige Kindergesicht entspannt und wie im Schlaf. Zarte Locken waren in die Stirn drapiert und unterstrichen noch die scheinbare Lebendigkeit der Szene.

      Thakur nahm das Bild in allen Einzelheiten in sich auf und wandte sich dann ab. Der Glas- und Stahlüberbau und das leise Sirren des Lüftungsventilators ließen es nicht zu, dass der besondere Zauber der Kleinen zur Wirkung kam. Es war vielmehr, als stände man im Supermarkt des Todes vor der Kühltheke mit einer ganz besonderen Ware darin. Mehr nicht.

      Geräusche klangen vom Eingang her auf. Wenige Sekunden später kamen zwei ernst blickende Männer in dunklen Anzügen in Thakurs Blickfeld. Zielstrebig gingen sie auf den Mann mit den orientalisch anmutenden Gesichtszügen zu.

      Automatisch hob Thakur die Hände in Schulterhöhe und ließ sich von einem der Bodyguards abtasten, während der andere seinen Kollegen von der Seite her absicherte. So war es immer gemacht worden, wenn Thakur einen Abgesandten des Heiligen Pakts traf, und so würde es auch immer bleiben. Man traute ihm nicht, und Thakur konnte es den Leuten nicht verübeln. Schließlich war er ein Jäger – ein bezahlter Mörder, ein Werkzeug für die Drecksarbeit die manchmal zu tun war. Wer wollte seinen Auftraggebern garantieren, dass dieses Werkzeug sich eines Tages nicht gegen sie richtete? Das konnte niemand, und deswegen wurde er jetzt nach Waffen durchsucht. Als Kind in den Straßen von Kalkutta hatte er schlimmere Demütigungen erfahren, und auch das hatte er ausgehalten.

      Der Bodyguard fand natürlich nichts und trat zurück.

      Thakur lächelte. Absicherung und Feuerschutz oder nicht: Es wäre für ihn eine Kleinigkeit gewesen, die beiden klotzigen Kerle innerhalb von Sekunden außer Gefecht zu setzen, aber darum ging es hier ja nicht. Offenbar hatte der Heilige Pakt beschlossen, dass mal wieder ein Darksider sterben musste, und dieses Treffen in der Kapuzinergruft von Palermo diente dazu, den Vertrag auszuhandeln.

      Die Bodyguards trennten sich und brachten sich an den entgegengesetzten Enden des Hauptgangs in Stellung. Einer von ihnen sprach mit gedämpfter Stimme in sein Sprechfunkgerät. Sekunden später flutete Tageslicht die Treppe hinab und Schritte wurden laut.

      Ein hoch gewachsener Mann kam in das Gewölbe. Ohne die Mumien und Gebeine zu beachten kam er mit schnellen Schritten den Gang entlang.

      Im Sonnenlicht, das durch die weit oben eingelassenen Buntglasfenster in den Raum fiel, konnte Thakur erkennen, dass der Mann dunkle Haare hatte, die von weißen Strähnen durchzogen waren. Sein Gesicht und die Hautfarbe ließen auf eine Herkunft aus dem Mittelmeerraum schließen.

      Vielleicht ein Araber? Thakur wusste es nicht und es war ihm auch egal. Es unterstrich nur wieder einmal, dass sich in dem Hass auf die Darksider offenbar alle namhaften Religionen einig waren. Seinen letzten Auftrag hatte Thakur mitten im Aokigahara-Wald von einem uralten Japaner in einer braunen Kutte bekommen. Einziger Zeuge war ein schon seit Wochen toter Selbstmörder gewesen, der sich in seiner letzen Minute sitzend an einen Baum gelehnt hatte.

      Davor war es ein Russe gewesen, der den Auftrag erteilt hatte. Das war an einem der Türme des Schweigens nahe Bursa geschehen. Man musste schon zugeben, dass der Heilige Pakt ein Gespür für Dramaturgie und unheimliche Orte hatte.

      Der Abgesandte kam bis auf zwei Schritte an Thakur heran und blieb stehen. „Ich soll Ihnen Gruß und Segen des Heiligen Pakts überbringen, Thakur“, begann er.

      „Danke!“ Thakur verneigte sich leicht. „Stets zu Diensten.“

      „Wo sind Ihre Bluthunde?“

      Thakur lachte leise auf. „Sie werden da sein, wenn ich sie brauche.“

      „Ist die gute Christin noch dabei – diese van Vliet?“

      „Sicher!“

      „Und Isaak, der alte Haudegen?“

      „Izzy Silverman? Sie kennen ihn?“

      „Wir hatten mal miteinander zu tun“, wich der Fremde aus. „Ist er noch dabei?“

      „Natürlich!“

      „Fein! Sie werden gute Leute brauchen.“ Der Abgesandte schaute Thakur in die Augen. „Diesmal geht es ums Ganze. Wir wollen, dass Sie der Schlange den Kopf abschlagen.“

      „Sie wollen einen König?“

      „Nein, wir wollen beide! Caetan beim Fest des Wassers, Sochon bei der nächsten Jahrwerdung. Ist das für sie machbar?“

      Thakur zeigte sich unbeeindruckt. „Ich bin der beste Jäger und ich habe die beste Meute. Wenn ich es nicht schaffe, dann schafft es niemand!“

      „Hochmut ist Sünde.“

      Thakur winkte ab. „In Ihrer Religion vielleicht. In meiner nicht! Zu den üblichen Bedingungen?“

      „Die üblichen Bedingungen. Machen Sie es so spektakulär wie es nur geht. Die Bande soll wissen, dass sie nirgends sicher ist. Aber denken Sie daran: Wenn ein Mensch bei der Sache zu Schaden kommt, ist der Vertrag erloschen, und Sie stehen selbst auf der Todesliste.“

      „Es gibt Sympathisanten“, gab Thakur zu bedenken. „Sind die nicht genauso schlimm wie die, die sie beschützen? Sind das nicht Verräter an der menschlichen Rasse? Warum sollen die geschont werden?“

      „Ich bin ganz Ihrer Meinung.“ Der Abgesandte seufzte tief auf. „Aber der Heilige Pakt lässt nicht mit sich reden. Nur Darksider und keine

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