Die Gabe des Erben der Zeit. Georg Steinweh

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Die Gabe des Erben der Zeit - Georg Steinweh

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umso mehr beeindruckte ihn die Art und Weise, wie er es geschafft hatte, die Zeit nach seinem Tod zu organisieren. Überraschend strategisch war er vorgegangen, hatte Vorgaben gemacht, Bedingungen gestellt.

      „Einundzwanzig Tage hat mein Sohn Alfred in seinem Elternhaus, auf seiner Muttererde zu verbringen. Erst nach dieser Zeit wird am einundzwanzigsten Nachmittag um 15 Uhr das Testament durch den Gemeindenotar eröffnet. Im anderen Fall wird die Erbschaft als nicht angenommen betrachtet und alle eventuell noch vorhandenen Güter einer an anderer Stelle näher bezeichneten Stiftung zugeführt.“

      Das Einschreiben hatte Fred in der Küche seines Lokals „Zur guten Mahlzeit“ erreicht. Er war beschäftigt, wie immer, als der Bote mit dem Brief kam. Er las den Brief. Er las ihn ein zweites Mal. Dann erst war es soweit. Er brüllte durch die volle Küche – es war ein Wunder, daß nicht jeder, der etwas in der Hand hielt, es einfach vor Schreck fallen ließ.

      Kurz und bündig wurde er aufgefordert, sein bisheriges Leben so ganz ohne Vorwarnung zu unterbrechen und eine Reise anzutreten, die ganz und gar nicht, wie man glauben könnte, ins Ungewisse ging. Im Gegenteil.

      Fred war sich sehr sicher, daß keine Freude in ihm aufkommen würde, wenn er nach all den Jahren Höriboden unter seinen Füßen spüren würde. Er hatte einfach keine guten Erinnerungen zurückgelassen, auch keine guten mitgenommen. Kontaktlos, gedankenlos, lieblos, so könnte man die familiäre Bindung in den Jahren zwischen Rhein und Bodensee benennen. Das Wasser, war nicht das Wasser das einzige Bindeglied zwischen Vater und Sohn? Die Richtung des Flusslaufs der einzige Hinweis, wer sich anzunähern hatte? Fred hatte bisher keinen Gedanken daran verschwendet, aber wenn überhaupt, hatte sein Vater Kontakt aufzunehmen.

      Und wenn es um den Preis des Lebens wäre...

       Freitagfrüh

      Freds Freitag begann mit einer Galileischen Erkenntnis. Er konnte sich wegen heftiger Nackenschmerzen kaum bewegen, beobachtete also hilflos das Treiben um sich herum. Die Erde, zumindest ein winziger Teil in Gestalt seines momentanen Schlafraumes, drehte sich. Bewegte auf elliptischen Bahnen Regale und Deckenlampe, die willkürlich die Richtung wechselten, um ein imaginäres Zentrum, das offensichtlich er bildete. Sein Schwindel wurde dadurch nur stärker, die Frage nach dem ‚warum’ nur größer, obwohl sie sofort beantwortet wäre, wenn er nur leicht nach rechts zur Vitrine mit dem Plattenspieler geschaut hätte.

      Eine Schnapsflasche fiel ihm auf - sicher selbst gebrannter - als er trotz großer Müdigkeit, neugierig, wie mit Fingerspitzen tastend, seinen Blick an der Bücherwand entlang streifen ließ. In einer Reihe häuften sich Buchrücken mit Titeln, die Fred an diesem Ort ungewöhnlich fand. Fachbücher über Neurologie, Psychometrie, Konservierung von Düften, Botenstoffe im Gehirn wechselten sich ab mit Jules Verne, Einstein und Hegel.

      Er wünschte sich nicht noch so eine Nacht, oder war es schon die dritte? Eine Nacht entspannt schlafen, ohne von Träumen geplagt zu werden, an die er sich am nächsten Morgen sowieso nur schemenhaft oder gar nicht erinnern konnte. Einmal morgens aufwachen und im Laufe des gemütlich vorbeiziehenden Tages am Abend verdiente Müdigkeit spüren. Er sehnte sich nach seinen Dachfenstern in Bacharach, die ihm in sternenklarer Nacht Ausblick gönnten, ohne Einblick zu gewähren. Wie er glaubte.

      Auf seinem Bauch drückte der schwere Bildband mit populärwissenschaftlichen Erläuterungen der Relativitätstheorie im Allgemeinen wie im Speziellen. Auf hochwertigem Glanzpapier gedruckt, ruhte das Buch auf Fred wie die exklusive Zeitung eines Obdachlosen unter der Rheinbrücke. Als versuchte es notgedrungen, ihn vor der kühlen Nacht zu schützen. Vorsichtig, ganz vorsichtig bewegte er ein Bein dem fugenreichen Dielenboden entgegen. Von der niedrigen Holzdecke berichteten tanzende Lichtflecke, der Tag müsse an anderer Stelle schon reichlich Fortschritte gemacht haben.

       Sind zwar keine Sterne wie am rheinischen Nachthimmel, aber so gesehen genieße ich grade einen unglaublichen Service der Natur.

      Der See reflektierte flirrende Muster an die zeitgebeugte Decke. Fred starrte auf die tanzenden Lichtspiele, als versuchte er die ständig wechselnden, sich nicht nur in seinem Leben nicht wiederholenden Zeichen zu lesen. Schwer zu sagen, wie lange er so krumm dalag und die Botschaft zu dechiffrieren versuchte. Jedenfalls konnte er sich mit einem Mal schmerzfrei bewegen, das Buch fiel zu Boden, aber er stand aufrecht, ohne zu schwanken mitten im Zimmer und starrte auf das Fensterkreuz.

      Oder irgend woanders hin da draußen.

      Es dämmerte, nicht der Tag - dem Sonnenstand nach hätte ein Hörianer leicht damit glänzen können, von der Mittagszeit zu reden. Es war Fred, in dem die Klarheit hochzog, wie an einem Wasserstandsanzeiger bei Pegel Konstanz.

       Freitag. Heute. Endlich!

      Die Blase drückte fürchterlich. Nachdem er sich zumindest diese Erleichterung verschafft hatte, was er wie immer im Stehen tat, machte er sich, schneller denkend als sich bewegend, auf den Weg zur Kaffeemaschine.

      Praktischerweise war er ja schon oder noch angezogen, die abendliche Einschlafhilfe muss überraschend gewirkt haben. Nach der ersten Tasse Kaffee – ja, immer noch Kaffee, obwohl sein Arzt es verboten hatte – machte er sich landfein, zumindest nach außen wollte er respektvoll den notariellen Termin wahrnehmen. Nicht, daß er auf die Erbschaft scharf gewesen wäre.

       Komisch. Was denn hier los?

      Fred betrachtete unter dem sprudelnden Wasser seine Hände. Das Wasser perlte ab, hüllte sie aber wie ein transparenter Handschuh ein. Erschrocken zog er die Hände zurück, als fürchtete er, sich zu verbrühen. Die Feuchtigkeit wich, tropfte ins Becken und verschwand. Das Rätsel blieb. Ungläubig starrte er seine Hände an.

       Ich hab doch gestern überhaupt nix mit Schmiere oder Öl gearbeitet, wie...?

      Im Gegenteil. Fred hatte wie ein Besessener mit Viss, Akupads und Schmierseife die Tische geschrubbt. Die Wurzelbürste flog nur so über die an die Wände montierte Eckbank. Was hätte er schließlich in den drei Wochen tun sollen? Gammeln war nicht sein Ding. Das Haus hatte eine ordentliche Substanz, sein spätestens seit Bacharach geschulter Blick verriet ihm das in jeder Ecke. Das Lokal dämmerte unter einer verfetteten Staubschicht, der Charme musste nur wieder ans Tageslicht erputzt werden. Nur? Nun gut, am Anfang hatte er keine Ahnung, wie viel Dreck, wie viel Erinnerung sich in den Winkeln verkriechen konnte. Aber das hier. Wie kam um alles in der Welt dunkle Schmiere unter seine Fingernägel?

      Die Wirtsstube behielt die Antwort für sich.

      ‚Im großen Stil’

      könnte im Milchglasfeld der Bürotür von Renie Tiez unter dem eingeätzten Namen als Charakterstudie stehen. Schlicht und transparent glänzte der Name je nach einfallendem Sonnenlicht dem Besucher entgegen, schwebte in der edlen Tür, deren Mahagonizarge, zusammen mit dem polierten Messingrohrgriff ebenso den Weg in die Offiziersmesse eines nicht allzu kleinen, nicht allzu billigen Kreuzers freigeben könnte. Ansonsten tauchte das Wörtchen schlicht nur noch auf, wenn Renie Tiez Oskar Wilde heranzog und sich selbst charakterisieren sollte: schlicht von allem das Beste.

      Ihr 68er Mustang röchelte gelassen durch Sankt Gallen. Seine exotische Erscheinung provozierte die angestaubten Häuserzeilen. Die Schweizer hatten seit jeher ein Faible für amerikanische Schlitten, als könnten sie damit die ihnen womöglich peinliche Unfähigkeit kaschieren, ein ordentliches, auf dem mobilen Weltmarkt akzeptiertes Automobil zu kreieren. Renie Tiez war nichts peinlich, hatte nichts zu kaschieren. Sie war weit jünger als ihr Statussymbol und dachte darüber nach, wie sich die Uferbereiche

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