Der Zarewitsch. Martin Woletz
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„Ist das alles, Herr Major? Ich hab noch zu tun.“
„Sie halten sich ab sofort streng an die Vorschrift, haben Sie gehört? Wenn ich noch eine Beschwerde höre, dann unterschreibe ich Ihre Versetzung ins Archiv! Ist das klar?“ Ich drehte mich wortlos um und verließ das Büro.
Zurück in meinem Büro klingelte das Telefon. Ich hob ab, lauschte und legte schlecht gelaunt auf. Dr. Karner hatte auf der Kleidung des Toten keine verwertbaren Spuren gefunden. Die Funküberprüfung des anonymen Anrufes ergab auch nichts Genaueres. Einzig die Vermutung, dass es sich bei der Mordwaffe um einen Baseballschläger handelte, war richtig. Schlecht war, dass wir die Mordwaffe nicht gefunden hatten und wahrscheinlich auch nicht mehr finden würden. Ich überlegte. In diesem Fall passte gar nichts zusammen. Das einzig Konkrete, was wir in der Hand hatten, war der Tote. Die Spuren verliefen allesamt im Sand. Ich verabschiedete mich von der Vorstellung, den Fall rasch klären zu können. Entweder war dieser Fall sehr schlau vorbereitet und ausgeführt worden oder nur ein kolossaler Zufall. Aber wer glaubt schon an Zufälle?
Acht
Als ich an diesem Abend meine Wohnung betrat, begann ich diese sehr genau aufzuräumen. Das geschah nicht, weil ich einen Reinlichkeitswahn hatte, sondern weil ich so am leichtesten feststellen konnte, ob ich während meiner Abwesenheit ungebetenen Besuch bekommen hatte oder nicht. Diese Vorgehensweise hatte mir schon ein paar Mal das Leben gerettet. Ich platzierte an gewissen Stellen in der Wohnung unauffällig einzelne Haare oder Staub. An diesen Merkmalen konnte ich später sofort erkennen, ob jemand eine Tür geöffnet, Möbel verschoben oder sich hinter einem Schrank versteckt hatte. Leider konnte diese Taktik auch nach hinten losgehen. Meine letzte Freundin wollte mich einmal überraschen und hatte sich unauffällig meinen Zweitschlüssel besorgt. Sie hatte fast unbekleidet in meinem Bett in der völlig dunklen Wohnung gewartet. Ich war gerade mit einem gefährlichen Fall beschäftigt und als ich nach Hause kam, schrillten meine Alarmglocken, da gleich bei der Eingangstür der angebrachte Hinweis fehlte. Mit der Waffe im Anschlag schlich ich durch die Wohnung. Als ich aus dem Schlafzimmer Geräusche hörte, krachte ich hinein und stand mit der Waffe im Anschlag vor einer fast nackten aber umso willigeren 25-jährigen Brünetten. Aus dem netten Abend zu zweit wurde eine trostlose Nacht alleine. Am nächsten Tag hatte sie mich dann endgültig zum Wahnsinnigen erklärt und in die Wüste geschickt.
Auf dem Heimweg war ich an einem Elektrogeschäft vorbei gegangen und hatte einen Blick auf den großen Bildschirm in der Auslage geworfen. Ich blieb stehen. In den Kurznachrichten brachten sie gerade einen Bericht über die Mafia in Russland. Zurzeit schien es vor allem in Moskau fast täglich zu Zwischenfällen zu kommen. Die Miliz war in Alarmbereitschaft und konnte sich nur durch eine Sondergesetzgebung einen gewissen Spielraum gegenüber den Verbrechern schaffen. Mir war zu diesem Zeitpunkt nicht klar, dass diese Vorkommnisse eng mit meinem Fall zu tun haben sollten.
Nachdem ich heute Morgen aus dem Russen nichts von Bedeutung herausgebracht hatte, musste ich mir meine Informationen anderen Orts beschaffen. Vor allem ging mir der eine Satz von Dmitri nicht mehr aus dem Kopf: „Korelev, Sie und Ihre Bullenkollegen sind schon so gut wie tot.“
Natürlich hatte ich schon viele Drohungen erhalten, aber dass mich ein mir völlig Unbekannter so vertraut beim Namen nannte, war neu. Ich musste meine Informanten abklappern, in die einschlägigen Lokale gehen und meine Unbeliebtheit in diesen Kreisen in die Waagschale werfen. Zur Not hatte ich ja noch meinen Ausweis und meine Waffe mit. Ich verließ meine präparierte Wohnung und ging ein paar Minuten die Hauptstraße entlang. Dann bog ich in eine schmale Seitengasse und betrat das nächstgelegene Lokal. Das Licht in der Bar war gedämpft, fast schon nicht mehr wahrnehmbar. Nur die Bar selbst war hell erleuchtet. An ihr saßen - wie Schaufensterpuppen aneinander gereiht - einige Damen in verschiedensten spärlichen Outfits. Der Laden hatte immer schon die Ehre die Nummer Eins meiner Tour zu sein. Hier erfuhr ich zwar selten etwas wirklich Wichtiges, aber die Atmosphäre half mir dabei, in die richtige Stimmung zu kommen. Ich wusste, dass hier alle logen ohne dass sie etwas gegen mich gehabt hätten. Die Angestellten waren harmlos, aber einem Polizisten gegenüber konnten sie einfach nicht die Wahrheit sagen. Wenn ich nach bestimmten Namen fragte, kannten sie niemanden und hatten diese Personen mit Sicherheit auch nie in ihrem Leben gesehen. Wenn ich Bilder herumzeigte, waren die Fotos scheinbar so schlecht, dass niemand erkennbar war. Wenn ich nach dem Wetter fragte, regnete es selbst wenn die Sonne schien. Wenn ich ein Bier bestellte, bekam ich Kaffee. Ich blickte in die Gesichter der adretten Damen, die frisch herausgeputzt auf ihren Hockern saßen, und des Barkeepers und sah ihnen beim Lügen zu.
„Welche Ehre, dass Sie uns besuchen, Herr Inspektor!“, verkündete der Barkeeper deutlich zu laut, als ich den schweren roten Samtvorhang hinter der Eingangstür zur Seite schob. Die Schaufensterpuppen blickten zu mir herüber, griffen zu einem Glas Sekt oder pafften an ihrer Zigarette. In den dunklen, kaum beleuchteten Sitzecken stoppten die Unterhaltungen und es wurde unnatürlich ruhig im Lokal.
„Vielen Dank für die Begrüßung“, antwortete ich und schob mich zwischen die Damen.
„Was darf’s sein?“ fragte der Barkeeper.
„ Mineralwasser bitte!“
Kurz darauf stand ein doppelter Cognac vor mir. Ich hasste Cognac. Ich musterte ein Mädchen nach dem anderen und wandte mich dann an eine blonde, schon etwas reifere Dame.
„Na, gar keine neuen Mädchen dabei? Alte Ware ist schlecht fürs Geschäft oder täusche ich mich da?“ Erbost verließen zwei Nutten die Theke und verschwanden im Hinterzimmer.
„Charmant wie eh und je, der Herr Inspektor. Sie wissen doch, wir haben fast nur Stammpublikum und brauchen kaum neues Personal. Unsere Gesellschafterinnen sind gebildet und einfühlsam. Das wollen unsere Gäste.“
„Na da bin ich dann wohl der mit der frohen Botschaft“, warf ich einen Köder aus, „denn gerade heute Morgen hatte ich ein sehr informatives Gespräch mit einem - sagen wir mal - Reisebegleiter, der mir versichert hat, dass viel Frischfleisch im Anrollen ist. Da wird dann auch sicher die eine oder andere Schlampe für Sie dabei sein, Goldlöckchen!“
Der kaum bedeckte Busen der Chefin begann zu beben und ihre kunstvoll geschminkten Augen wurden schmal.
„Du warst bisher immer gerne gesehen bei mir, Korelev, aber wenn Du geschmacklos wirst, dann wird es Zeit für Dich zu gehen.“
„Hab ich da einen wunden Punkt getroffen, Süße? Das tut mir leid. Ich wollte doch nur wissen, wann es sich lohnt wieder vorbei zu kommen um mal neue Gesichter bei Ihnen zu sehen. Aber wenn das so ist, dann komme ich eben jeden Abend vorbei, bis ich die neuen Gesichter sehe. Ob das Ihren anderen Gästen so gut gefällt, weiß ich allerdings nicht!“ Bei den letzten Worten drehte ich mich in die Richtung der dunklen Kojen und hob die Stimme. Das sollte reichen, um der blonden vollbusigen Schaufensterpuppe klar zu machen, dass man bei mir mit der Wahrheit immer noch am besten fährt. Ich war nun in Stimmung und beschloss weiter zu ziehen.
„Sie wissen, wo Sie mich finden, Goldlöckchen. Bin immer für Neuigkeiten zu haben.“ Ich schob dem Barkeeper einen Zwanziger über die Theke und steckte das Wechselgeld ohne nachzuzählen in die Manteltasche. Als ich wieder auf die Straße trat, ging ich ein paar Schritte bis zur nächsten Straßenlaterne. Dann fasste ich in meine Manteltasche und fummelte einen kleinen weißen Zettel hervor, der zwischen dem Wechselgeld steckte. Ich warf einen Blick auf beide Seiten, knüllte den Zettel zusammen und versenkte ihn verärgert durch das nächste Kanalgitter. Die nächsten Lokale, die ich besuchte, waren diverse Kulturvereine. Ich hatte während meiner Zeit