Der Fluch von Azincourt Buch 2. Peter Urban

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Der Fluch von Azincourt Buch 2 - Peter Urban

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ausgesprochen wissbegierig. Das Lernen fiel ihm leicht.

      Der alte Mann zog sich einen Stuhl an den Tisch und bedeutete auch seinem Enkel sich zu ihm zu setzen. Seine Rechte strich Gilles liebevoll über die dunkelbraunen Locken und de Craons hellgraue Augen, die ür gewöhnlich kalt und hart blitzten, wurden für einen kurzen Augenblick weich und zärtlich: „Wir haben den Fall Flamel lange untersucht, mein lieber Junge. Ich befürchte, weder de Cramoisi noch ich selbst haben damals irgendetwas übersehen. Es war ein persönlicher Befehl des Königs gewesen, diese Untersuchung durchzuführen. In jenen Tagen, als Charles noch klar im Kopf war, konnte sich niemand Fehler leisten, nicht einmal de Cramoisi.“

      In der Tat waren de Craons Erinnerungen an dieses Schlüsseljahr 1389 so klar und so präzise, als ob sich das Ganze erst gestern abgespielt hätte: Er war fünfunddreißig Jahre alt gewesen, energisch, ehrgeizig und gerissen. Sein Interesse an den geheimen Künsten und an der Ars Alchimia hatte die Aufmerksamkeit des Staatsrates de Cramoisi auf ihn gelenkt, obwohl er nur ein einfacher und unbedeutender Landedelmann von der Loire gewesen war. Dazu war es gekommen, weil der Notarius der Sorbonne Nicolas Flamel, von dem man hinter vorgehaltener Hand munkelte, er besitze ein Zauberbuch und studiere die Alchemie, sozusagen über Nacht angefangen hatte, für Unmengen von gutem Gold Spitäler, Armenhäuser und Kapellen in Paris und in der Hafenstadt Boulogne zu stiften. Zuvor war der Mann zu einer Pilgerfahrt nach Santiago de Compostella aufgebrochen und beinahe zwei Jahre vom Erdboden verschwunden gewesen. Viele andere Männer, die als Alchemisten auf der Suche nach dem Lapis Philosophorum waren, hatten diese Pilgerfahrt gleichfalls unternommen, doch keiner von ihnen war je zurückgekehrt und hatte plötzlich so viel Gold besessen, wie der Notarius des Collegium Sorbonianum. Und niemand hatte je aus Flamels Mund erfahren, was er auf seiner Reise nach Galizien erlebt, oder wen er getroffen hatte. Auch Jean de Craon nicht. Aber dank seines ausgeprägten Spürsinnes und einer großen Gabe komplizierte Intrigen zu spinnen, ohne dabei ertappt zu werden, war er ihm es schließlich doch gelungen, alles herauszufinden..im Verlauf der langen Jahre, die der Untersuchung durch den Staatsrat de Cramoisi gefolgt waren. Er hatte Paris und dem Hof den Rücken gekehrt, um mit seinen eigenen Nachforschungen kein Aufsehen zu erregen. Auf dem Weg, den er eingeschlagen hatte, um das Geheimnis von Nicolas Flamel zu ergründen, war er durch alle Ebenen der geheimen Kunst gewandert. Er hatte dabei unendlich viel gelernt…und schmerzliche Erfahrungen gemacht, die er seinem Enkel ersparen wollte.

      „Damals“, fuhr er für Gilles mit seiner Erzählung fort, „mussten wir die Ermittlungen einstellen, denn wir konnten ihm nichts nachweisen. Flamel war nach außen hin ein ganz ehrlicher, gottesfürchtiger Mann. Sein Skriptorium lief höchst profitabel und das Stiften von Spitälern, Armenhäusern und Kapellen wurde nicht einmal von den misstrauischen Pfaffen als ein Verbrechen angesehen. Dazu kam noch: Flamels Lebenswandel und der von Dame Perenelle, seiner Gemahlin -die reiche Erbin eines bedeutenden Zunftmeisters - waren unauffällig.“

      Gilles hing an den Lippen seines Großvaters. Sie hatten immer schon viel zusammen gearbeitet und experimentiert. Die Ars Alchimia als solche faszinierte ihn, obwohl er diese exakte Kunst, die ihn irgendwie an die Arbeit eines Apothekers erinnerte, oftmals als zu anstrengend und zu zeitaufwendig abtat. Er hatte immer gerne in den Werken geblättert, die sein Großvater im Verlauf eines langen Lebens angehäuft hatte. Doch die meisten dieser Handschriften bedienten sich einer sonderbaren, verschlüsselten Sprache und bildlicher Allegorien. Jean de Craon war davon überzeugt, das nur in ihnen, aber nicht in den zahlreichen anderen Werken die sich mit den schwarzen Künsten befassten, der Schlüssel zu wahrer Macht und zu Geldmitteln ohne Ende lag. Die schwarze Kunst, so predigte ihm der alte Mann dauernd, barg eine nicht zu verleugnende Gefahr eines Tages von den eigenen Dämonen und Geistern aufgefressen zu werden.

      Seitdem Gilles sich bei Azincourt genommen hatte, was er haben wollte und den Sigillenreif an seinem rechten Handgelenk trug, vertiefte er sich trotz der ständigen Warnungen de Craons immer weiter in die schwarze Kunst. Der Großvater besaß in seiner Bibliothek nicht nur den Schlüssel Salomons –Clavicula Salomonis- der die Durchführung magischer Rituale schilderte, mit denen man Geister der Toten beschwören konnte oder Dämonen als Hilfskräfte aus dem Schattenreich rief. Er hatte auch ein eigenes Grimoarium begonnen, in dem er schon seit langem seine Erkenntnisse eintrug und all die Beschwörungsformeln, die ihm Erfolg gebracht hatten niederschrieb.

      Der Sigillenreif war ein mächtiger Schutz. Nachdem Gilles herausgefunden hatte, wie er das Amulett handhaben musste, wagte er sich inzwischen auch an das einzigartige Grimoarium von Armadel heran, das die verschiedenen Ordnungen von Geistern beschrieb, deren Namen und Siegel zeigte und Formeln, mit denen man durch die Hilfe der angerufenen Wesen Bannzauber, Schadenszauber oder Todeszauber vornehmen konnte. Doch das Böse verlangte Blut und de Craon hielt ihn oftmals zurück, denn die Bauernkinder die Gilles zusammen mit seiner kleinen Schar Getreuer ab und an in der Nähe von Champtocé einfing, um einen der Zauber von Armadel zu versuchen, wurden von ihren Eltern vermisst und es entstanden bereits Gerüchte über einen Teufel, der unter der Festung hauste.

      Gilles strich mit der Hand nachdenklich über die hauchdünnen Seiten von Abrahams Buch. Sie waren aus Baumrinde gemacht worden, denn Rinde überdauerte die Zeit besser als Pergament und fiel dem Hunger von Mäusen nur sehr selten zum Opfer. Er hatte den Fluch auf der ersten Seite der Handschrift auch gelesen und nur über ihn gelacht: Er war vielleicht kein Gelehrter und ganz sicher kein Priester oder blöder Pfaffe, aber er fühlte sich durchaus befugt, die große Arbeit um den Lapis mit allen Mitteln zu versuchen.

      „Großvater, nachdem ihr herausgefunden hattet, dass der Jud Canches dem Flamel geholfen hatte, den Text und die Allegorien zu begreifen...warum sollen wir uns da mit diesem Rittersmann aus dem Süden aufhalten? Holt doch einen anderen Jud von Spanien oder treibt einen von den Konvertierten auf, die sich noch immer überall verstecken. Die wissen sicher eher die Bildnisse zu deuten, als dieser verträumte Schöngeist, der uns die Suppenschüssel leer frisst und mit feuchten Augen und verklärtem Blick über Gott und die Vollkommenheit von Seele und Geist doziert.“

      De Craon schmunzelte. Gilles hatte nicht nur Verstand im Kopf, sondern auch Witz und eine scharfe Zunge. Dafür sah er ihm gerne seine kleinen Unvollkommenheiten und Fehler nach. Der junge Mann war inzwischen fünfzehn Jahre alt, aber Geschmack an den Weibern hatte er immer noch nicht gefunden, und das obwohl Jean ihm jede Gelegenheit dazu bot und ihm schon mehrfach gute Partien für eine Heirat vorgeführt hatte. Doch Gilles zog die Gesellschaft seiner kleinen Halunken oder die der Waffenleute von Champtocé vor und wenn es ihm nach Erleichterung war, dann holte er sich irgendeinen Bauernlümmel, den hinterher sowieso kaum einer vermisste…oder er teilte das Lager mit dem Hauptmann von Champtocé, Yves de Kerma’dhec, den er vergötterte und fast genauso innig liebte, wie ihn selbst.

      De Craon seufzte bei dem Gedanken an dieses kleine Problem kurz auf, doch dann schob er es erneut von sich. Er nahm sich wieder einmal vor Gilles in ein oder zwei Jahren endlich energisch ins Gewissen reden...und es ihm gefiel oder nicht. Eine reiche Jungfer mit gutem Namen musste her und ab ins Bett, damit der Gilles einen Erben für das Vermögen de Laval-Craon-Montmorency zeugte. Dann antwortete er dem jungen Mann gutmütig und erklärte: „Claire de Saint Germain entstammt einer Familie, die seit den Tagen des ersten Kreuzzuges Handschriften über die Ars Alchimia nach Frankreich gebracht und übersetzt haben. Er ist für Deinen Geschmack vielleicht ein wenig zu philosophisch, doch glaube mir bitte: Der Mann versteht sein Geschäft und er weiß um die geheimen Lehren und Riten der Ungläubigen. Auch Flamel muss um sie gewusst haben…durch den Juden Canches. Es heißt, dass einst unweit der Stadt Mekka, die die Sarazenen heiligen, zur Zeit ihres Propheten Muhammad ein uralter Einsiedler mit Namen Ben Chasi gelebt hat. Dieser Weissager, Zauberer und Sternedeuter hat den Propheten der Sarazenen in der geheimen Kunst der Ars Alchimia unterrichtete. Als der Unterricht zu Ende war, schenkte Ben Chasi, Muhammad eine metallene Tafel, auf der die Formeln verzeichnet waren, deren Bedeutung der Prophet eben gelernt hatte. Ben Chasi eröffnete seinem Schüler damit die wahre Herkunft des Wissens; es stammte aus dem Lande Mizraims im alten Ägypten und war von dort aus nicht nur nach Chaldäa und Persien gelangt, sondern

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