Böser Verdacht. elmer weyer
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Harper versucht sich in Paulus hinein zu versetzen und sagt: „Vor den heutigen Behörden etwas zu verstecken ist relativ leicht. Aber vor der Gestapo? Zumal der potentielle Denunziant, und den daraus resultierenden Konsequenzen, mit heute nicht vergleichbar sind. Es ist schon psychologisch viel schwerer. Der ständige Druck und die echte Angst vor dem Tode. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob sie als oppositioneller Flugblattverteiler 3 Monate ins Gefängnis, oder unter die Guillotine kommen.“
Snyder etwas skeptisch: „Es wäre ja auch denkbar, er liefe gar keine Gefahr. Er hatte ja auch gar nichts davon gehabt. Ich meine, wer außer uns und Kowalski, oder vielleicht noch der eine oder andere aus der Familie oder dem Umfeld, hat das Tagebuch bisher gelesen.“
Harper: „Ich habe das Original gesehen. Es ist in einem tadellosen Zustand. Keine Kratzer, keine Flecken, absolut sauber.“
Snyder greift einen anderen Gedanken auf: „Eugen Paulus war ein privilegierter Mann. Das muss man auf den ersten Seiten genau erkennen. Er war Bereichsdirektor eines multinationalen Konzernes, dem wir den Namen Contxx geben werden.“
Harper verwirrt: „Contxx? Wenn jemand Contex sagt, wie kann ich denn wissen, dass es Contxx heißt? Was für Namen überlegen Sie sich denn?“
Snyder schüttelt den Kopf und sagt weiter: “Er flog mit dem Flugzeug zu seinen Geschäftspartnern und fuhr mit der Reichsbahn in die Nähe der Front, um seinen Sohn zu besuchen. Er bewohnte mit seiner Familie eine große Maisonettewohnung, in einer Nobelgegend hier in Berlin. Er zahlte 2.900 Reichsmark Miete. Das war achtzehnmal so viel, wie ein durchschnittlicher Arbeiter verdiente.“
„Das Haus steht noch heute unversehrt dort, und es leben Menschen drinnen. Paulus besaß bis Ende 1939 ein Automobil. Er trank bis zu Letzt Bohnenkaffee, hatte ein Telefon und machte überhaupt nicht den Eindruck von den Nazis indoktriniert zu sein. Warum geht dieser Mann ein solches Risiko ein und dokumentiert chronologisch und akribisch genau die Bombennächte mit den entsprechenden Zerstörungen. Eugen Paulus war kein Nazi, und politisch nicht engagiert. Das beweist dieses Tagebuch an sich schon. Vielleicht wollte er wirklich, dass es als ein Stück Geschichte der Familie weitergegeben wird?“
Snyder hebt etwas die Schultern: „Paulus war schon ein Idealist. Er hat darin wahrscheinlich eine Verpflichtung gesehen. Vielleicht wollte er ja auch dieses Risiko. Ich meine nicht, weil er gierig nach Risiken war, sondern weil er ohne das Gefühl des Risikos, nicht wirklich etwas getan zu haben glaubte. Er wollte etwas tun. Etwas, dass ein Hauch von Widerstand oder etwas in dieser Art darstellen könnte. Und etwas tun bedeutete in dieser Zeit Lebensgefahr. Das wusste er genau. Paulus war kein Widerstandskämpfer, er hat lediglich ein Tagebuch geschrieben, mit verstecktem Text zwischen den Zeilen. Er war wahrscheinlich ins geheim stolz auf das was er tat. Stolz, weil er für eine Zeit nach dem Krieg, ohne NS Diktatur schrieb.“
Harper ergänzend: „Eine Zeit, in der es möglich würde, so hoffte und wusste er, in einem demokratischen und freiheitsliebenden Staat dieses Buch öffnen zu können, um seinen Inhalt zu verbreiten. Es war eine Sehnsucht, die ihm antrieb.“
Snyder nickt: Da haben Sie Recht. Aber dieser erste Satz aus dem Vorwort, der allein erfüllt den Tatbestand des Hochverrates nach nationalsozialistischen Gesichtspunkten. Warum will Paulus jetzt noch anfangen Aufzeichnung zu machen und vor allem für wen. Vielleicht für eine Welt, in der die Nazis den Krieg gewonnen, und weiter geherrscht hätten? Ein sehr merkwürdiger Gedanke.“
Harper folgt dem Pfad: „Freisler hätte ihn vermutlich gefragt, was meinen Sie mit - jetzt noch anfangen -. Dieser Satz impliziert doch, dass jetzt noch Zeit dazu ist. Erwartete Paulus etwa eine andere Zeit nach dieser Zeit. Wie können wir das verstehen. Was will er mit einem Tagebuch mit einem solchen Satz im Vorwort? Er will es für eine Zeit nach dieser Zeit schreiben. Aber kein Wort darüber, dass die damalige glorreiche Zeit, genau die ist, die alternativlos in eine noch bessere Zeit führen wird.“
Snyder nickt und sagt: „Die NS Propaganda in Person von Joseph Goebbels ließ keinen Zweifel aufkommen, dass sie diesen Krieg gewinnen werden, um Europa und die Welt, von Juden, Kommunisten und anderen minderwertigen Rassen und Ideologien zu befreien.“
Harper leicht echauffiert: „Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn, wenn nötig, totaler und radikaler, als wir ihn uns heute überhaupt noch vorstellen können?
Snyder: „Und weiter? Wie geht es weiter?“
Harper ertappt, muss sagen: „Weiß ich nicht. Aber Sie.“
Snyder winkt ab: „Nein, natürlich nicht. Aber ich kann es ablesen. Moment, . . . ja hier. Ist euer Vertrauen zum Führer heute größer, gläubiger und unerschütterlicher denn je? Ist eure Bereitschaft, ihm auf allen seinen Wegen zu folgen und alles zu tun, was nötig ist, um den Krieg zum siegreichen Ende zu führen, eine absolute und uneingeschränkte? (. . .) seid ihr bereit, von nun ab eure ganze Kraft einzusetzen und der Ostfront die Menschen und Waffen zur Verfügung zu stellen, die sie braucht, um dem Bolschewismus den tödlichen Schlag zu versetzen? (. . .) gelobt ihr mit heiligem Eid der Front, dass die Heimat mit starker Moral hinter ihr steht und ihr alles geben werdet, was sie nötig hat, um den Sieg zu erkämpfen? (. . .) wollt ihr, insbesondere ihr Frauen selbst, dass die Regierung dafür sorgt, dass auch die deutsche Frau ihre ganze Kraft der Kriegsführung zur Verfügung stellt und überall da, wo es nur möglich ist, einspringt, um Männer für die Front frei zu machen und damit ihren Männern an der Front zu helfen? (. . .) billigt ihr, wenn nötig, die radikalsten Maßnahmen gegen einen kleinen Kreis von Drückebergern und Schiebern, die mitten im Kriege Frieden spielen und die Not des Volkes zu eigensüchtigen Zwecken ausnutzen wollen? (. . .) seid Ihr damit einverstanden, dass, wer sich am Krieg vergeht, den Kopf verliert?“
Nach einer kleinen Pause fährt Snyder etwas weniger pathetisch fort: „Zu allen diesen Fragen hat das im Sportpalast anwesende Volk, mit einem klaren ja geantwortet. Dann sangen sie alle zusammen. Führer befiel, wir folgen. Und Goebels antwortete. Nun Volk steh auf, und Sturm brich los.“
Plötzlich klopft es an der Zimmertür und Harper steht auf, um zu öffnen. Der Zimmerservice in Form einer schlanken, nicht mehr ganz so jungen, dunkelblonden Frau betritt den Raum. Snyder taxiert sie auf Mitte vierzig, etwa 1.64 groß und ca. 54 kg schwer. Ihre Haut hat einen natürlichen mittelbraunen Teint, und ihr Haar ist sehr wahrscheinlich dunkelblond gefärbt. Gekleidet mit blauem Rock und weißer Bluse der Hoteluniform, auf deren linker Brusttasche ein Namensschildchen angebracht ist. Dort steht unter dem Hotelschriftzug handschriftlich Celina Giordano geschrieben.
Mit eleganten Schritten und einem den Raum erleuchtenden Lächeln, schiebt sie einen kleinen Servierwagen vor sich her. Snyders Höflichkeit verpflichtet ihn aufzustehen, wenn eine Dame den Raum betritt. Und da unterscheidet er nicht. Alle begrüßen sich freundlich und Snyder geht ein paar Schritte in ihre Richtung. Es liegt ein Hauch von Verlegenheit in der Luft. Aber es liegt auch noch etwas Anderes in der Luft. Ein Moment lang ist Snyder etwas verwirrt, weiß aber nicht wovon. Zu Glück entdeckt er sofort ein halbes Dutzend appetitlich hergerichtet Sandwiches. Beide Männer bedanken sich höflich, und Harper überreicht geübt diskret noch einen Geldschein. Die Frau bedankt sich, und verlässt den Raum wieder.
Snyder fragt mit skeptischer Mine: „Haben Sie das eben bemerkt?“
„Bemerkt? Was meinen Sie“?
„Sie müssen es doch bemerkt haben. Es ist immer noch im Raum verteilt. Ich gebe zu, es ist nur wenig mehr davon da. Es ist ihr Duft, Harper. Es ist dieser Duft, das Parfum meine ich. Das kenne ich. Das kenne ich genau. Wir hatten mal einen Mordfall. Ein Mann wird nackt und tot im Bett eines