TRAANBECKS AUSNAHMEZUSTAND. Christian Schwetz

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TRAANBECKS AUSNAHMEZUSTAND - Christian Schwetz

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Bei jenen Büchern, die er vom Titel und Autor her eindeutig erkannte, fiel es ihm nicht schwer, die einzelnen Buchstaben zu identifizieren. Oder spielte ihm da sein Gehirn einen Streich? Wenn man weiß, was ein Wort heißt, ist es ja eine Selbstverständlichkeit, die einzelnen Buchstaben zuzuordnen, und sie quasi lesen zu können, obwohl das von der Optik her nicht möglich ist.

      Beim nächsten Blick auf die Armbanduhr nahm er wahr, dass dort wo die Zeiger sein sollten, zuerst nur verschwommen leuchtende Flächen vibrierten, die sich erst langsam zur kompakten Masse der Zeiger verdichteten. Der Gedanke, warum seine Augen so seltsame Bilder sahen, wo in Wirklichkeit ganz normale Dinge waren - vielleicht durch das lange Starren auf das Bücherregal - wurde langsam von der Botschaft „Zehn nach Fünf“ überlagert.

      Wieso war Miriam noch nicht da? Wenn sie, wie versprochen, um vier Uhr aufgehört hatte, zu arbeiten, hätte sie doch Minuten später das Büro verlassen müssen. Er selbst brauchte für den Heimweg zu seiner Wohnung an schlechten Tagen vierzig Minuten. Da Henk nicht wollte, dass Miriam bei ihrem ersten Besuch in seiner Wohnung einen schlechten Eindruck von ihm hatte, war er bei den Vorbereitungen von dreißig Minuten für den Weg von Tür zu Tür ausgegangen, wenn die U-Bahn keine Störung hatte und die Straßenbahn sofort kam.

      Knapp vor halb fünf war er hektisch hin und her gelaufen, darüber fluchend, dass es viel länger dauerte, alles herzurichten, als er angenommen hatte. Hier noch einen Stapel Zeitschriften ordentlich zusammenlegen und auf einem Eck des Schreibtisches ablegen. Die Schuhe im Vorzimmer gerade hinstellen, nein, doch so viele wie möglich ins Kästchen stopfen, dass nur ein paar Turnschuhe und seine Büroschuhe sichtbar herumstanden. Den Besen hinter dem Kasten verstauen, nein, noch einmal unter Tisch und Bett kehren, aus diesem Winkel waren ja noch große Staubfusseln zu erkennen. Hätte er überhaupt aufwaschen sollen? Er hatte schließlich noch nie eine Freundin bei sich in der Wohnung gehabt. Auch noch keine Kollegen aus der Versicherung. Abgesehen davon, dass Miriam für Henk mehr war, als nur eine Kollegin, oder irgend eine Freundin. Freundin, im allgemeinen Sinn. So, wie Fjodor eben ein Freund war. Henk war natürlich nicht verliebt in Miriam. Das heißt, wieso natürlich? Wäre es für einen jungen Mann über Zwanzig nicht viel natürlicher, er hätte laufend Freundinnen in seiner sturmfreien Bude? Oder nicht laufend verschiedene, sondern eine, mit der er glücklich und... Stop.

      Ich weiß doch, wie es sich anfühlte, verliebt in ein Mädchen zu sein, dachte er. Nein, nicht Mädchen, in eine Frau, junge Frau eben. Bei Miriam spürt sich das nun mal nicht so an, in mir drin, in meinem Kopf, oder in meinem Herzen, oder wo immer diese Gefühle herkommen. Oder sich ausleben. Aber trotzdem. Einen guten Eindruck will ich schon auf Miriam machen. Wo sie so lange bleibt?

      Henk traute sich den Fernseher nicht anstellen. Auch wenn er nach dem Läuten an der Wohnungstür noch Zeit hätte, ihn wieder abzuschalten – vielleicht wären die Geräusche ja doch bis zur Tür zu hören. Und das gleiche mit Musik. Natürlich war nichts Peinliches daran, Musik zu hören, oder ab und zu die richtige Sendung in der Glotze zu gucken. Aber was war die richtige Musik, was war die richtige Sendung? Die Bücher, verdammt, an seinen Büchern konnte er nichts mehr ändern. Für einen ersten Blick sahen die zumindest nach Interesse an Literatur aus. Ein paar Klassiker von seinen Eltern, ein paar moderne Literaten, ein bisschen Science Fiction, ein paar Krimis. Bei einer näheren Analyse würde sich freilich herausstellen, dass die Auswahl zu willkürlich und beliebig war. Oberflächlich. Billig. Nicht die wirklich wichtigen Klassiker, vollständig und bewusst ausgewählt. Nicht die wirklich modernen Werke der Moderne, nicht die wegweisenden SF-Pioniere. Alles nur angedeutet, nichts ging in die Tiefe. Aber für eine bewusste Persiflage, für einen Philosophen der neuen Oberflächlichkeit war die Auswahl nicht umfangreich genug. Keine Bibel, kein Simmel, kein Hohlbeck, kein Liebeskitsch.

      Das Läuten der Türklingel ließ Henk zusammenzucken. Diese ärgerlichen und unverständlichen Körperreaktionen. Wenn man etwa an einem Gartenzaum vorbeiging, den Hund von weitem sah, sich selbst Mut zusprach: ‚Du brauchst nicht erschrecken, wenn der jetzt loskläfft, du weißt ja, er kann nicht an dich heran’, und dann trotzdem voll zusammenzuckte, wenn der Hund endlich losbellte. Läuten, ach ja, da ist sie, jetzt aber.

      Miriam war ebenfalls etwas aufgeregt. Jetzt war sie gleich in Henks Wohnung. Er musste nur noch die Tür öffnen und sie hereinbitten. Wie er wohl aussieht? Ob er schwer krank ist? Ansteckend wird es schon nicht sein. Dann hätte er nicht zugestimmt, dass sie zu ihm kam, oder?

      Die Tür ging auf, und Henk spürte ein kleines Zusammenzucken in sich drin. Nicht so ein großes Erschrecken, wie bei einem bellenden Hund, sondern nur ein kleines Zucken, dass da Miriam stand, obwohl er wusste, nein, aber zumindest fast sicher war, dass Miriam da stehen würde.

      Miriam fand, dass Henk aussah wie immer. Er war nicht bleicher als sonst, er war nicht im Pyjama, er war nicht schweißgebadet. Das verhaltene Grinsen unterschied sich nicht von der Art, wie er sie sonst auch immer schüchtern anlächelte. Die Augen hatten diesen leicht weltfremden Ausdruck, dieses: wer bist du, was willst du von mir, wie kann ich deinen Erwartungen entsprechen, das sie so an ihm mochte. Nichts von fiebrigem Glanz, nichts von totem Glotzen, keine dicke Glaswand aus Schmerz oder Verzweiflung. Miriam merkte, dass sie der Reihe nach alle Angstträume, was ihm hätte zustoßen können, Schablone für Schablone vor ihn hielt, und mit der Wirklichkeit verglich.

      „Hallo, du, gut siehst du aus“, sagte sie, und dachte: ‚so normal wie immer eben, nix Furchtbares ist dir anzusehen’. Das „Äh, öh, hallo. Schön dass du endlich da bist“, mit den groß aufgerissenen Augen und dem fragenden Blick entsprach dem Henk, den sie aus dem Alltag kannte. Ein wirklich kranker und veränderter Henk hätte wahrscheinlich ein „Heh Baby, cool dass du da bist. Komm rein, Süße“ gehaucht.

      „Ich komm dann mal rein, oder?“ nahm Miriam die Initiative an sich, und grinste über sein „Äh, hmm, klar doch.“

      WIR überspringen den Smalltalk. Miriam merkte, dass Henk nicht krank war und nicht ihre Fürsorge brauchte. Sie fand ihn so liebenswürdig wie im Büro. Wie ein altkluges aber hilfloses Kind, oder wie ein hübsches Stofftier. Liebenswürdig auf eine harmlose und nette Art. Nichts für die große Liebe, aber für ein kleines Lieb-Haben.

      Henk war Miriam dankbar, dass sie so unkompliziert war. Das ließ ihm Spielraum, sich selbst in der Rolle als Gastgeber, der Rolle als freundlicher junger Mann, der Rolle als Freund der gar nicht versuchte, mehr als ein Freund zu sein, zu beobachten.

      WIR wissen, dass Miriam mehr darüber nachdachte, warum Henk so auf sie wirkte, als darauf, was er sagte. Und dass Henk mehr darüber grübelte, wie er auf Miriam wirkte, als was sie tatsächlich antwortete.

      Als Miriam fragte, was er eigentlich gehabt hatte, wollte er schon mit einem „Nichts Besonderes“ darüber hinweg gehen. Stark und gesund sein. Edel, aufrecht und gut. Da fiel ihm ein, dass sie vielleicht mit Fjodor gesprochen hatte. Was er ihr wohl gesagt haben mochte? Ich will mich nicht in Widersprüchen verrennen, dachte er. Wenn man einmal mit dem Lügen anfängt, ist es schwer, da wieder raus zu kommen.

      „Hast du inzwischen mit Fjodor gesprochen?“ fragte er.

      „Wieso mit Fjodor? Du hast mir ja schon am Telefon erzählt, dass er bei dir war. Und dass ihr etwas Wichtiges besprochen habt. Ich will jetzt von dir wissen, was los ist. Vergiss Fjodor. Ja, ich habe mit ihm gesprochen, aber jetzt will ich es von dir noch mal hören“ log sie.

      Miriam ärgerte sich über dieses Fjodor-Getue. Sie sah Henk an, dass er ihr nicht alles sagen wollte, aber Angst hatte, dass Fjodor das bereits erledigt hätte. Henk sah nicht krank aus, aber durch dieses Herumtaktieren, das sie in seinen Augen, seinen Mundwinkeln sah, kamen ihre schlimmsten Befürchtungen wieder hoch.

      „Hmm, tja, also, mit meinen eigenen Worten,“ drückte Henk sich herum, „wie soll ich das ausdrücken. Aber dass du dem Fjodor nicht glaubst,

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