TRAANBECKS AUSNAHMEZUSTAND. Christian Schwetz
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„Ich kann dir nicht zuschau'n“ setzte Miriam noch eins drauf und nahm ihm das Messer aus der Hand.
Zugegeben, ihre Zwiebelstücke waren fast halb so schmal wie seine. Aber was sollte er denn inzwischen tun?
„Und du drehst schon mal den Computer auf“ beantwortete ihm Miriam die stumm gestellte Frage. „Ich glaube, dass es am Wichtigsten ist, dass du zuerst diesen Zustand noch einmal erreichst. Und überhaupt. Dieses dauernde „dieser Zustand“ nervt. Wir sollten uns einen Namen dafür überlegen“.
WIR überspringen die ersten Vorschläge, die Henk in den Sinn kamen und viel mit Hyper- Super- Mega und anderen Übertreibungen zu tun hatten. Letztlich war es aber seine Idee, dass er als Entdecker dieses Was-Auch-Immers seinen Namen verewigen könnte. WIR fassen zusammen, dass die Beiden mit Worten experimentierten, sich den Klang auf der Zunge zergehen ließen, und auskosteten, was für Gefühle die einzelnen Bezeichnungen beim Hören auf der Haut, im Bauch und im Kopf auslösten. Bald war klar, dass sie gerne eine Abkürzung verwenden wollten, aus zwei oder drei Buchstaben am Besten. Die Eierspeise war inzwischen fertig. Als Miriam nach Brot fragte, merkten sie, dass Henk keines mehr in der Wohnung hatte. So aß Miriam ihre Rühreier mit Knäckebrot und Henk ohne irgendeine Beilage. Unter Mampfen und Kauen suchten sie weiter nach Worten und Wortkombinationen, bis sie schließlich beide zufrieden waren.
Traanbecks Radikaler Ausnahmezustand wollten sie diese Form vertiefter und verknüpfter Wahrnehmung nennen: TRA.
Kapitel 4
Miriam stand schräg hinter Henk, sah abwechselnd auf den Bildschirm und auf Henks Profil. Die Ansätze winziger Bartstummeln kamen an einigen Stellen durch die leicht gerötete Haut. Ob er sich erst vor kurzem rasiert hatte? Oder entsprach sein Bartwuchs einfach noch nicht dem eines durchschnittlichen Fünfundzwanzigjährigen? So alt musste er etwa sein. Er war schließlich mit Fjodor zur Schule gegangen, und soweit sie wusste, hatte keiner eine Klasse wiederholt.
Sie erinnerte sich an Fjodors Fest zum 25. Geburtstag vor ein paar Monaten. Er hatte im Dezember Geburtstag, zwischen Weihnachten und Neujahr, weshalb er sein Fest in den Frühling verlegt hatte, weil zwischen den Feiertagen kaum jemand Zeit hatte. Die Studenten unter Fjodors Freunden hatten Ferien und zum Großteil die Stadt verlassen. Wer – wie Fjodor, Miriam oder Henk - das Studium schon abgeschlossen hatte, musste die Vertretung von Kollegen mit Kindern übernehmen. Du musst Rücksicht nehmen, auf die, die Rücksicht auf die Schulferien von Kindern nehmen müssen, hieß es da. Das schien in Fjodors Steuerberatungskanzlei ähnlich zu sein wie in der Versicherung, für die Miriam und Henk arbeiteten. Sie hatte gut verstanden, dass Fjodor nach Weihnachten, wenn die wenigen Kinderlosen alles, was vor Jahresende fertig sein musste in Doppelschichten hinter sich bringen sollten, keine Lust mehr hatte, ein Fest zu organisieren. Für Nicht-Studenten, die ähnlich geschlaucht waren wie er und mit dem Wissen, dass die Hälfte seiner Bekannten sich wo anders eine schöne Zeit machten.
Miriam wusste nicht, wie lange Henk schon zitterte, während sie über Fjodors Fest nachgegrübelt hatte. Nun zitterte er jedenfalls, von den Schultern bis in die Fingerspitzen. Ein Blick auf den Bildschirm zeigte ihr, dass er aufgehört hatte zu lesen. Der Rhythmus von Seitenwechsel – lesen – konzentriert starren – Seitenwechsel – lesen – konzentriert starren war irgendwann beim Starren hängen geblieben. Miriam beugte sich weiter nach vorne, um mehr von Henks Gesicht zu sehen. Seine Augenlider waren weit aufgerissen, riesige schwarze Pupillen hatten das Goldbraun bis auf zwei dünne Ringlein zurückgedrängt, die fast ansatzlos in das von roten Rissen durchzogene Weiß der Augäpfel übergingen. Der Mund war leicht geöffnet, die in winzigen Intervallen leicht vor und zurück und auf und ab hüpfende Zungenspitze lies Miriam an Morsezeichen denken. Ein Blick zurück auf die Finger, ja, das Bild passte, auch die Finger schienen, jeder für sich, im gleichen Rhythmus Morsezeichen auf imaginäre Tasten zu klopfen, weniger als einen halben Zentimeter oberhalb der tatsächlichen Computertastatur.
„Henk, hörst du mich? Hast du TRA erreicht? Henk, hallo“ drang es von hinten in Henks Bewusstsein. Ja, er hatte TRA erreicht. Er war eins mit den Zeichen und Symbolen, es machte ihn glücklich, wieder mit den Daten, die er vor Tagen erst auf diese intime Weise kennen gelernt hatte, vereint zu sein. Er wusste, er sollte Miriam ein Zeichen geben, er hatte es vorgehabt, hatte seine Hand heben wollen, oder eine Nachricht in ein neues Dokument schreiben, oder einfach sagen „ja, ja, ich bin im TRA, es ist so schön, du solltest das auch erleben“. Aber es gab so viel zu sehen, soviel zu spüren. So viele Worte, die in so vielen Zellen seines Körpers ihre Entsprechung hatten. Und in seinem Gehirn diese Reste von „ich“, Teil des Ganzen, nicht mehr oder weniger wert. Warum sollte er das unterbrechen, nur um Miriam, die das ohnehin nie verstehen konnte mitzuteilen, dass er noch nicht in der Lage war, ihr zu vermitteln wie sich das anfühlte?
„Henk, hörst du mich? Hast du TRA erreicht? Henk, hallo“. Miriam sah, dass Henks Zuckungen stärker, großflächiger wurden. Als ob er gegen enganliegende, stramme Fesseln aus unsichtbarem Gummi oder Plastik ankämpfen würde, sich aber nicht daraus befreien könnte.
„Henk, wenn du mich hörst, heb die rechte Hand, oder sag was. Bitte Henk. Ich will dich noch nicht schütteln, wenn du wirklich im TRA bist. Versuchen wir, ob du zu mir durchkommst, wenn du mich hörst. Hörst du mich Henk? Bitte, gib mir ein Zeichen, wenn du mich hörst.“
„Henk, wenn du mich hörst,…“
Ja, ja, ich höre dich ja. Ich will aber nicht auf dich hören. Das ist mir alles noch zu viel. Die Daten auf dem Computer, und jetzt auch noch die Daten, die du sendest. Das sind doch auch nur aus einzelnen Tönen zusammengesetzte Zeichen. Ich weiß, wie du sie im Mund formst, und ich weiß, welche Fülle von Tönen dir zur Verfügung stehen, um diese Botschaft an mich zu senden.
„Heb die rechte Hand, oder sag was.“
Ja, was denn nun? Du wählst aus einer fast unbeschränkten Zahl möglicher Signale ein paar aus, um mir eine bestimmte Botschaft zu senden, und trotzdem wird deine Botschaft so ungenau. Was soll ich denn nun machen? Ich könnte die Hand heben. Die Rechte sagst du. Das ist zumindest konkret. Es ist nicht die Linke, und du willst ein einfaches Heben, kein Winken, kein Klopfen. Du bemühst dich, es mir leicht zu machen und mir die Entscheidung abzunehmen. Warum widerrufst du diese einfache Anweisung dann, um ein paar Silben von mir zu fordern. „Sag was“ – das ist ja völlig unbestimmt. Ich kann doch derzeit nicht klar denken, wie sollte ich also entscheiden können, welche Worte aus der unendlichen Vielzahl an Möglichkeiten ich...
„Bitte Henk. Ich will dich noch nicht schütteln, wenn du wirklich im TRA bist.“
Nein, bitte nicht, es war schwer genug, diesen Zustand wieder zu erreichen. Ein idiotischer Name, aber immerhin. Traanbecks Radikaler Ausnahmezustand, das sagt auch nicht weniger aus, als die meisten anderen Bezeichnungen, die uns vorher eingefallen sind. Es ist ja tatsächlich ein radikaler Ausnahmezustand. Und zwar meiner. Ich, Henk Traanbeck, hänge hier fest, zwischen all diesen Bildern in meinem Kopf. Die Beschreibung der toskanischen Landschaft etwa, die ich in einem Email von Geraldine vom 28. Juni letzten Jahres lese und weiß und verstehe, ist nicht weniger präsent wie das Bild, welche Muskeln ich auf welche Weise spannen und entspannen müsste, um deinem Wunsch, den Arm zu heben zu entsprechen.
„Versuchen wir, ob du zu mir durchkommst, wenn du mich hörst.“
Ja, ich höre dich ja, ich danke dir, dass du mich auf eine höhere oder tiefere Ebene geholt hast, wo ich nicht nur überwältigt von der Informationsfülle bin, sondern auch einen eigenen Willen habe. Oder die Ansätze zu eigenem Willen. Es ist ja irgendwo