TRAANBECKS AUSNAHMEZUSTAND. Christian Schwetz

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TRAANBECKS AUSNAHMEZUSTAND - Christian Schwetz

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So sag doch was, wollte er sie durch das Telefon hypnotisch beeinflussen. Wieso redet sie nicht weiter? Das ist doch jetzt ihr Part, dachte er.

      „Anna, bist du noch da?“

      Mist, Mist, Dreifach-Mist, jetzt kam auch noch Dr. Ludwig zurück ins Zimmer und setzte sich an seinen Arbeitsplatz, gegenüber von Fjodor.

      Fjodor hatte mit dem Anruf extra gewartet, bis Dr. Ludwig in einer längeren Besprechung war. Für 15 Uhr war der Termin mit Frau Karoling von der KIKO-Gmbh in Ludwigs Terminkalender eingetragen. Warum war sein Zimmerkollege schon wieder da?

      „Du Anna, bist du noch dran? Bei mir geht es jetzt eigentlich auch schlecht.“

      „Fjodor, so geht das nicht! So kannst du nicht mit mir umspringen! Wenn du mich heute nicht treffen kannst, dann erwarte ich, dass du mir erklärst warum, ohne dass ich dir jedes Wort aus der Nase ziehen muss!“

      Während er mit dem einen Ohr Annas wütende Stimme aus dem Telefon hörte, zwinkerte ihm Dr. Ludwig zu und sagte: „Na März, wieder Schwierigkeiten mit deiner Freundin?“

      Franz Ludwig lehnte sich in seinem Sessel zurück, nuckelte an einem der Kanzleibleistifte, und sah Fjodor herausfordernd an.

      „Franz, misch dich nicht ein“, sagte Fjodor zu seinem Gegenüber, was dessen Grinsen noch breiter werden ließ.

      „Wieso bist du jetzt nicht in der KIKO-Besprechung?“ wollte Fjodor wissen.

      „Hallo Fjodor, würdest du gefälligst weiter mit mir reden, und nicht mit deinem arroganten Arsch von Kollegen“, pfauchte Anna aus dem Hörer. Obwohl er sich von links und rechts bedrängt und in die Mangel genommen fühlte, musste Fjodor lächeln, wenn er an die Gesichter der alten Damen in der Arztpraxis dachte. Er hatte Anna zwar noch nie während ihrer Dienstzeit als Sprechstundenhilfe besucht, sondern erst einige Male nach der Arbeit dort abgeholt, aber ein paar mehr oder weniger kranke, gelangweilte alte Damen gehörten seiner Vorstellung nach in das Wartezimmer eines Praktischen Arztes.

      „Antworte gefälligst, wenn ich mit dir rede, du Arschloch!“

      Fjodor sah dem Gesichtsausdruck seines Kollegen an, dass er Annas Gekreische durch den Telefonhörer verstanden hatte. Das schadenfrohe Leuchten, das sein Grinsen zuvor begleitet hatte, war einem pikierten Blick ins Leere gewichen. Fjodor meinte, in den bemüht ins Nichts schauenden Augen Gedanken wie: „Mann, ist dem seine Tussi peinlich“ lesen zu können. Und wieder sah er die Reihe der alten Damen in der Ordination vor sich, jede Zweite mit einer Mimik wie Dr. Ludwig, die andere Hälfte mit vor Schreck aufgerissenen Mündern, Händen die zum Mund hochfuhren, um den Schrecken zu verstecken, und pikiertem Kopfschütteln. „Also diese heutige Jugend. Solche Ausdrücke sollen sie benutzen, wenn sie sich in der Gosse treffen, oder wenn es sein muss, in ihren proletarischen Wohnungen, aber doch nicht in der Praxis des guten Dr. Pühringer“, säuselten ausgedachte Vorwürfe durch Fjodors Kopf.

      Die Situation wurde ihm zu viel und er legte auf. Er wusste, dass Anna Recht hatte. Er war wirklich ein Arschloch. Statt Anna zu erklären, warum er sie heute nicht sehen konnte, und sich ihrer Wut zu stellen, hatte er aufgelegt. Wieso konnte er nicht normal mit Anna reden? Und wenn es sein musste, Dr. Ludwig ignorieren oder abwimmeln. Na gut, er hatte Ludwig ignoriert. In seiner Hilflosigkeit, wie er sich Anna oder zumindest dem Kollegen gegenüber verhalten sollte, hatte er lieber an die alten Damen in der Arztpraxis gedacht. Und dachte schon wieder an die.

      Fjodor stand auf und verließ das Zimmer, ohne Dr. Ludwig anzusehen. Der war schließlich nicht sein Vorgesetzter, er war ihm keine Rechenschaft schuldig. Die Zeiten, als Franz Ludwig ihn eingeschult hatte, waren vorbei. Die Buchhaltungs- und Abschlussprogramme der Kanzlei waren Fjodor inzwischen so vertraut wie der Alltag in einer Steuerberatungskanzlei. Nach mehr als zehn Monaten Berufserfahrung hatte Fjodor nur noch wenige Fragen pro Woche an den älteren Kollegen, den er zwar duzte, von dem er insgeheim aber immer als ‚Dr. Ludwig’ dachte. Beide wussten, dass neun von zehn Fragen nichts mehr mit Unerfahrenheit sondern mit Fjodors Faulheit zu tun hatten, was die Beziehung zwischen ihnen belastete. Wenn Dr. Ludwig dem Chef sagen würde, „der März arbeitet nichts, sondern telefoniert den ganzen Tag mit seiner Freundin“,...

      Ein gutes Bild würde das nicht machen. Mist, verfluchter.

      Fjodor ging Richtung Toilette, aber gleich zur Hintertür hinaus. Im Flur des Hinterhauses rauchte er erst mal eine Zigarette. Im Grunde war es gut, dass das Rauchen in den Kanzleiräumen verboten war. Da Dr. Ludwig Nichtraucher war, konnte der ihn jetzt wenigstens nicht stören. Also Anna nochmals anrufen. Das Handy hatte er zum Glück nicht am Schreibtisch liegen lassen, sondern in der Innentasche seines Sakkos. Fjodor überlegte, wie er ihr das mit heute Abend erklären sollte. Er war sicher, dass er nichts von Henk und Miriam sagen durfte. Das würde Anna erst Recht auf die Palme bringen.

      Vor einer dreiviertel Stunde hatte ihn Henk angerufen und erzählt, dass Miriam bei ihm gewesen war. Dass er wieder den Ausnahme-Zustand erreicht hatte und dass er heute mit Miriam weiter experimentieren würde. Und mit ihm, falls er kommen konnte und wollte.

      Ja, er würde kommen, hatte Fjodor zugesagt. Das, was Henk ihm vor zwei Tagen von diesem seltsamen Bewusstseins-zustand erzählt hatte, war faszinierend gewesen. Völlig verrückt natürlich, aber faszinierend. Wahrscheinlich war es Blödsinn. Irgendeine Überreizung von Henks Nerven, die dazu geführt hatte, dass er sich diese Dinge einbildete. Aber wenn es doch wahr wäre, wenn nur eine Spur Wahrheit dabei war…

      Fjodor hatte die letzten beiden Tage immer wieder an Henks Geschichte gedacht. Er glaubte nicht wirklich an eine Verschmelzung mit den Daten, durch die alle gespeicherte Information einfach verfügbar und verständlich war. Es kam ihm vor, wie eine Lotto-Runde mit Mehrfachjackpot. Die Chance, zu gewinnen war minimal, aber gleichzeitig konnte er es sich nicht leisten, es gar nicht zu versuchen.

      Er träumte von den tollen Möglichkeiten, falls Henks Erlebnis wiederholbar sein sollte. In Rekordtempo die Steuerberaterprüfung schaffen, wenn er alle Daten im Computer kannte und verstand und begriff. Oder Börsenspekulationen. Wenn man wirklich alle vorhandenen Informationen so verknüpfen konnte, dass man selbst ein Teil davon wurde, war es ja nur notwendig, die entsprechende Fülle an Daten zu beschaffen, um diese nachher nutzen zu können.

      Ja, er wollte bei diesen Experimenten dabei sein. „Wenn er konnte und wollte“, so eine blöde Formulierung. Wenn man will, dann kann man auch. Dass er Anna gesagt hatte, er könne nicht kommen, da er keine Zeit hätte, war eine glatte Lüge. Er konnte nicht mit Anna den Abend verbringen und bei und mit ihr schlafen, weil er mit Henk in irgendwelche neuen Dimensionen des Bewusstseins vordringen wollte. Aber das konnte er Anna doch nicht sagen. Zumindest nicht mit diesen Worten. Darum hatte er gesagt, dass er keine Zeit hätte. Sich aus dieser Lüge wieder herauszureden war schwierig. Fjodor fand, dass es egal war, ob er das nun gleich, erst am Abend, oder irgendwann in den nächsten Tagen versuchen würde.

      Er dämpfte die Zigarette aus. Aus dem halbvollen Aschenbecher stieg weiter qualmender Rauch auf. Fjodor sah den Rauch, aber konnte ihn keinem Zigarettenstummel zuordnen. Er griff hin, wollte ausdrücken, nein, das war der falsche Stummel. Beim nächsten Versuch das gleiche Ergebnis. Er folgte der Spur des Rauches und fingerte die schlecht ausgedämpfte Zigarette hervor. Er drückte sie mit Kraft und wildem Drehen gegen den Boden des Aschenbechers, dass sie sich verbog, die Tabakreste zerbröselten, und vom Filter nur ein fast runder Stummel über blieb.

      Kapitel 6

      Miriam keuchte die Stiegen hinauf. Vielleicht hätte sie doch lieber auf den Aufzug warten sollen. Sie wollte nicht verschwitzt und außer Atem vor Henks Tür stehen. Aber sie wollte vor Fjodor ankommen,

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