GENAU INS GLÜCK - Oder knapp daneben. Bernhard Bohnke
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"Unmöglich", zeterte Schmidt-Schmitz, dessen Stimme auf einmal gar nicht mehr sonor klang, sondern sich an das piepsige Äußere ihres Besitzers angepasst hatte. "Der Meister, der - wie wir alle wissen - französisch sprach, verwendete die Wortfolge 'à tous points de vue'. Und das übersetzt man am genauesten mittels 'Gesichtspunkt', die ganze Wortfolge bedeutet 'unter jedem Gesichtspunkt'. Aber das fanden die Herrschaften ja zu lang und umständlich."
Stefan stöhnte. Hier hatte er offensichtlich ungewollt einen neuralgischen (Gesichts-)Punkt angesprochen, der die positiven Gemüter schon seit langem entzweite. Um das spitzfindige Streitgespräch zu stoppen, fragte er schnell nach:
"Von welchem Meister reden Sie denn?"
Schmidt-Schmitz übernahm das Antworten.
- Wie berufen uns auf Emile Coué, den Begründer der Lehre von den Suggestionen.
- Suggestion? Es geht doch um Positives Denken!
- "Suggestion" meint im Grunde das gleiche. Das Wort bezeichnet die Beeinflussung unserer Seele, entweder durch einen anderen oder uns selbst; die Selbstbeeinflussung nennt man "Autosuggestion". "Positives Denken" ist nur ein neumodischer Begriff. Sie haben wohl schon Erfahrungen damit gemacht. Erfolgreiche?
- Ähh, recht erfolgreiche ... nein, ehrlich gesagt wenig erfolgreiche. Und deswegen bin ich auch hier.
- Nehmen Sie sich das nicht zu Herzen. Es ist nicht Ihre Schuld, Sie sind nur auf den falschen Weg geraten. Wahrscheinlich haben Sie Bücher von Leuten wie Pill und Montag gelesen.
- Ja, genau.
- Nun, dabei geht es um die amerikanische Richtung der Positiv-Bewegung bzw. ihre deutschen Nachäffer. Ich sage dazu nur: oberflächlich, unseriös, unausgegoren, schmalbrüstig - eben typisch amerikanisch. Wir wurzeln dagegen in der ehrwürdigen, altbewährten europäischen Tradition, die wie gesagt auf Couézurückgeht. Ausgezeichnet.
Stefan fühlte sich durch die Selbstbeweihräucherungen von Schmidt-Schmitz irritiert. Daher sagte er mit einer gewissen Schärfe: "Ich dachte, Coué sei Mitglied der Schreckensherrschaft nach der französischen Revolution gewesen und habe Menschen einen Kopf kürzer machen lassen, aber nicht ihren Kopf mit positiven Gedanken gefüllt."
Schmidt-Schmitz war ehrlich entsetzt. Die Nickelbrille rutschte ihm von der Nase, der Mund öffnete sich vor Schreck und wollte sich gar nicht mehr schließen. "Mein lieber Freund", brachte er schließlich hervor, mit streng erhobenem Zeigefinger. "Sie verwechseln Coué mit Fouché. Coué übte den ehrenvollen Beruf des Apothekers aus."
Stefan wollte "Schmidtchen-Schleicher" (wie er ihn für sich umbenannt hatte) nicht weiter erzürnen und fragte ganz sachlich:
- Was ist denn der genaue Unterschied zwischen den Ami-Positivlern und Ihnen? (Der Begriff "Ami-Positivler" schien Schmidtchen-Schleicher zu gefallen, er murmelte leise sein "Ausgezeichnet".)
- Um nur zwei Hauptunterschiede zu nennen: Sie haben doch sicher bei den ... äh Ami-Positivlern gelesen, man müsse sich das gewünschte Ziel in aller Anschaulichkeit vorstellen.
- Stimmt.
- Das ist falsch. Solche inneren Vorstellungen sind überflüssig, sie können sogar schädlich sein. Es genügt, positive Worte auszusprechen, ohne dabei gezielt positiv zu denken. Die Gedanken folgen den Worten von alleine. Und intensive emotionale Vorstellungen können sogar die Wirkungskräfte von Worten und Gedanken stören. Man soll sogar am besten ganz monoton sprechen, gebetsmühlenartig. Um auch mal einen neumodischen Ausdruck zu verwenden: Es ist eine "sich selbst erfüllende Prophezeiung". Indem Sie eine Prophezeiung, also eine Aussage über die Zukunft aussprechen, erfüllt sie sich von selbst. Wenn Sie z.B. sagen "Ich werde dünn", werden Sie automatisch dünn (warum nimmt er gerade dieses Beispiel? fragte sich Stefan leicht gekränkt). Aber wichtig ist die Wiederholung. Es genügt nicht, Ihr Ziel einmal auszusprechen, Sie müssen es immer und immer wieder tun.
- Und ich habe mich so angestrengt, mir alles in den kleinsten Einzelheiten innerlich vorzustellen.
- "Angestrengt" sagen Sie. Damit sind wir schon bei dem zweiten Problem. Wahrscheinlich haben Sie auch öfters gelesen, Sie müssten Ihre Willenskraft voll einsetzen.
- Ja, ich habe sogar versucht, meinen Willen zu stählen, um so das Positive herbeizuzwingen. So ähnlich wie es in der Werbung heißt: "Zwingt weiß rein, zwingt grau raus."
- Auch falsch. Völlig falsch.
- Wieso denn das?
- Hier muss ich ein wenig ausholen. Keine Angst, nicht zu lang (er hatte wohl Stefans Gesichtsausdruck richtig gedeutet). Coué hat zwei Gesetze der Suggestion aufgestellt. Das erste heißt "Gesetz der Gedankenverwirklichung". Es lautet vereinfacht: "Jeder Gedanke, der uns erfüllt, drängt mit aller Macht auf seine Verwirklichung." Und zwar von ganz alleine. Unser Meister sagt: "Wie das Wasser den Weg zum Meere findet, so finden die Gedanken, die uns erfüllen, den Weg zu ihrer Verwirklichung." Das zweite Gesetz heißt "Gesetz der das Gegenteil bewirkenden Anstrengung". Wie schon der Name verrät, besagt es: Eine verkrampfte Willensanstrengung führt gerade zum Misserfolg. Wenn Sie zum Beispiel mit aller Willensanspannung versuchen, ein Erröten zu verhindern, werden Sie gerade rot. (Stefan faßte automatisch an sein Gesicht, aber es fühlte sich noch kühl an.) Vor allem, wenn Sie etwas wollen, aber an das Gegenteil denken und glauben, ist Ihr Wollen aussichtslos. Denn die Gedankenkraft übersteigt die Willenskraft bei weitem.
- Ist denn das auch ganz sicher?
Natürlich. Die Gesetze von Coué gelten ebenso sicher wie Naturgesetze.
- Ich glaube, jetzt verstehe ich, warum ich bisher so wenig Erfolg mit dem Positiven Denken hatte.
- Ausgezeichnet. Aber genug der Theorie für heute. Jetzt wollen wir zum praktischen Üben kommen. Zunächst sprechen wir zusammen 10mal die Grundformel. Dann spricht jeder 10mal die Suggestion, die für ihn heute am wichtigsten ist. Die anderen unterstützen ihn und verstärken seine Gedankenkräfte durch Ermutigungen.
Wieder fassten sich alle an der Hand und sprachen zusammen: "Es geht mir mit jedem Tag in jeder Beziehung immer besser und besser. - Es geht mir mit jedem Tag in jeder Beziehung immer besser und besser. - Es geht mir mit jedem Tag in jeder Beziehung immer besser und besser ... Diesmal sprach Stefan eifrig mit. Und er hatte wirklich das Gefühl, dass die Gemeinsamkeit der Gruppe die Wirksamkeit der positiven Gedanken steigerte. Die Harmonie wurde nur einige Male gestört, als jemand nicht "Beziehung" sagte, sondern "Hinsicht" oder "Weise".
Jetzt ging es los mit den Einzelsuggestionen. Als erster begann - natürlich - Schmidt-Schmitz: "Ich werde mit jedem Tag immer größer und größer. Ich werde mit jedem Tag immer größer und größer ... Die Gruppenteilnehmer nickten und lächelten ihm dabei aufmunternd zu. Nur Stefan guckte ungläubig. Und als der Kleine mit seinen Größen-Suggestionen fertig war, fragte er ihn ganz direkt: "Kann man denn wirklich auch das Körperwachstum durch Gedanken beeinflussen?" "Mit Autosuggestion ist alles möglich", lautete die Antwort. "Und wie lange üben Sie schon?" "Das steht hier nicht zur Debatte", ließ ihn Schmidt-Schmitz abfahren. Aber sein Nachbar flüsterte Stefan zu: "Der war früher noch winziger - ehrlich."
Als nächstes war eine Frau unbestimmbaren Alters dran, die so eine Art Prototyp für ein Mauerblümchen abgab. Ihre